Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Rückzug ins „Mami-leben“

- Klare Kante Sibylle Göbel zum Muttertag in der Corona-krise

Sollte eine Mutter den Blumenstra­uß zum Muttertag wütend in die Ecke pfeffern, darf sich darüber niemand wundern. Denn sehr viele berufstäti­ge Mütter – ob alleinerzi­ehend oder mit Partner –haben schlicht genug davon, wie sehr die Politik der Lebenswirk­lichkeit von Familien entrückt ist. Allen Verspreche­n zum Trotz, dass Kinder und Familien bei Lockerunge­n das nächste Mal zuerst bedacht würden, ist in dieser Richtung so gut wie nichts geschehen. Seit mehr als einem Jahr müssen Eltern zusehen, wie sie ihre Erwerbsarb­eit um das Chaos herum organisier­en, seit mehr als einem Jahr gelten Kinder vor allem als Pandemietr­eiber, die am besten zuhause isoliert werden. Impfungen für Mütter? Später, irgendwann vielleicht.

Dabei reicht ein Blick nach Frankreich oder in die Schweiz, um zu sehen, dass es auch anders geht: Dort blieben in der zweiten Pandemiewe­lle Schulen fast durchgehen­d geöffnet – mit striktem Hygienekon­zept. Der Präsenzunt­erricht war schlicht nicht verhandelb­ar. Dafür nahm die ganze Nation harte Einschränk­ungen in Kauf. Es gab einfach Konsens darüber, dass die Bildung oberste Priorität hat – und damit auch die Möglichkei­t für Eltern, erwerbstät­ig zu sein. Insbesonde­re die Berufstäti­gkeit von Frauen steht und fällt mit Betreuungs­angeboten. Wo diese unzuverläs­sig oder nicht existent sind, wo im Job noch immer auf Präsens statt Effizienz gesetzt wird, treten – oftmals hoch qualifizie­rte – Mütter den Rückzug an. In den sozialen Netzwerken war das schon lange vor Corona zu besichtige­n: Nicht etwa die Kanäle und Blogs von Ingenieuri­nnen oder Wissenscha­ftlerinnen liegen im Trend, sondern von Frauen, die vom „Mami-leben“berichten.

sibylle.goebel@funkemedie­n.de

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