Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Wann Covid-19 ein Schulunfall ist
Was viele Eltern nicht wissen: Die gesetzliche Unfallkasse zahlt in schweren Fällen Nachhilfe, Reha, Rente
Erkrankt ein Kind an Covid19, denken vermutlich wenige an die Schüler-unfallversicherung – anders als nach einem Unfall im Sportunterricht oder auf dem Weg zur Schule. Dabei kann sich der gesetzliche Schutz als höchst wertvoll erweisen – vor allem dann, wenn die Gesundheit des Kindes auf Dauer geschädigt sein sollte. Beiträge für die Versicherung zahlen die Eltern nicht. Damit die Unfallkasse leistet, müssen allerdings bestimmte Bedingungen erfüllt sein.
Wann liegt ein Corona-schulunfall vor?
Als Versicherungsfall anerkannt werden kann die Covid-19-erkrankung, wenn die Infektion eindeutig auf den Schulbesuch zurückzuführen ist. Es müsse nachweislich ein „enger Kontakt mit einer infektiösen Person (,Indexperson‘)“in diesem Rahmen stattgefunden haben, erläutert die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). Die weiteren Voraussetzungen laut DGUV: Es liegt ein positiver PCRTEST für das Kind vor und es sind Krankheitssymptome dokumentiert.
Um welche Kontakte geht es?
Von einem „intensiven Kontakt“mit einer infizierten Person spricht der Spitzenverband bei einer Kontaktdauer von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als eineinhalb bis zwei Metern. „Im Einzelfall kann auch ein zeitlich kürzerer Kontakt ausreichen, wenn es sich um eine besonders intensive Begegnung gehandelt hat“, heißt es in den Richtlinien. Bei Corona-infektionen in der Freizeit greift der gesetzliche Schutz nicht.
Welche Leistungen bietet die Versicherung?
Das hängt vom konkreten Einzelfall ab. Neben der Heilbehandlung können auch Reha-maßnahmen (Teilhabe am Arbeitsleben, Leben in der Gemeinschaft) und Nachhilfestunden finanziert werden. „Damit Schülerinnen und Schüler nicht den Anschluss in der Schule verpassen, fördern wir sie bei Bedarf mit Einzelunterricht“, berichtet etwa die Unfallkasse Nordrhein-westfalen. Eine Versichertenrente können Schwerstbetroffene erhalten, deren Erwerbsfähigkeit zu mindestens 20 Prozent dauerhaft gemindert bleibt.
Wie können Eltern reagieren?
Für eine Unfallanzeige beim Versicherungsträger zuständig ist die Schule. Liegen die Voraussetzungen für einen Schulunfall vor, sollten die Eltern die Covid-19-erkrankung der
Schulleitung melden – „insbesondere wenn ein qualifizierter Kontakt zu einer Indexperson bestanden hat“, rät eine Dguv-sprecherin auf Anfrage.
Und wenn mein Kind keine Symptome hat?
Liegen keine Krankheitssymptome vor, kann die Infektion mit Sarscov-2 im sogenannten Verbandbuch der Schule dokumentiert werden. Kommt es nach einiger Zeit doch noch zu einer schweren Erkrankung, helfen diese Daten der Unfallkasse bei ihren Ermittlungen, so die Dguv-sprecherin.
Wichtig zu wissen: Laut Robertkoch-institut
(RKI) können „Wochen oder Monate nach der akuten Erkrankung noch Symptome vorhanden sein oder neu auftreten“. Kinder würden zwar deutlich seltener schwer krank als Erwachsene. Es gebe aber erste Studien, die zeigen, „dass es eben auch bei Kindern Long Covid geben kann“, sagte Rki-präsident Lothar Wieler Ende April.
Wie viele Fallmeldungen gibt es? Gemessen an den Rki-zahlen ist die Anzahl der gemeldeten Coronaschulunfälle äußerst gering. Seit Beginn der Pandemie registrierten die Unfallkassen laut DGUV 372
Meldungen (Stand: Ende März), von denen 209 als Schulunfall bestätigt wurden (56 Prozent).
Zum Vergleich: Das RKI verzeichnete 1020 sogenannte Schulausbrüche mit 5404 Covid-19-fällen allein zwischen Mitte Juli und Mitte Dezember 2020. Für diese Ausbrüche werde angenommen, dass sich zumindest eine Person in der Schule infizierte, so das RKI auf Anfrage. Bis Ende April 2021 verzeichnete das RKI insgesamt 2038 Covid-19-ausbrüche „im Schulsetting“mit 10.006 Fällen. Lässt sich der Unterschied erklären? Ob mangelndes Wissen der Eltern um den Versicherungsschutz eine Rolle spielt, ist ungewiss. „Zur Diskrepanz der Zahlen des RKI und unseren Unfallmeldungen liegen uns keine Erkenntnisse vor“, so die Dguv-sprecherin.
Nach Einschätzung etwa der Unfallkasse NRW, der bislang 43 Covid-19-erkrankungen als Schulunfall gemeldet wurden (drei anerkannt), erklären sich die niedrigen Fallzahlen „durch eine lange Zeit des Distanzunterrichts, durch wirksame Hygienekonzepte, Lüftungsmaßnahmen und Maskenpflicht“. Die Unfallkasse Nord, der für Hamburg und Schleswig-holstein
überhaupt keine Meldungen vorliegen, kann sich dies so erklären, dass es sich um „eher symptomlose“Corona-infektionen im Schulbereich handele, für die keine Meldepflicht oder wegen des milden Verlaufs kein Meldebedarf bestehe.
Auch der Unfallkasse Thüringen wurden bisher keine Covid-19-fälle als Schulunfall gemeldet. Der Unfallkasse Berlin liegen 64 Covid-19meldungen für Schülerinnen und Schüler vor, der Unfallkasse Niedersachsen sechs.
Wie hoch sind die Renten?
Sollten schwer erkrankte Kinder Dauerschäden erleiden, kann ihnen die Rente der Unfallkasse lebenslang helfen – denn Ansprüche an die gesetzliche Rentenversicherung haben sie noch nicht. Die Rentenhöhe hängt ab von der individuellen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MDE) und einem fiktiven Jahresarbeitsverdienst.
Beispiel: Ein zehnjähriges Kind erhält nach einem Schulunfall mit MDE von 40 Prozent bis zum 15. Lebensjahr eine Monatsrente von rund 290 Euro, die sich mit dem Alter stufenweise erhöht auf bis zu rund 880 Euro ab dem 30. Lebensjahr (Dguv-angaben).