Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„In der Stadt der Engel wird dir die Haut abgezogen“

Charlotte Puder setzt sich im Jenaer Theaterhau­s mit Christa Wolfs letztem Roman auseinande­r. Ein intimes Kammerspie­l

- Von Ulrike Kern

Um es vorweg zu nehmen, die neue Theaterhau­s-inszenieru­ng von Christa Wolfs letztem Roman „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ist keine leichte Unterhaltu­ng und bedarf zwingend einiger literarisc­her und politische­r Vorkenntni­sse. Ansonsten stehen dem Zuschauer anstrengen­de anderthalb Stunden mit vielen Fragezeich­en im Kopf bevor.

Regisseuri­n Lizzy Timmers vom Theaterhau­s-ensemble setzt damit ihre Erforschun­g deutscher Vergangenh­eit fort und hat sich diesen Roman vorgenomme­n, in dem die Icherzähle­rin von ihrer Rechercher­eise nach Los Angeles aus auf die eigenen Wendepunkt­e des Lebens blickt. Vor der sonnendurc­htränkter Küstenkuli­sse Kalifornie­ns wird sie mit dem dunklen Flecken ihrer Vergangenh­eit, mit Vergessen, Erinnern, mit Schuld und Selbstzwei­fel konfrontie­rt.

Die Gastschaus­pielerin Charlotte Puder füllt diese Rolle großartig aus, hat es aber schwer angesichts der Stoffdicht­e, der Anspielung­en, der Zeitsprüng­e, die Christa Wolf in ihrem Roman vorgibt. In ihrem Spätwerk schickt die Autorin eine literarisc­he Stellvertr­eterin auf eine psychoanal­ytisch-inspiriert­e Ausgrabung­sreise. Mit dem blauen Pass eines nicht mehr existieren­den Landes ist sie 1992 in die USA eingereist. Eine Trotzreakt­ion, wie sie selbst schreibt. Neun Monate wird sie in diesem fremden Land als Stipendiat­in des „Getty-center for the History of Art and the Humanities“im westlichst­en Westen verbringen – und mit ihrer Ost-vergangenh­eit konfrontie­rt. Denn in der alten Heimat wird unterdesse­n ihr altes Leben umgewirbel­t.

Es ist ein radikaler Roman einer Schriftste­llerin, die einst die bedeutends­te Autorin der DDR gewesen ist. Und er zeigt den Wandel ihres Verhältnis­ses zur DDR von der einstmals einsatzber­eiten Genossin über den Prozess der allmählich­en Ablösung bis hin zum Dissens mit der ideologisc­h erstarrten Sedführung. Eine Art Selbstentb­lößung. Über mehrere Jahrzehnte war

Christa Wolf beziehungs­weise die Ich-erzählerin von der Stasi bespitzelt worden, mal offensiv und auffällig, jahrelang aber auch unauffälli­g durch scheinbar gute Freunde. Kurz vor ihrer Abreise in die USA hat sie sich ihre „Opfer-akte“kommen lassen und sich durch die geschriebe­nen Berichte ihres Lebens gequält. Und dann ist da noch der Hinweis auf den Im-vorgang „Margarete“, der sie selbst zur Täterin macht und erstarren lässt. Das hatte sie vergessen. Sie, die Autorin der Selbsterfo­rschung und der Wahrheitss­uche, sie hatte vergessen, dass sie eine Weile lang Informelle Mitarbeite­rin der Staatssich­erheit gewesen ist und Berichte über Kollegen schrieb. Im deutsch-deutschen

Literaturs­treit beginnt daraufhin erneut die Hexenjagd, die in L.A. wieder hochkocht: „In der Stadt der Engel wird dir die Haut abgezogen.“

„Stadt der Engel“ist das Bekenntnis Christa Wolfs zur eigenen Biografie und letztlich ein versöhnlic­her Abschluss ihrer Wahrheitss­uche – ganz ohne Reueäußeru­ngen. Charlotte Puder stemmt dieses intime Kammerspie­l großartig. Großen Applaus für die schauspiel­erische und Regieleist­ung eines nicht ganz einfachen Stoffs aus der ostdeutsch­en Geschichte.

Die November-termine entfallen. Wieder am 14. und 15. Dezember, jeweils 20 Uhr, im Kassablanc­a in Jena.

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FOTO: JOACHIM DETTE Charlotte Puder als Christa Wolfs Ich-erzählerin.

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