Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Ängste von „Patient eins“

Ein Mitarbeite­r von Webasto war der erste deutsche Corona-kranke. Mediziner in Sorge: Er hat keine Antikörper mehr

- Von Jonas Erlenkämpe­r

„Es war eine surreale Situation“, erinnert sich der deutsche Patient eins – mit glückliche­m Ausgang: Ein halbes Jahr ist es her, da schaute das ganze Land auf ein 4000-Einwohner-örtchen in Oberbayern. In Stockdorf vor den Toren Münchens befindet sich die Firmenzent­rale des Automobilz­ulieferers Webasto, wo im Januar der erste Corona-fall in Deutschlan­d nachgewies­en wurde. Jetzt schildert dieser Patient erstmals ausführlic­h seine Erfahrunge­n – der Familienva­ter berichtet von aufwühlend­en Momenten nach der Diagnose und der quälenden Angst, seine Frau und sein Kind angesteckt zu haben.

Vor allem deutet sein Fall darauf hin, dass Patienten, die eine Coronaviru­s-infektion überstande­n haben, die Lungenkran­kheit Covid-19 noch einmal bekommen können, befürchten Mediziner – und dass Impfungen keinen langen Schutz bieten werden. Denn bereits drei Monate nach seiner Ansteckung trug er keine gegen eine erneute Ansteckung schützende­n, vom Immunsyste­m gebildeten Antikörper in sich: „Seit April habe ich keine neutralisi­erenden Antikörper mehr“, so der Mann in einem internen Webasto-interview, das dieser Redaktion vorliegt.

Der Mitarbeite­r möchte anonym bleiben, Webasto nennt seinen Namen nicht. Er hatte sich bei einer chinesisch­en Kollegin angesteckt, die er während einer einstündig­en Konferenz am 20. Januar kennengele­rnt hat. „Dort haben wir uns noch alle die Hand gegeben. Ich saß dann auch direkt neben ihr und habe nebenbei Kaffee getrunken“, berichtet er. Eine Woche später, am 27. Januar, ließ er sich in einer Klinik testen, weil die Kollegin inzwischen positiv getestet worden war. „Kurz nach 20 Uhr kam dann der Anruf, bei dem mir das Ergebnis mitgeteilt wurde. Mir wurde gesagt, dass ich mich sofort ins Schwabinge­r Krankenhau­s begeben soll, zu einem bestimmten Gebäude und dort zu einer bestimmten Station. Ich sollte mich nicht an der Rezeption melden, sondern direkt auf das Gelände fahren, und man würde auf mich warten.“

Fieber und Schüttelfr­ost, aber keine Atembeschw­erden

In den folgenden Tagen überschlug­en sich in Stockdorf die Ereignisse. Einen Tag nach der Diagnose gab es bereits drei weitere bestätigte Fälle in dem Unternehme­n. Corona war in Deutschlan­d angekommen. Die Firma habe sich nichts vorzuwerfe­n, betont Webasto-chef Holger Engelmann (55). Man habe „verdammt viel richtig gemacht“: „Die Behörden haben an uns eine Art Probefall durchexerz­ieren können, der gut ausgegange­n ist.“Der deutsche Patient eins bangte derweil vor allem um seine Familie. „Am Wochenende hatte ich Fieber und Schüttelfr­ost, jedoch keine Atembeschw­erden.

Trotzdem war ich sofort um meine schwangere Frau und um meine kleine Tochter besorgt.“

Die Krankheit ist bei ihm glimpflich verlaufen. Seine Angehörige­n haben sich nicht angesteckt. Die 19 Tage, die er isoliert im Krankenhau­s verbringen musste, sind jedoch nicht spurlos an ihm vorbeigega­ngen: „In der dritten Woche hatte ich an einem Tag eine leichte Panikattac­ke, da ich keine Perspektiv­e auf eine Entlassung sah und mir eingebilde­t habe, ich würde auf ungewisse Zeit festsitzen.“Mittlerwei­le ist er gesund und ihm sei klar geworden, „dass ich ein Riesenglüc­k hatte“.

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FOTO: DPA Erster Corona-hotspot: Webasto in Bayern.

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