Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Corona ist nur der Brandbeschleuniger“
Gehört die Zukunft den Reiseführern für Individualreisende? Ein Interview mit Katharina Hokema vom Michael Müller Verlag
Kürzlich haben die Verlage Reise Know-how, Trescher, Iwanowski und Michael Müller einen offenen Brief an die Buchhandlungen geschrieben. Sie postulieren, Reisen müsse nach der Corona-pandemie neu gedacht werden. Katharina Hokema, eine der Geschäftsführerinnen des Michael Müller Verlag, im Interview.
Worauf zielt ihre Forderung ab?
Katharina Hokema: Der Massentourismus ist schon vor Corona an seine Grenzen gestoßen. Hotspots wie Venedig und Dubrovnik waren so überfüllt, dass sie an Attraktivität verloren haben. Da ist Corona nur so etwas wie ein Brandbeschleuniger,
der zu anderen Verhaltensweisen führen wird. Viele wollen weg von den Hotspots und besuchen lieber kleinere Städte oder den ländlichen Raum. Genau dafür haben wir die passenden Reiseführer.
Inwiefern?
In unseren Reiseführern finden Sie auch den kleinsten Ort und das letzte Café. Zudem bewerten unsere Autoren die Adressen und viele Leser orientieren sich daran.
Wird es künftig mehr Pauschal- als Individualreisende geben, weil erstere besser abgesichert sind?
Bei Fernreisen wird das sicher erst einmal der Fall sein. Selbst einen Flug nach Südindien buchen, das werden nicht viele machen. Diese
Reiseform wird einen Dämpfer bekommen. Aber ich bin schon sehr lange im Reisemarkt tätig, und es hat sich immer wieder gezeigt, dass das Gedächtnis der Urlauber nach einer Krise extrem kurz ist.
Was sind „Individualreisende“?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Mit dem Backpacker aus den 1980er-jahren, der ohne Planung und Buchung losgezogen ist, hat das nichts mehr zu tun. Durch die einfachen Buchungsmöglichkeiten im Internet hat sich der Markt völlig geändert und zu einer enormen Zunahme der Individualität geführt. Da bucht man sich selbst seinen Billigflug und vor Ort ein passendes Hotel. Aber nicht bei allen Urlaubern führt das zu einem anderen Reiseverhalten. Manche bleiben zwei Wochen im Hotel. Andere möchten eine Anleitung, was sie in der Umgebung ansehen oder wo sie essen gehen können. Und dann gibt es die Bewegungsreisenden, die alle zwei bis drei Tage den Ort wechseln.
Sind nicht gerade Reiseführer für Individualtouristen daran schuld, wenn aus verschlafenen Örtchen touristische Hotspots werden?
Das stimmt. Es gibt inzwischen sicher Orte, an die man inzwischen nicht mehr hinfahren kann. Das liegt aber vor allem an dem Weltmarktführer Lonely Planet, der mit seinen englischsprachigen Reiseführern einen riesigen Markt abdeckt und sich zudem an Reisende wendet, die gern auf Gleichgesinnte treffen. Unsere Reiseführer sind auf Deutsch und daher auf eine viel kleinere Gruppe beschränkt.
Seit Corona sind die Reisemöglichkeiten beschränkt, ihr Team kannn nicht vor Ort recherchieren. Wie bleiben Ihre Bücher aktuell?
Natürlich haben unsere langjährigen Autoren oftmals ihre Netzwerke
vor Ort. Aber das funktioniert auch nicht immer perfekt. Und gerade die Vorort-recherche ist es, was die Qualität unserer Reiseführer ausmacht. Dieses Jahr müssen unsere Kunden schon mal damit rechnen, dass nicht alle Informationen aktuell sind. Das eine Hotel macht zu, öffnet später aber wieder. Das andere macht ganz dicht. Reisen wird daher wieder ein bisschen mehr Abenteuer.