Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Der BärlauchBrauch
Jedes Jahr im Frühling trifft sich die Familie unserer Autorin an einem geheimen Ort, an dem es ziemlich auffällig nach Knoblauch riecht
Zugegeben, in unserer vierköpfigen Familie gibt es noch nicht allzu viele Traditionen. Eine davon aber ist der sogenannte Bärlauch-brauch. Als er entstand, waren unsere beiden Kinder noch klein. Erst wenige Wochen zuvor waren wir umgezogen und unternahmen daher gemeinsam eine Fahrradtour, um die nähere Umgebung unseres neuen Zuhauses besser kennenzulernen. Wir radelten gerade durch einen Park, als wir dort in einem kaum besuchten, stillen Winkel eine Frau bemerkten, die in einem schattigen, scheinbar sich selbst überlassenen Beet etwas vom Boden zu pflücken schien. Es war Ende März, Pilze schieden als das Objekt ihrer Begierde von daher zweifellos aus. Neugierig rief ich ihr zu, was sie wohl dort sammle. Die Frau blickte überrascht auf, sah sich langsam in alle Richtungen um, schlich dann auf uns zu und flüsterte: „Das ist ein Bärlauchfeld. Aber nicht weitersagen!“
Interessiert stiegen wir alle vier von unseren Rädern ab und taten es ihr gleich. Rasch hatten wir einen Fahrradkorb voll, der nach Knoblauch duftenden Blätter zusammengesammelt. Also nichts wie ab nach Hause mit der Beute. Gutes Olivenöl und Parmesan hatten wir vorrätig und zum Glück fanden sich auch noch Pinienkerne im
Vorratsschrank. In Nullkommanichts war das Bärlauch-pesto fertig und damit gleichzeitig auch die neue Lieblingsnudelsoße unserer Kinder geboren.
Eine Tradition, die die Ankunft des Frühlings markiert
Seit jenem Sonntagnachmittag ist kein Jahr vergangen, in welchem wir nicht im Frühjahr „unser“Bärlauchfeld besucht haben. Es geht dabei nicht allein darum, die jeweilige Pestosaison einzuläuten, dieser Ausflug ist längst zu einem festen Ritual geworden, eine liebgewonnene Tradition, die für uns jedes Jahr aufs Neue die Ankunft des Frühlings markiert.
Noch nicht einmal das verdammte Corona-virus konnte diesem Familienbrauch etwas anhaben. Im Gegenteil: Auch dieses Jahr stellte sich beim gemeinsamen Sammeln der Bärlauchblätter sowohl bei meinem Mann und mir als auch bei unserer inzwischen volljährigen Tochter und ihrem pubertierenden Bruder erneut jenes vertraute Gefühl ein. Ein Stück heile Welt sowie die Hoffnung darauf, dass wenn wir im nächsten Jahr wieder unser Bärlauchfeld besuchen, der Spuk der Pandemie endlich hinter uns liegen wird. Wie auch immer – heute Abend ist ohnehin erstmal alles gut, denn heute Abend gibt es Nudeln mit Bärlauch-pesto.