Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Comic-zeichnen wird weiblicher
Graphic Novels bieten nicht nur Spaß, sondern auch lakonisch-humorvolle Blicke auf den Alltag
Comics sind mehr als Jugend-unterhaltung mit Action und muskulösen Superhelden. Seit einiger Zeit sind Graphic Novels stark im Kommen, die Comicromane haben sich längst als eigene literarische Gattung durchgesetzt. Früher auf Independent-messen zuhause, sind sie jetzt im Museum angekommen – etwa in Bremen. Dort widmet das Wilhelm Wagenfeld Haus den Graphic Novels ab Dezember eine eigene Schau – ursprünglich sollte der Start der Ausstellung am Freitag sein, wegen des Corona-teillockdowns wurde er verschoben. Nun soll vorab eine digitale Präsentation ausgewählter Originalzeichnungen und Bücher den monatelangen Prozess von der ersten Skizze bis zum fertigen Buch spiegeln.
Graphic Novels wirken oft autobiografisch, dokumentarisch und humorvoll hintergründig. Zu den Autoren und Zeichnern gehört etwa Julia Bernhard, die in Mainz und Berlin lebt und arbeitet. Sie entwirft mit digitalem Pinsel und Tablet ein Psychogramm ihrer Generation. In ihrem Comic-debüt hinterfragt sie Rollenklischees zu Frauen um die 30 – es geht um penetrante Fragen nach Freund, Hochzeit oder Baby. Sogar Hund, Zimmerpflanzen und Toaster stellen das Verhalten der
Frau infrage, bis diese mit ihrem Sofa verschmilzt und verschwindet.
Keine klassischen Superhelden-geschichten mehr
„Natürlich ist diese Kunst extrem zeitaufwendig und nicht unbedingt rentabel, aber sie eröffnet mir so viele Freiheiten“, sagt Bernhard. Ihr Ziel: ein Stipendium für ihren nächsten Comic. Der soll vom queeren Leben auf dem Land handeln.
Graphic Novels seien ein sehr lustvolles Medium mit einer sachlich-kühlen bis plakativen Sprache, erklärt Julia Bulk, die Leiterin des Wilhelm Wagenfeld Hauses. Die für die Schau in Bremen ausgewählten Text-bild-geschichten von 15 Künstlern hätten kaum noch etwas mit klassischen Comics zu tun: „Heutige Graphic Novels sind keine klassischen Superhelden-geschichten mehr, sondern lakonischhumorvolle Alltagsbeobachtungen.“
Viele Comics haben autobiografische Züge, auch dokumentarische
Comics gibt es – der Bremer Jens Genehr etwa hat an seiner Graphic Novel „Valentin“sechs Jahr lang gearbeitet. Basierend auf Augenzeugenberichten und alten Fotos erzählt er Bild für Bild und Sprechblase für Sprechblase vom Leid der Zwangsarbeiter beim Bau des Uboot-bunkers Valentin. „Geschichte geht verloren, wenn wir uns daran nicht erinnern“, sagt der 30-jährige Künstler. Bundesweit sucht er deshalb den Dialog mit Lesern und Comicfans.
Die Szene der Comic-zeichner werde weiblicher, beobachtet Anke Feuchtenberger, eine wichtige Vertreterin der deutschen Comicavantgarde und Professorin in Hamburg. „Anfang der 90er-jahre war ich noch die einzige Vorzeigefrau, inzwischen sitzen in meinem Unterricht hauptsächlich erfolgreiche Frauen.“Den ersten Coronalockdown hat Feuchtenberger genutzt, um in ihrem Haus in Vorpommern von morgens bis abends an ihrem nächsten Buch „Der Spalt“zu arbeiten. Jetzt werden die großformatigen Kohlezeichnungen der 57-Jährigen in Bremen gezeigt. Es geht um Trennung, den gefährlichen Spalt an der Bahnsteigkante und die Abspaltung der Gesellschaft in Corona-zeiten.