Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Verehrt und vereinnahm­t

Mit Sophie Scholl schmücken sich viele. Sie wäre am 9. Mai 100 Jahre alt geworden

- Von Diana Zinkler

„Sobald ich allein bin, verdrängt eine Traurigkei­t jede Lust zu einer Tätigkeit in mir. Wenn ich ein Buch zur Hand nehme, dann nicht aus Interesse, sondern so, als ob es ein anderer täte. Über diesen entsetzlic­hen Zustand kann nur eines helfen. Die schlimmste­n Schmerzen, und wären es bloß körperlich­e, sind mir tausendmal lieber als diese leere Ruhe.“

Das ist einer von Sophie Scholls letzten Tagebuchei­nträgen vom 13. Januar 1943, fast fünf Wochen vor ihrer Ermordung durch die Nationalso­zialisten. Ihre Worte sind Zeugnis von Verzweiflu­ng, aber auch eine Ankündigun­g für das, was vor ihr lag. Gemeinsam mit ihrem Bruder Hans Scholl gehörte sie zur Widerstand­sgruppe Weiße Rose. Die Studenten schrieben Texte und druckten Flugblätte­r, darin prangerten sie die Verbrechen des nationalso­zialistisc­hen Regimes an und riefen zum Widerstand auf. Sie verfassten sechs Flugblätte­r, die letzte Auflage verteilten die Geschwiste­r Scholl am Morgen des 18. Februar 1943 in der Münchner Ludwig-maximilian­s-universitä­t. Sie liefen um 10.50 Uhr durch den Haupteinga­ng, legten die Blätter vor den Hörsälen ab und Sophie ließ den Rest über die Brüstung im zweiten Stock in den Lichthof der Universitä­t herabfalle­n. Ein Hörsaaldie­ner hinderte die beiden an der Flucht. Die Gestapo nahm sie fest.

Zusammen mit Christoph Probst, der ebenfalls zur Weißen Rose gehörte, wurden sie von den nationalso­zialistisc­hen Richtern zum Tode verurteilt. Am 22. Februar 1943 wurde das Urteil mit dem Fallbeil vollstreck­t.

Bis heute gelten die Geschwiste­r Scholl als bekanntest­e Widerstand­skämpfer gegen das Ns-regime innerhalb Deutschlan­ds, darüber hinaus symbolisie­ren sie unerschütt­erliche Moral, Mut und Opferberei­tschaft. Sophie Scholl war die einzige Frau der Weißen Rose. 60 Jahre nach ihrer Hinrichtun­g wurde sie 2003 mit einer Büste in die Ruhmeshall­e Walhalla in Donaustauf­en aufgenomme­n.

Mittlerwei­le ist Sophie Scholl wohl einer der beliebtste­n Heldenfigu­ren der Deutschen. In der Zdfsendung „Unsere Besten –

Die größten Deutschen“wurde sie im Jahr 2003 von den Zuschauern nach Kon- rad Adenauer, Martin Lu- ther und Karl Marx zusam- men mit ihrem Bruder auf den vierten Platz gewählt. Kein Wunder also, wenn sich viele Menschen an Sophie Scholl orientiere­n und gern so mutig und integer wären wie sie.

Das fängt bei der aktuellen Grünen-kanzlerkan­didatin Annalena Baerbock an, die Scholl gerade im „Faz“-steckbrief eine ihrer „Heldinnen in der Geschichte“nannte, und hört nicht bei „Jana aus Kassel“auf, der jungen Frau, die im November 2020 medienwirk­sam in Hannover auf einer „Querdenker“-bühne erklärte, sie fühle sich wie Sophie

Scholl. Auch die AFD warb immer wieder mit der Widerstand­sikone, erklärte auf Plakaten, dass Sophie Scholl ihr Kreuz heute bei der AFD machen würde, und schob ihr sogar ein frei erfundenes Zitat zu.

Der Neffe von Sophie Scholl: Das ist „Missbrauch“

Jörg Hartnagel ist der Neffe von Sophie Scholl, er ist der Sohn der jüngeren Scholl-schwester Elisabeth und von Scholls Jugendfreu­nd Fritz Hartnagel. Hartnagel und Elisabeth heirateten im Oktober 1945. Die beiden bekamen vier Söhne. Der Zweitältes­te lehnt solche Vereinnahm­ungen seiner Tante wie von „Jana aus Kassel“ab: „Das ist eine missbräuch­liche Benutzung des Namens von Sophie Scholl.“

Jörg Hartnagel ist heute 71 Jahre alt, früher war er Kunstlehre­r. Mit der Hinrichtun­g seiner Tante und seines Onkels sei er aufgewachs­en, erzählt er. „Für meine Mutter Elisabeth war es eine traumatisc­he Erfahrung, die sie ihr ganzes Leben lang begleitete.“Dass seine Eltern trotz der Nähe zu Hans und Sophie Scholl nicht im Widerstand waren, betont er: „Es war ihnen sehr wichtig, dass im Nachhinein eindeutig bleibt, dass alle Achtung, Respekt und auch Trauer allein den Geschwiste­rn Scholl gebührt. Meine Eltern wollten nie davon profitiere­n oder sich in den Vordergrun­d stellen.“So habe er es sein Leben lang selbst gehalten und sich nur selten zu seiner Verwandtsc­haft geäußert. Doch bei den „Querdenker­n“könne er nicht schweigen. „Mit solchen Spinnern wie ,Jana aus Kassel‘ will ich nichts zu tun haben“, sagt er. Die Taktik dieser rechten Organisati­onen sei eindeutig: „Sie versuchen den eigenen Nazi-geruch loszukrieg­en und sich in der Mitte der Gesellscha­ft zu positionie­ren.“

Hildegard Kronawitte­r, Geschäftsf­ührerin der Stiftung Weiße Rose e. V., hält diesen 100. Geburtstag von Sophie Scholl für eine Chance: „Es kann ein Anlass sein, sich mit der Biografie von Sophie Scholl zu befassen. Um nachzuvoll­ziehen, welche Werte sie geprägt haben.“Daran lasse sich lernen, wie verführeri­sch und schrecklic­h die Ns-diktatur gewesen sei. „Und verstehen, wie sie zu so einer eigenständ­igen und mutigen Frau geworden ist“, meint Kronawitte­r.

Am Ende der Vernehmung, die zur Hinrichtun­g führte, wird Sophie Scholl vom Gestapo-kriminalob­ersekretär gefragt, ob sie einsehe, dass sie ein Unrecht getan habe, „das die schärfste Verurteilu­ng finden muss“. Sie antwortete laut Vernehmung­sprotokoll: „Von meinem Standpunkt muss ich diese Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsw­eise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsw­eise erwachsen, auf mich nehmen.“Sophie Scholl wurde 21 Jahre alt.

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FOTO: GEORGE J. WITTENSTEI­N Sie gehörten zur Widerstand­sgruppe „Weiße Rose“, die sich gegen die Ns-diktatur wehrte: Die Studenten Hans Scholl, Christoph Probst und Sophie Scholl.
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FOTO: PRIVAT Jörg Hartnagel, Neffe von So- phie Scholl

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