Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Digitalisierung macht Verwaltung unpersönlicher
Schon Ende 2022 sollen Behördenwege im Netz erledigt werden können. Doch bei der Umsetzung hakt es
Die Digitalisierung in den Thüringer Behörden ist auf dem Weg. Allerdings drängt die Zeit: Bis Ende 2022 müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsdienstleistungen im Netz anbieten, Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet, Stichwort Onlinezugangsgesetz,
kurz: OZG. Finanzstaatssekretär Hartmut Schubert (SPD) sieht neben ganz unterschiedlichen Verfahrenswegen, die nun von Papier ins Virtuelle transferiert werden müssen, ein Mentalitätsproblem: „Die Verwaltung hat ein hohes Beharrungsvermögen.“Jahrzehntelange habe dort die Auffassung geherrscht, der Bürger solle ins Amt kommen. „Das ändern Sie nicht innerhalb von ein paar Jahren.“
Ralf Rusch, Geschäftsführer des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds, sieht in kleinen Gemeinden auch einen Nachteil für die Bürger. Zwar sei es richtig, dass den Menschen einige Wege erspart bleiben könnten, wenn sie bestimmte Anträge an Behörden und Ämter über das Internet stellen könnten, sagt er. „Aber dieses Digitalisieren ist auch ein Zeichen dafür, dass es weniger persönlich wird.“Gerade in den Dörfer würden Menschen ihre Besuche auf dem Amt nutzen, um auch mal mit dem Bürgermeister oder der Gemeindemitarbeiterin zwanglos ins Gespräch zu kommen, so Rusch.
Die Tage, in denen sich schmerzhaft gezeigt hat, wie sehr die öffentliche Verwaltung in Thüringen immer noch analog arbeitet, liegen ein halbes Jahr zurück. Damals hatte wegen des ersten Corona-lockdowns das Leben in weiten Teilen still gestanden. Wer ein Auto zulassen wollte, fand sich oft vor verschlossenen Türen; gleichzeitig war es unmöglich, die entsprechenden Formalitäten über das Internet abzuwickeln. Wochenlang verzögerten sich die Übergaben der Autos damals, berichtet ein Verkäufer eines großen Thüringer Autohauses.
Finanzstaatssekretär Hartmut Schubert (SPD), der vor fünf Jahren den Job als CIO – Chief Information Officer – und somit als Oberdigitalisierer des Freistaats übernommen hat, hört viele solcher und ähnlicher Geschichten und versucht – anders als mancher kommunale Behördenchef – nicht zu bestreiten, dass sie wahr sind. Die digitale Zulassung von Autos, räumt Schubert ein, funktioniere nur „in einigen wenigen Landkreisen“. Dann erklärt er, warum das so ist.
Selbstverständlich habe es bei der Digitalisierung der Verwaltung des Bundes, des Landes, der Landkreise, der kreisfreien Städten sowie auch der Gemeinden und kreisangehörigen Städte in den vergangenen Jahren Fortschritte gegeben, sagt Schubert. Zu den Vorzeigelandkreisen zählt das Eichsfeld. Andere ziehen gerade jetzt nach – so der Landkreis Schmalkalden-meiningen, der ein zentrales kommunales Rechenzentrum für seine Gemeinden aufbaut.
Das ermöglicht den Menschen, demnächst viele Behördengänge digital zu erledigen und sich somit den Weg aufs Amt zu sparen. Die Verwaltungsmitarbeiter werden damit auch viel einfacher als bislang von zu Hause arbeiten können. Das heißt: Die Anliegen der Menschen bleiben nicht liegen.
Die gesetzliche Verpflichtung zum Onlinezugang rückt nahe
In einem Thüringer Landkreis wird nach Angaben Schuberts zudem daran gearbeitet, bei Baurechtsangelegenheiten den Gang aufs Amt zu ersparen: Anträge auf Neu- oder Umbauten an bestehenden Immobilien sollen komplett über das Netz abgewickelt werden. Was ein großer Schritt wäre, da Bauanträge zu den komplexesten Anliegen gehören, mit denen sich Behörden und Bürger beschäftigen.
Doch trotz so vieler positiver Einzelfallbeispiele gilt: Es geht sehr langsam. Zu langsam? Bis Ende 2022 müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltungsdienstleistungen auch digital anbieten. Dazu sind sie gesetzlich verpflichtet, Stichwort Onlinezugangsgesetz,
kurz: OZG. Vielen wird offenbar erst jetzt klar: Diese Verpflichtung tritt in ziemlich genau zwei Jahren in Kraft. Kann das gelingen? Sowohl Schubert als auch der Geschäftsführer des Thüringer Gemeinde- und Städtebunds, Ralf Rusch, verbreiten Zweckoptimismus. „Wir als Land haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das gelingen kann“, sagt Schubert. Aber die Herausforderung ist hoch: „Das wird die totale Umstellung für die Verwaltung.“Und Rusch sagt: „Das Ziel, das im OZG ausgegeben worden ist, ist schon sportlich.“Machbar oder nicht? „Wenn wir uns sportlich anstrengen, will ich nicht ausschließen, dass wir es schaffen.“
Ob dieser Zweckoptimismus begründet ist, darf in Zweifel gezogen werden – was vor allem an den Erklärungen liegt, die Schubert und Rusch anführen, wenn es darum geht, warum es bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung in den vergangenen Jahren nur so schleppend voran ging. Es gibt vor allem drei Hindernisse. Wenn sich
Schubert mehr Durchgriffsrechte wünscht, verweist das auf den Umstand, dass jede Ebene des Staates vor sich hin digitalisiert. Zwar gibt es Absprachen, Leitfäden, Konzepte und Unterstützungsangebote, doch für die Digitalisierung der Kommunen sind die Kommunen verantwortlich. Niemand sonst. Schubert kann so oft sagen, was er will... So ist das auch bei den Ministerien im Land. „Da hat man uns innerhalb der Landesregierung relativ lange Zeit relativ alleine gelassen“, sagt Schubert, wenn es um die Entwicklungsarbeit
eines bestimmten It-systems geht. „Das hatte in vielen Häusern einfach nicht die hohe Priorität, die es verdient hätte“, stellt er fest
Zum Zweiten gibt es ganz unterschiedliche Wege, um zum Ziel zu kommen. Sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt nutzen verschiedene Einheiten der Verwaltung verschiedene Papier- und Softwarelösungen für ein- und dieselbe Dienstleistung. Schubert spricht von „Fachverfahren“. Es ließe sich auch sagen, dass viele ihr eigenes Süppchen kochen. Alleine für das Baurecht gebe es etwa ein halbes Dutzend davon, sagt Schubert. „Da ist nie eine Vorgabe dazu gemacht worden, welches Fachverfahren zu nutzen ist.“Entsprechend müssen sich die Verwaltungen von unterschiedlichen Fundamenten aus digitalisieren; und es gibt die Hoffnung, dass diese Fundamente gemeinsam das digitale Haus tragen werden. Letztlich ist das auch der Grund, warum Schubert stundenlang über Vorgaben von Bundesbehörden und Serverstandorte im Zusammenhang
mit der Migration von Daten von einem Rechenzentrum zum nächsten reden kann, um zu erklären, warum die digitale Kfzzulassung ziemlich selten vollumfänglich klappt.
Das Beharrungsvermögen der Verwaltung macht große Sorgen
Und drittens ist stellt sich die Frage der Mentalität. Sowohl die Orientierung auf das Papier als auch die Erwartung, der Bürger habe persönlich beim Amt zu erscheinen, „ändern Sie nicht innerhalb von ein paar Jahren. Die Verwaltung hat ein hohes Beharrungsvermögen“, sagt Schubert. Rusch wählt weniger drastische Worte, gibt Schubert aber im Kern recht. Neben der Tatsache, dass It-fachleute nur schwer für den öffentlichen Dienst zu begeistern seien, gebe es auch Bürgermeister, die sich und ihre Verwaltung bisher mit dem Thema Digitalisierung nicht umfänglich hätten beschäftigen wollen. Umgekehrt zeige die Erfahrung, dass eine technikaffine Verwaltungsspitze durchaus in der Lage sei, die Verwaltung in die Zukunft zu führen und die Mitarbeiter mitzunehmen.
Schubert kennt sich aus mit Mentalitätsfragen: Vor seiner Zeit als CIO und Finanzstaatssekretär war er Staatssekretär im Sozialministerium. Die damalige Leitung des Finanzministerium habe versucht, Itpersonal aus dem Sozialministerium abzuziehen, um die It-leute des Landes an einem Ort zu konzentrieren. „Meine Leute haben mir damals aufgeschrieben, dass das nicht geht, also habe ich das blockiert“, sagt Schubert. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler.
„Dass man keine direkten Durchgriffsrechte auf die Verwaltung hat, frisst unglaublich viel Zeit.“
Hartmut Schubert seit fünf Jahren als CIO – Chief Information Officer – Oberdigitalisierer von Thüringen