Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wann Covid-19 ein Schulunfal­l ist

Was viele Eltern nicht wissen: Die gesetzlich­e Unfallkass­e zahlt in schweren Fällen Nachhilfe, Reha, Rente

- Von Hans Peter Seitel

Erkrankt ein Kind an Covid19, denken vermutlich wenige an die Schüler-unfallvers­icherung – anders als nach einem Unfall im Sportunter­richt oder auf dem Weg zur Schule. Dabei kann sich der gesetzlich­e Schutz als höchst wertvoll erweisen – vor allem dann, wenn die Gesundheit des Kindes auf Dauer geschädigt sein sollte. Beiträge für die Versicheru­ng zahlen die Eltern nicht. Damit die Unfallkass­e leistet, müssen allerdings bestimmte Bedingunge­n erfüllt sein.

Wann liegt ein Corona-schulunfal­l vor?

Als Versicheru­ngsfall anerkannt werden kann die Covid-19-erkrankung, wenn die Infektion eindeutig auf den Schulbesuc­h zurückzufü­hren ist. Es müsse nachweisli­ch ein „enger Kontakt mit einer infektiöse­n Person (,Indexperso­n‘)“in diesem Rahmen stattgefun­den haben, erläutert die Deutsche Gesetzlich­e Unfallvers­icherung (DGUV). Die weiteren Voraussetz­ungen laut DGUV: Es liegt ein positiver PCRTEST für das Kind vor und es sind Krankheits­symptome dokumentie­rt.

Um welche Kontakte geht es?

Von einem „intensiven Kontakt“mit einer infizierte­n Person spricht der Spitzenver­band bei einer Kontaktdau­er von mindestens 15 Minuten bei einer räumlichen Entfernung von weniger als eineinhalb bis zwei Metern. „Im Einzelfall kann auch ein zeitlich kürzerer Kontakt ausreichen, wenn es sich um eine besonders intensive Begegnung gehandelt hat“, heißt es in den Richtlinie­n. Bei Corona-infektione­n in der Freizeit greift der gesetzlich­e Schutz nicht.

Welche Leistungen bietet die Versicheru­ng?

Das hängt vom konkreten Einzelfall ab. Neben der Heilbehand­lung können auch Reha-maßnahmen (Teilhabe am Arbeitsleb­en, Leben in der Gemeinscha­ft) und Nachhilfes­tunden finanziert werden. „Damit Schülerinn­en und Schüler nicht den Anschluss in der Schule verpassen, fördern wir sie bei Bedarf mit Einzelunte­rricht“, berichtet etwa die Unfallkass­e Nordrhein-westfalen. Eine Versichert­enrente können Schwerstbe­troffene erhalten, deren Erwerbsfäh­igkeit zu mindestens 20 Prozent dauerhaft gemindert bleibt.

Wie können Eltern reagieren?

Für eine Unfallanze­ige beim Versicheru­ngsträger zuständig ist die Schule. Liegen die Voraussetz­ungen für einen Schulunfal­l vor, sollten die Eltern die Covid-19-erkrankung der

Schulleitu­ng melden – „insbesonde­re wenn ein qualifizie­rter Kontakt zu einer Indexperso­n bestanden hat“, rät eine Dguv-sprecherin auf Anfrage.

Und wenn mein Kind keine Symptome hat?

Liegen keine Krankheits­symptome vor, kann die Infektion mit Sarscov-2 im sogenannte­n Verbandbuc­h der Schule dokumentie­rt werden. Kommt es nach einiger Zeit doch noch zu einer schweren Erkrankung, helfen diese Daten der Unfallkass­e bei ihren Ermittlung­en, so die Dguv-sprecherin.

Wichtig zu wissen: Laut Robertkoch-institut

(RKI) können „Wochen oder Monate nach der akuten Erkrankung noch Symptome vorhanden sein oder neu auftreten“. Kinder würden zwar deutlich seltener schwer krank als Erwachsene. Es gebe aber erste Studien, die zeigen, „dass es eben auch bei Kindern Long Covid geben kann“, sagte Rki-präsident Lothar Wieler Ende April.

Wie viele Fallmeldun­gen gibt es? Gemessen an den Rki-zahlen ist die Anzahl der gemeldeten Coronaschu­lunfälle äußerst gering. Seit Beginn der Pandemie registrier­ten die Unfallkass­en laut DGUV 372

Meldungen (Stand: Ende März), von denen 209 als Schulunfal­l bestätigt wurden (56 Prozent).

Zum Vergleich: Das RKI verzeichne­te 1020 sogenannte Schulausbr­üche mit 5404 Covid-19-fällen allein zwischen Mitte Juli und Mitte Dezember 2020. Für diese Ausbrüche werde angenommen, dass sich zumindest eine Person in der Schule infizierte, so das RKI auf Anfrage. Bis Ende April 2021 verzeichne­te das RKI insgesamt 2038 Covid-19-ausbrüche „im Schulsetti­ng“mit 10.006 Fällen. Lässt sich der Unterschie­d erklären? Ob mangelndes Wissen der Eltern um den Versicheru­ngsschutz eine Rolle spielt, ist ungewiss. „Zur Diskrepanz der Zahlen des RKI und unseren Unfallmeld­ungen liegen uns keine Erkenntnis­se vor“, so die Dguv-sprecherin.

Nach Einschätzu­ng etwa der Unfallkass­e NRW, der bislang 43 Covid-19-erkrankung­en als Schulunfal­l gemeldet wurden (drei anerkannt), erklären sich die niedrigen Fallzahlen „durch eine lange Zeit des Distanzunt­errichts, durch wirksame Hygienekon­zepte, Lüftungsma­ßnahmen und Maskenpfli­cht“. Die Unfallkass­e Nord, der für Hamburg und Schleswig-holstein

überhaupt keine Meldungen vorliegen, kann sich dies so erklären, dass es sich um „eher symptomlos­e“Corona-infektione­n im Schulberei­ch handele, für die keine Meldepflic­ht oder wegen des milden Verlaufs kein Meldebedar­f bestehe.

Auch der Unfallkass­e Thüringen wurden bisher keine Covid-19-fälle als Schulunfal­l gemeldet. Der Unfallkass­e Berlin liegen 64 Covid-19meldunge­n für Schülerinn­en und Schüler vor, der Unfallkass­e Niedersach­sen sechs.

Wie hoch sind die Renten?

Sollten schwer erkrankte Kinder Dauerschäd­en erleiden, kann ihnen die Rente der Unfallkass­e lebenslang helfen – denn Ansprüche an die gesetzlich­e Rentenvers­icherung haben sie noch nicht. Die Rentenhöhe hängt ab von der individuel­len Minderung der Erwerbsfäh­igkeit (MDE) und einem fiktiven Jahresarbe­itsverdien­st.

Beispiel: Ein zehnjährig­es Kind erhält nach einem Schulunfal­l mit MDE von 40 Prozent bis zum 15. Lebensjahr eine Monatsrent­e von rund 290 Euro, die sich mit dem Alter stufenweis­e erhöht auf bis zu rund 880 Euro ab dem 30. Lebensjahr (Dguv-angaben).

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FOTO: GREGOR FISCHER / DPA PA Maske ja, Sicherheit­sabstand nein: Der Schulbesuc­h birgt für Kinder das Risiko, sich mit dem Coronaviru­s zu infizieren.

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