Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Innerliches Neuland finden“
Schauspielerin Barbara Sukowa über ihr Leben in den USA und den neuen Film „Wir beide“
Die Schauspielerin Barbara Sukowa, 1950 in Bremen geboren, erlebt die Corona-krise intensiver als viele andere Deutsche. Denn sie wohnt im Corona-hotspot New York. Doch für die 70-Jährige war diese Zeit der Isolation auch eine Gelegenheit zur Introspektion. Deshalb wird das Gespräch anlässlich ihres neuen Films „Wir beide“(ab 6. August im deutschen Kino) zu einer Unterhaltung über die Erkundungen ihres Innenlebens, von der Suche nach persönlicher Wahrheit bis zum Studium alter Evangelien.
Ihr Film „Wir beide“handelt von zwei Frauen, die aus ihrer Liebesbeziehung ein Geheimnis machen...
Und solche Geheimnisse machen einen krank. Wenn man Jahre lang eine Rolle spielt, die einem im Innersten fremd ist, hat das Auswirkungen.
Sie indes sind völlig offen und ehrlich mit sich selbst?
Das würde ich schon sagen. Aber wir schaffen uns im Lauf der Jahre doch alle ein Bild von uns selbst. Wir wissen oft gar nicht, wenn wir uns belügen, sondern denken, wir sind offen und ehrlich. Wir machen uns alle Bilder von uns selbst, mit denen wir uns identifizieren – Männer oft mittels des Berufs, Frauen mit Beziehungen – und verinnerlichen diese „Rollen“.
Wie ist das denn bei Ihnen? Würden Sie sagen, dass sie ein realistisches Bild von sich selbst haben?
Bestimmt nicht. Aber ich bin auf dem Weg dahin. Immerhin bringt es mein Beruf mit sich, dass ich mich sehr viel anschauen muss. Denn jede Figur, die ich spiele, hat auch Bausteine, die ich selbst bin. Und ich habe für mich begriffen: Je älter man wird, desto mehr muss man diese Identifikationen loslassen. So kann man herausfinden, wie und wer man wirklich ist und was hinter oder unter den „Rollen“steckt.
In diesem Jahr waren ja die meisten Menschen gezwungen, sich von den vertrauten Elementen ihres Alltags zumindest vorübergehend zu verabschieden.
Man denkt immer, man hat irgendwelche Kontrolle über irgendwas. So leben wir. Wir versuchen alles Mögliche zu machen, damit wir unser Leben verlängern, ob wir in die Mucki-bude gehen oder Diäten befolgen. Aber mit dem Alter versteht man eben, dass man Vieles nicht kontrollieren kann.
Ihre Figur im Film versucht, ihre Partnerin in ihrem Leben festzuhalten. Ist das Festhaltenwollen ein Teil von Liebe?
Ja. Wir möchten jede Form von Liebe – ob Partner, Kinder oder geliebte Gegenstände – festhalten. Wir wollen alle immer im Angenehmen, Schönen, Vertrauten, Guten bleiben. Es gibt wenig Menschen, die mit Unsicherheit leben können. Aber das ist ok. Doch aus der Unsicherheit kommt auch Kreativität für Neues.
Die beiden Frauen überlegen ja, in die Unsicherheit aufzubrechen und einen kompletten Neuanfang zu versuchen. Wie ist das bei Ihnen?
Für mich ist nie etwas abgeschlossen. Ich bin ein sehr neugieriger Mensch. Aber das heißt nicht, dass ich auf eine einsame Insel möchte. Auch da, wo man ist, kann man innerlich zu Neuland finden. Man kann Dinge neu sehen und erleben, auch wenn sie schon lange vorhanden sind. Und damit sollte man nicht unbedingt warten. Die beiden Frauen im Film haben immer an die Zukunft gedacht, nach dem Motto ‚Irgendwann werden wir mal.’ Doch dann macht ihnen das Leben einen Strich durch die Rechnung. Es ist besser den Mut zu haben, die Träume, die man für die Zukunft hegt, so nah wie möglich in die Gegenwart zu bringen.
Fortsetzungsroman – Folge 104
Haben Sie einen solchen Traum, den Sie so bald wie möglich realisieren möchten?
Im Augenblick fällt mir nichts ein, denn ich bin im Augenblick immer noch festgenagelt. Das finde ich auch einen ganz spannenden Moment. Wenn man das äußere Leben nicht so planen kann, dann muss man sich auf das innere Leben konzentrieren.
Wie tun Sie das?
Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelesen, auch Sachen, mit denen ich mich vorher nie beschäftigt habe. Zum Beispiel mit frühchristlichen Evangelien, die die Kirche aus dem offiziellen Kanon herausgenommen hat. Denn mich hat interessiert, wie die Frauen und die Körperlichkeit aus der christlichen Lehre entfernt wurden.
Woher dieses Interesse?
Ich wollte mich einfach damit auseinandersetzen, was mich in meinem Leben geprägt hat. Und die jüdischchristliche Kultur war und ist für uns alle ein entscheidender Einflussfaktor.
Manche Menschen flüchten ja eher in leichte Unterhaltung.
Es gab auch Momente, wo mir das zu viel wurde. Da habe ich mich dann mit Detektivserien auf der BBC abgelenkt.
Sind Sie denn religiösen Vorstellungen aufgeschlossen?
Ich habe mich mit Konzepten beschäftigt, wie man sie im Buddhismus findet – der Vorstellung von Ganzheit, während wir immer in Dualitäten denken. Wir sind so geprägt, dass wir alles in Gegensätzen sehen – gut oder schlecht, schwarz oder weiß. Wir haben deshalb Schwierigkeiten, Dinge zusammenzubringen. Das kommt mir auch deshalb in den Sinn, weil in meiner Wahlheimat USA eine unheimliche Geteiltheit herrscht, die unüberbrückbar scheint. Jeder glaubt die Wahrheit für sich gepachtet zu haben.
Die Republikaner haben die eine Wahrheit, die Demokraten andere. Selbst wenn es auf beiden Seiten gebildete Menschen gibt, finden sie keinen Konsens. Einer muss Gewinner sein. Dieses Denken ist in den USA ebenfalls sehr stark ausgeprägt. Davon muss man weg, wenn man irgendetwas verändern will. Wir brauchen eine innere Transformation oder wie manche Leute sagen, eine spirituelle Transformation. Nur mit Diskutieren kann man es nicht schaffen.