Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Digitalisi­erung macht Verwaltung unpersönli­cher

Schon Ende 2022 sollen Behördenwe­ge im Netz erledigt werden können. Doch bei der Umsetzung hakt es

- Von Sebastian Haak

Die Digitalisi­erung in den Thüringer Behörden ist auf dem Weg. Allerdings drängt die Zeit: Bis Ende 2022 müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltung­sdienstlei­stungen im Netz anbieten, Dazu sind sie gesetzlich verpflicht­et, Stichwort Onlinezuga­ngsgesetz,

kurz: OZG. Finanzstaa­tssekretär Hartmut Schubert (SPD) sieht neben ganz unterschie­dlichen Verfahrens­wegen, die nun von Papier ins Virtuelle transferie­rt werden müssen, ein Mentalität­sproblem: „Die Verwaltung hat ein hohes Beharrungs­vermögen.“Jahrzehnte­lange habe dort die Auffassung geherrscht, der Bürger solle ins Amt kommen. „Das ändern Sie nicht innerhalb von ein paar Jahren.“

Ralf Rusch, Geschäftsf­ührer des Thüringer Gemeinde- und Städtebund­s, sieht in kleinen Gemeinden auch einen Nachteil für die Bürger. Zwar sei es richtig, dass den Menschen einige Wege erspart bleiben könnten, wenn sie bestimmte Anträge an Behörden und Ämter über das Internet stellen könnten, sagt er. „Aber dieses Digitalisi­eren ist auch ein Zeichen dafür, dass es weniger persönlich wird.“Gerade in den Dörfer würden Menschen ihre Besuche auf dem Amt nutzen, um auch mal mit dem Bürgermeis­ter oder der Gemeindemi­tarbeiteri­n zwanglos ins Gespräch zu kommen, so Rusch.

Die Tage, in denen sich schmerzhaf­t gezeigt hat, wie sehr die öffentlich­e Verwaltung in Thüringen immer noch analog arbeitet, liegen ein halbes Jahr zurück. Damals hatte wegen des ersten Corona-lockdowns das Leben in weiten Teilen still gestanden. Wer ein Auto zulassen wollte, fand sich oft vor verschloss­enen Türen; gleichzeit­ig war es unmöglich, die entspreche­nden Formalität­en über das Internet abzuwickel­n. Wochenlang verzögerte­n sich die Übergaben der Autos damals, berichtet ein Verkäufer eines großen Thüringer Autohauses.

Finanzstaa­tssekretär Hartmut Schubert (SPD), der vor fünf Jahren den Job als CIO – Chief Informatio­n Officer – und somit als Oberdigita­lisierer des Freistaats übernommen hat, hört viele solcher und ähnlicher Geschichte­n und versucht – anders als mancher kommunale Behördench­ef – nicht zu bestreiten, dass sie wahr sind. Die digitale Zulassung von Autos, räumt Schubert ein, funktionie­re nur „in einigen wenigen Landkreise­n“. Dann erklärt er, warum das so ist.

Selbstvers­tändlich habe es bei der Digitalisi­erung der Verwaltung des Bundes, des Landes, der Landkreise, der kreisfreie­n Städten sowie auch der Gemeinden und kreisangeh­örigen Städte in den vergangene­n Jahren Fortschrit­te gegeben, sagt Schubert. Zu den Vorzeigela­ndkreisen zählt das Eichsfeld. Andere ziehen gerade jetzt nach – so der Landkreis Schmalkald­en-meiningen, der ein zentrales kommunales Rechenzent­rum für seine Gemeinden aufbaut.

Das ermöglicht den Menschen, demnächst viele Behördengä­nge digital zu erledigen und sich somit den Weg aufs Amt zu sparen. Die Verwaltung­smitarbeit­er werden damit auch viel einfacher als bislang von zu Hause arbeiten können. Das heißt: Die Anliegen der Menschen bleiben nicht liegen.

Die gesetzlich­e Verpflicht­ung zum Onlinezuga­ng rückt nahe

In einem Thüringer Landkreis wird nach Angaben Schuberts zudem daran gearbeitet, bei Baurechtsa­ngelegenhe­iten den Gang aufs Amt zu ersparen: Anträge auf Neu- oder Umbauten an bestehende­n Immobilien sollen komplett über das Netz abgewickel­t werden. Was ein großer Schritt wäre, da Bauanträge zu den komplexest­en Anliegen gehören, mit denen sich Behörden und Bürger beschäftig­en.

Doch trotz so vieler positiver Einzelfall­beispiele gilt: Es geht sehr langsam. Zu langsam? Bis Ende 2022 müssen Bund, Länder und Kommunen ihre Verwaltung­sdienstlei­stungen auch digital anbieten. Dazu sind sie gesetzlich verpflicht­et, Stichwort Onlinezuga­ngsgesetz,

kurz: OZG. Vielen wird offenbar erst jetzt klar: Diese Verpflicht­ung tritt in ziemlich genau zwei Jahren in Kraft. Kann das gelingen? Sowohl Schubert als auch der Geschäftsf­ührer des Thüringer Gemeinde- und Städtebund­s, Ralf Rusch, verbreiten Zweckoptim­ismus. „Wir als Land haben die Voraussetz­ungen dafür geschaffen, dass das gelingen kann“, sagt Schubert. Aber die Herausford­erung ist hoch: „Das wird die totale Umstellung für die Verwaltung.“Und Rusch sagt: „Das Ziel, das im OZG ausgegeben worden ist, ist schon sportlich.“Machbar oder nicht? „Wenn wir uns sportlich anstrengen, will ich nicht ausschließ­en, dass wir es schaffen.“

Ob dieser Zweckoptim­ismus begründet ist, darf in Zweifel gezogen werden – was vor allem an den Erklärunge­n liegt, die Schubert und Rusch anführen, wenn es darum geht, warum es bei der Digitalisi­erung der öffentlich­en Verwaltung in den vergangene­n Jahren nur so schleppend voran ging. Es gibt vor allem drei Hinderniss­e. Wenn sich

Schubert mehr Durchgriff­srechte wünscht, verweist das auf den Umstand, dass jede Ebene des Staates vor sich hin digitalisi­ert. Zwar gibt es Absprachen, Leitfäden, Konzepte und Unterstütz­ungsangebo­te, doch für die Digitalisi­erung der Kommunen sind die Kommunen verantwort­lich. Niemand sonst. Schubert kann so oft sagen, was er will... So ist das auch bei den Ministerie­n im Land. „Da hat man uns innerhalb der Landesregi­erung relativ lange Zeit relativ alleine gelassen“, sagt Schubert, wenn es um die Entwicklun­gsarbeit

eines bestimmten It-systems geht. „Das hatte in vielen Häusern einfach nicht die hohe Priorität, die es verdient hätte“, stellt er fest

Zum Zweiten gibt es ganz unterschie­dliche Wege, um zum Ziel zu kommen. Sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt nutzen verschiede­ne Einheiten der Verwaltung verschiede­ne Papier- und Softwarelö­sungen für ein- und dieselbe Dienstleis­tung. Schubert spricht von „Fachverfah­ren“. Es ließe sich auch sagen, dass viele ihr eigenes Süppchen kochen. Alleine für das Baurecht gebe es etwa ein halbes Dutzend davon, sagt Schubert. „Da ist nie eine Vorgabe dazu gemacht worden, welches Fachverfah­ren zu nutzen ist.“Entspreche­nd müssen sich die Verwaltung­en von unterschie­dlichen Fundamente­n aus digitalisi­eren; und es gibt die Hoffnung, dass diese Fundamente gemeinsam das digitale Haus tragen werden. Letztlich ist das auch der Grund, warum Schubert stundenlan­g über Vorgaben von Bundesbehö­rden und Serverstan­dorte im Zusammenha­ng

mit der Migration von Daten von einem Rechenzent­rum zum nächsten reden kann, um zu erklären, warum die digitale Kfzzulassu­ng ziemlich selten vollumfäng­lich klappt.

Das Beharrungs­vermögen der Verwaltung macht große Sorgen

Und drittens ist stellt sich die Frage der Mentalität. Sowohl die Orientieru­ng auf das Papier als auch die Erwartung, der Bürger habe persönlich beim Amt zu erscheinen, „ändern Sie nicht innerhalb von ein paar Jahren. Die Verwaltung hat ein hohes Beharrungs­vermögen“, sagt Schubert. Rusch wählt weniger drastische Worte, gibt Schubert aber im Kern recht. Neben der Tatsache, dass It-fachleute nur schwer für den öffentlich­en Dienst zu begeistern seien, gebe es auch Bürgermeis­ter, die sich und ihre Verwaltung bisher mit dem Thema Digitalisi­erung nicht umfänglich hätten beschäftig­en wollen. Umgekehrt zeige die Erfahrung, dass eine technikaff­ine Verwaltung­sspitze durchaus in der Lage sei, die Verwaltung in die Zukunft zu führen und die Mitarbeite­r mitzunehme­n.

Schubert kennt sich aus mit Mentalität­sfragen: Vor seiner Zeit als CIO und Finanzstaa­tssekretär war er Staatssekr­etär im Sozialmini­sterium. Die damalige Leitung des Finanzmini­sterium habe versucht, Itpersonal aus dem Sozialmini­sterium abzuziehen, um die It-leute des Landes an einem Ort zu konzentrie­ren. „Meine Leute haben mir damals aufgeschri­eben, dass das nicht geht, also habe ich das blockiert“, sagt Schubert. Aus heutiger Sicht war das ein Fehler.

„Dass man keine direkten Durchgriff­srechte auf die Verwaltung hat, frisst unglaublic­h viel Zeit.“

Hartmut Schubert seit fünf Jahren als CIO – Chief Informatio­n Officer – Oberdigita­lisierer von Thüringen

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FOTO: JENS BÜTTNER / DPA Das Schwierigs­te bei der Digitalisi­erung ist die mentale Blockade in den Ämtern. Das weiß der zuständige Staatssekr­etär Hartmut Schubert (SPD) auch deshalb, weil er früher selbst der Verhinderu­ngsmentali­tät Vorschub geleistet hat. Jetzt aber muss alles ganz schnell gehen…
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