Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Thüringer Europaabgeordnete warnt vor Eskalation im Ärmelkanal
Walsmann: Im Streit um Fischereirechte deeskalieren. Thüringen brauche als Exportland Europa
Thüringens Europaparlamentarierin Marion Walsmann (CDU) zeigt sich besorgt über den Einsatz von Kriegsschiffen im Streit um Fischereirechte im Ärmelkanal. „Diese Form der Eskalation hat Europa bei allen inhaltlichen Differenzen, die es mit dem Mitgliedsstaat
Großbritannien immer mal wieder gab, jahrzehntelang verhindert“, so Walsmann. Mit Blick auf den Europatag am 9. Mai zeige der Vorfall deutlich den Mehrwert der Europäischen Institutionen. „Wir setzen auf Dialog und Verhandlungen“, so Walsmann. Gerade dieser
Ansatz habe die EU zu einem Friedensprojekt gemacht. Die europaweiten Rufe nach Deeskalation unterstützt die Erfurterin.
Thüringen, sagt sie im Interview mit dieser Zeitung, profitiert ganz besonders von Europa. Denn der Freistaat sei ein Exportland. Thüringen
brauche den Binnenmarkt, so Walsmann.
Sie verteidigt zudem die Beschaffungspolitik beim Impfstoff. Das sei eigentlich Aufgabe der Nationalstaaten, aber die EU habe übernommen und schnell ausreichend Impfstoff beschafft.
In der Krise braucht es Stabilität. Die Thüringer Europaabgeordnete Marion Walsmann (CDU) aus Erfurt erklärt im Interview mit dieser Zeitung, dass dies gerade rund um den Europatag am 9. Mai nicht genug betont werden kann.
Wie erleichtert sind Sie, im Europäischen Parlament zu sitzen und nicht mehr dem „Tollhaus“Thüringer Landtag anzugehören?
Sie wissen, dass ich mit Leib und Seele Thüringerin bin und seit 2004 – eine hoffentlich gute – Politik für Thüringen mache. Zugleich bin ich glühende Europäerin. Es garantiert uns Wohlstand, Freiheit, Frieden. Leider nehmen wir Europa inzwischen viel zu sehr als Selbstverständlichkeit hin. Ich will Europa und seine unglaublichen Vorteile für Thüringen sichtbar machen.
Sie müssen immerhin keine von der Linkspartei geführte Landesregierung unterstützen und heimlich Koalitionspartner sein. Das kommt Ihnen doch bestimmt auch entgegen?
Ich habe Bodo Ramelow schon einmal bei einer Wahl besiegt im Wahlkreis. Nicht alles, was aktuell in Thüringen geschieht, verläuft so, dass man sich darüber freuen kann.
Und Ihre Partei trägt das mit. Aber Stabilität ist insbesondere in der Coronakrise unersetzlich. Auch in Brüssel, wo es Debatten über die Beschaffung von Impfstoff gegeben hat. Wie haben Sie das erlebt?
Die Europäische Kommission war gar nicht zuständig für das Thema, hat aber den Auftrag der 27 Nationalstaaten erhalten. Das finde ich richtig. Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn sich die europäischen Staaten noch gegenseitig bei der Beschaffung überboten hätten. Einen Eindruck, was das bedeutet, konnten wir am Anfang der Pandemie mit mancher Konfusion am Binnenmarkt erleben, die durch Grenzschließungen und nicht besprochene Reaktionen entstand.
Bei der Impfstoffbeschaffung war die Europäische Kommission trotzdem zu langsam.
Das sehe ich anders. Im Juni 2020 ging es ja los mit der Beschaffung; und es wurde ein Mix bestellt aus Impfstoffen, die damals noch gar nicht am Markt waren. Dass Astrazeneca nicht so schnell zugelassen wurde wie erhofft, war nicht kalkulierbar. Jeder hat damals auf Curevac gesetzt, davon hatte die EU 500
Millionen Impfdosen bestellt. Am Ende hatte Biontech die Nase vorn. Das zeigt deutlich, was das für ein dynamischer Prozess ist.
Kleinere Länder bleiben bei der Impfstoffbeschaffung aber wesentlich flexibler. Das kann doch einer Pandemiebekämpfung nur zuträglich sein.
Die Europäische Union hat viel Geld in die Entwicklung der Impfstoffe gesteckt. Das darf man dabei nicht vergessen. Jetzt wurden 300 Unternehmen zusammengenommen, damit die Produktion des Impfstoffes für die Zukunft gesichert ist. Davon profitieren alle Nationalstaaten. Einzelne hätten das nicht stemmen können. Das man, wie geschehen, plötzlich Millionen Dosen Impfstoff in Italien findet, kann man der Öffentlichkeit natürlich schwer vermitteln und darf so nie wieder geschehen. Nicht immer ist alles richtig gemacht worden, aber der grundsätzlich eingeschlagene Weg war gut. Man muss sich immer vor Augen halten, dass die Zuständigkeit für diesen Bereich eigentlich in den Nationalstaaten gelegen hätte.
Die Pandemie wird uns dennoch wesentlich länger beschäftigen, als von der Politik immer kommuniziert wurde. Die Leute zermürbt das langsam.
Wir haben in Brüssel kritisiert, dass die Informationspolitik der Kommission am Anfang nicht ausreichend war. Es wurde zu wenig erklärt. Aber wir haben alle einen Lerneffekt durchgemacht. Einen Plan für zukünftige Ereignisse, den hat man jetzt eher in der Tasche als man ihn vor einem Jahr hatte.
Wie nachhaltig wird die Gemeinschaft unter dieser Krise leiden?
Die Bewältigung solcher Krisen funktioniert nur gemeinschaftlich. Das muss man sich gerade zum Europatag bewusst machen. Die Konferenz zur Zukunft Europas am 9. Mai wird viel Wegweisendes für die Zukunft besprechen. Man muss über Kompetenzen sprechen ...
… weil Sie wollen, dass die Nationalstaaten mehr noch nach Brüssel und Straßburg abgeben?
Das kann man so einfach nicht sagen. Jede Ebene soll das machen, was sie am besten kann. Die Staaten sollen souverän bleiben. Aber ich finde, dass man klarer definieren sollte, wo die ausschließliche Kompetenz für Europa liegt.
Zum Beispiel in der Klimapolitik?
Der Umweltbereich muss genau so eine ausschließliche Kompetenz für Europa sein. Hier ist Europa auch schon sehr weit. Klima und Wetter machen nicht an der Grenze Halt. Deshalb stand der „Green Deal“am Anfang der Legislatur. Dass Europa 2050 als klimaneutraler Kontinent aufgestellt sein soll, ist keine unerreichbare Zukunftsvision. Die Nationalstaaten haben sich darauf verständigt.
Das heißt nichts.
Doch. Künftig wird sich alles, was Europa beschließt, fördert oder anschiebt, diesem Ziel unterordnen. Sei es Landwirtschaftspolitik, Recycling oder Umweltpolitik. Über allem steht die Überschrift des „Green Deal“. Für die Wirtschaft wird das eine Herausforderung, für das Klima ist es ein Riesenschritt nach vorn.
All das findet auf der großen europäischen Bühne statt – weitab von Ihrer Heimat. Was haben die Thüringerinnen und Thüringer eigentlich von der Arbeit des Parlaments in Brüssel und Straßburg?
Unsere Arbeit beeinflusst zwei Drittel unseres Lebensalltags. Das reicht von der Qualität des Badewassers über die Roaminggebühren fürs Mobiltelefon bis zur Abfallentsorgung. All das bestimmt Europa. Aber es gibt natürlich auch Geld aus Europa, etwa für die landwirtschaftlichen Betriebe in Thüringen. Oder Sozialprogramme. Oder Forschung und Entwicklung. Oder für die gerade angelaufene Bundesgartenschau. Die 70-jährige Erfolgsgeschichte Europas ist auch eine Erfolgsgeschichte für die Thüringerinnen und Thüringer. Wir sind ein Exportland und brauchen den europäischen Binnenmarkt. Thüringen braucht Europa.