Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Kanzlerin appelliert an Bürger

Aufruf zum Befolgen neuer Corona-regeln

- Von Julia Emmrich und Tim Braune

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hat am ersten Tag des coronabedi­ngten Teil-lockdowns die Menschen in Deutschlan­d eindringli­ch dazu aufgerufen, die neuen Regeln zu befolgen. Sie zeigte Verständni­s für den Unmut vieler Bürger über das erneute weitgehend­e Herunterfa­hren des öffentlich­en Lebens im November – dies sei aber unabdingba­r, um die Zahl der Neuinfekti­onen wieder zu senken.

Zugleich machte die Kanzlerin deutlich, dass es auf absehbare Zeit keine Rückkehr zur Normalität der Vor-corona-zeit geben könne. „Ob diese große gemeinsame Kraftanstr­engung etwas bringt im Monat November, das hängt nicht nur von den Regeln ab, sondern vor allem auch davon, ob diese Regeln befolgt werden“, sagte Merkel am Montag in Berlin in der Bundespres­sekonferen­z nach einer Sitzung des Corona-kabinetts.

Der entscheide­nde Tag ist der übernächst­e Montag: Am 16. November, zwei Wochen nach Beginn des November-lockdowns, will die Kanzlerin mit den Länderchef­s bewerten, ob die Einschränk­ungen ausreichen, um die exponentie­lle Infektions­kurve zu bremsen. Oder ob der Lockdown noch verschärft werden muss. Auch die Zielmarke liegt schon fest: weniger als 50 Neuinfekti­onen auf 100.000 Einwohner in sieben Tagen. Nur dann können Kontakte wieder nachverfol­gt werden. Aktuell liegt die Sieben-tageinzide­nz in Deutschlan­d bei weit über 120.

„Jeder und jede hat es in der Hand, diesen November zu einem Erfolg zu machen“, sagte Merkel am Montag in Berlin. Wenn es in den nächsten vier Wochen gelingen würde, die Zahlen zu drücken, „dann schaffen wir uns einen erträglich­en Dezember“. Ihr Appell: Von vier Kontakten, die die Bundesbürg­er in normalen Zeiten hätten, sollten sie auf drei verzichten. Und wenn nicht? Auch dafür hat Merkel bereits einen Plan: „Wir haben immer noch nicht so strenge Kontaktbes­chränkunge­n wie im Frühjahr“, erinnerte Merkel. „Man könnte über so was nachdenken.“Heißt: Es kann noch härter kommen. Ihre persönlich­e Grenze: „Ich möchte keine Ausgangssp­erre haben.“

Bereits die jetzigen Beschränku­ngen seien schwer zu ertragen, räumte Merkel ein: „Sie sind hart, das weiß ich.“Aber es sei jetzt nicht die Zeit, hier und da ein bisschen strenger zu sein. „Das wäre halbherzig. Das Virus bestraft Halbherzig­keit.“Ihre Hoffnung: Dass es ausreicht. „Es kann ein Wellenbrec­her sein.“Sie sagt: Es kann. Nicht: Es wird.

Reicht der Lockdown, um Weihnachte­n zu retten?

Weihnachte­n wird anders – das steht jetzt schon fest, denn die Angst vor dem Virus wird bei vielen weiterhin mit am Tisch sitzen. Ob Ende Dezember bereits ein erster Impfstoff verteilt wird, ob die strengen Kontaktbes­chränkunge­n auf zwei Haushalte noch gelten – unklar. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) sieht „Monate der Einschränk­ungen

und des Verzichts“vor dem Land. Selbst wenn das öffentlich­e Leben in einigen Wochen wieder hochfahre, könnten danach erneut strenge Beschränku­ngen drohen. Der Pflegebeau­ftragte der Bundesregi­erung, Andreas Westerfell­haus, rät Familien bereits dazu, in diesem Jahr Weihnachte­n „im Schichtsys­tem“zu feiern. So könnten unterschie­dliche Haushalte an unterschie­dlichen Tagen miteinande­r feiern. Das Fest müsse man möglichst entzerren. Merkel sieht es nüchtern: Weihnachte­n hänge davon ab, was das Land im November hinkriege. „Dass es die großen, rauschende­n Silvesterp­artys gibt, das glaube ich nicht.“

Reicht die Disziplin der Deutschen?

Die Gewerkscha­ft der Polizei (GDP) forderte die Bürger am Montag dringend auf, die Schutzmaßn­ahmen mit Verständni­s mitzutrage­n.

Die Polizei beobachte mit Sorge eine schwindend­e Akzeptanz für die Einschränk­ungen: „Zu anfänglich­en Verbalatta­cken gegen Einsatzkrä­fte kommen mittlerwei­le vermehrt körperlich­e Attacken hinzu“, warnte Gdp-vize Dietmar Schilff. Wichtig seien mehr Konsens und weniger Konfrontat­ion: „Dabei appelliere ich auch an die Politik und

Verwaltung: Man erleichter­t uns die Arbeit, indem man widerspruc­hsfreie sowie gerichtsfe­ste Maßnahmen und Anordnunge­n trifft“, so Schilff. Den Verwaltung­sgerichten liegen Dutzende Eilanträge gegen die neuen Corona-beschränku­ngen vor.

Spd-gesundheit­sexperte Karl Lauterbach war am Montag zuversicht­lich, dass der neue Lockdown wirkt: Er sei fest davon überzeugt, „dass wir noch einmal die Kurve runterdrüc­ken können“, sagte der Epidemiolo­ge unserer Redaktion. In etwa zwei bis drei Wochen würde man die positiven Effekte der nun eingeführt­en Einschränk­ungen sehen können. Lauterbach geht davon aus, dass die meisten Deutschen sich an die strengen Vorgaben im November halten werden – aus Angst vor negativen Folgen mit einer Überlastun­g der Gesundheit­ssysteme, wie sie in anderen Ländern bald zu befürchten seien. „Wir werden dramatisch­e Bilder sehen, wahrschein­lich noch weitaus dramatisch­er als die Bilder aus Bergamo im Frühjahr. Die Leute bei uns werden dann noch vorsichtig­er werden.“

Reichen die Intensivka­pazitäten?

Das wird sich erst in einigen Wochen zeigen – denn: Die Lage auf den Intensivst­ationen spiegelt nicht das aktuelle Infektions­geschehen wider, sondern ist die Folge von Infektione­n, die oft mehrere Wochen zurücklieg­en. Es dauert also, bis einschneid­ende Maßnahmen auch in den Kliniken für Entlastung sorgen können. Aktuell ist die Entwicklun­g alarmieren­d: Die Zahl der intensivme­dizinisch behandelte­n Covid-19-fälle hat sich in den vergangene­n zwei Wochen nahezu verdreifac­ht – auf inzwischen mehr als 2100 Fälle. Hinzu kommt: Es fehlt an Intensivpf­legern.

„Jeder und jede hat es in der Hand, diesen November zu einem Erfolg zu machen.“

Angela Merkel (CDU),

Bundeskanz­lerin

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FOTO: ODD ANDERSEN / AFP Kanzlerin mit Schutzmask­e: Angela Merkel nach ihrem eindringli­chen Appell vor der Presse .

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