Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Mütter in Pandemie stark gefordert
Zum Muttertag: Wie sich die Pandemie auf die Rollenverteilung auswirkt
Sie spielen mit ihren Kindern, kochen, lesen vor, geben Unterricht – und arbeiten nebenbei noch in Vollzeit. Eltern sind in der Corona-pandemie geforderter denn je. Doch gilt das für Väter und Mütter gleichermaßen? Oder sorgt die Krise dafür, dass Familien noch stärker in klassische Rollenmuster fallen? Es sei unklar, ob die Krise zu Rückschritten bei der Gleichberechtigung führe, sagt Heike Ohlbrecht, Soziologie-professorin an der Uni Magdeburg vor dem Muttertag.
Könnte nur der Job ein wenig mehr nach Hause verlegt werden, könnte es vielleicht klappen mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Das war wohl vor Corona-zeiten einer der sehnlichsten Wünsche von Müttern und auch von Vätern. Nun, nach fast 16 Monaten verordneter Heimarbeit, stellen viele Eltern fest: Homeoffice funktioniert nur, wenn die Kinder nicht zu Hause sind. Doch während der Pandemie sind und waren Schulen und Kitas wochenlang geschlossen, Sportverein oder Musikschule ebenso. Alle sind immer zu Hause.
Zum Muttertag an diesem Sonntag – der zweite in der Pandemie – stellt sich die Frage: Wer hält die Fäden der Familie zusammen? Wer kocht, hilft beim Homeschooling, kauft ein, macht den Haushalt? Die Mutter, ergeben Studien aus der frühen und späten Phase der Pandemie, wird von der Arbeit am heimischen Küchentisch, umringt von ihren Kindern, dazu verführt, in längst überwunden geglaubte Rollenmuster zu fallen. Der Vater hilft allenfalls mit. So ergab eine Befragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung kurz nach dem ersten Lockdown, dass 51 Prozent der Mütter sich überwiegend um das Homeschooling der Kinder kümmern würden. Nur 15 Prozent der Väter sagten das von sich selbst.
Allerdings war schon vor der Krise die Verteilung der Hausarbeit sehr ungleich zulasten der Mütter verteilt. Darauf macht Heike Ohlbrecht, Professorin für Soziologie an der Universität Magdeburg, aufmerksam. „Vielleicht macht die Krise auch nur Ungleichheiten stärker sichtbar, die vorher schon vorhanden waren“, sagt sie.
Tatsächlich erklärte in der Bertelsmann-studie jede zweite befragte Frau, dass die Aufgaben schon vor der Krise ungleich verteilt gewesen seien. „Insofern hat die Coronapandemie weniger einen Rückfall in traditionelle Rollen verursacht, sondern scheint vielmehr ans Licht zu bringen, dass die traditionelle Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen in Deutschland so gut wie gar nicht aufgebrochen war“, schreibt Barbara von Würzen von der Bertelsmann Stiftung. In der Krisenzeit würden Frauen wieder Aufgaben übernehmen, bei denen es sonst etwa Unterstützung vonseiten der Kitas gebe.
Auch Soziologin Ohlbrecht meint, dass traditionelle Rollenbilder noch stark verbreitet seien. „Wenn beide im Homeoffice sind, kocht oft die Frau“, sagt sie. Und verweist auf einen zweiten Faktor: wirtschaftliche Zwänge. Da in vielen Fällen noch immer Frauen weniger verdienten, sei es eine nachvollziehbare Entscheidung, dass sie Arbeitszeit reduzieren, um die Kinder im Lockdown zu betreuen. „Die Krise wirkt hier wie ein Brennglas für Ungleichheiten“, so Ohlbrecht.
Männer helfen nur mit – aber etwas mehr als früher
Beim Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung heißt es ebenfalls, Hausarbeit werde meist von Frauen übernommen. Aber: Einer Umfrage zufolge hätten Männer ihre Arbeitszeit etwas stärker reduziert als Frauen. Sie würden sich häufiger als vor der Krise an der Kinderbetreuung beteiligen. Das spreche gegen die These, die Pandemie führe zu einer „Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse“, heißt es auf der Internetseite. Ohlbrecht sieht es anders: Viele Männer seien in der Krise bei der Familienarbeit auf einem niedrigen Niveau gestartet. „Frauen haben dagegen schon vorher viel mehr Familienarbeit übernommen und satteln jetzt noch drauf.“Und: Je länger die Krise dauere, desto stärker seien Frauen psychosozial belastet, ergebe die Zweitbefragung ihres Instituts.
Gewerkschaften, Forscherinnen und Forscher und auch Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) sind alarmiert, sie warnen vor einem Rückfall der Frauen in die Hausfrauenrolle. Ohlbrecht ist zuversichtlicher: „Ich bin optimistisch, dass sich Frauen das nicht so gefallen lassen.“Die Pandemie könne eine wichtige gesellschaftliche Debatte über Vereinbarkeit von Familien und Arbeit anstoßen.
An diesem Muttertag müssen sich Frauen wohl mit einem Blumenstrauß begnügen. Denn während vielerorts immer noch Kitas und Schulen geschlossen sind, dürfen Floristik-läden längst wieder öffnen.