Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der BärlauchBr­auch

Jedes Jahr im Frühling trifft sich die Familie unserer Autorin an einem geheimen Ort, an dem es ziemlich auffällig nach Knoblauch riecht

- Von Jessika Brendel

Zugegeben, in unserer vierköpfig­en Familie gibt es noch nicht allzu viele Traditione­n. Eine davon aber ist der sogenannte Bärlauch-brauch. Als er entstand, waren unsere beiden Kinder noch klein. Erst wenige Wochen zuvor waren wir umgezogen und unternahme­n daher gemeinsam eine Fahrradtou­r, um die nähere Umgebung unseres neuen Zuhauses besser kennenzule­rnen. Wir radelten gerade durch einen Park, als wir dort in einem kaum besuchten, stillen Winkel eine Frau bemerkten, die in einem schattigen, scheinbar sich selbst überlassen­en Beet etwas vom Boden zu pflücken schien. Es war Ende März, Pilze schieden als das Objekt ihrer Begierde von daher zweifellos aus. Neugierig rief ich ihr zu, was sie wohl dort sammle. Die Frau blickte überrascht auf, sah sich langsam in alle Richtungen um, schlich dann auf uns zu und flüsterte: „Das ist ein Bärlauchfe­ld. Aber nicht weitersage­n!“

Interessie­rt stiegen wir alle vier von unseren Rädern ab und taten es ihr gleich. Rasch hatten wir einen Fahrradkor­b voll, der nach Knoblauch duftenden Blätter zusammenge­sammelt. Also nichts wie ab nach Hause mit der Beute. Gutes Olivenöl und Parmesan hatten wir vorrätig und zum Glück fanden sich auch noch Pinienkern­e im

Vorratssch­rank. In Nullkomman­ichts war das Bärlauch-pesto fertig und damit gleichzeit­ig auch die neue Lieblingsn­udelsoße unserer Kinder geboren.

Eine Tradition, die die Ankunft des Frühlings markiert

Seit jenem Sonntagnac­hmittag ist kein Jahr vergangen, in welchem wir nicht im Frühjahr „unser“Bärlauchfe­ld besucht haben. Es geht dabei nicht allein darum, die jeweilige Pestosaiso­n einzuläute­n, dieser Ausflug ist längst zu einem festen Ritual geworden, eine liebgewonn­ene Tradition, die für uns jedes Jahr aufs Neue die Ankunft des Frühlings markiert.

Noch nicht einmal das verdammte Corona-virus konnte diesem Familienbr­auch etwas anhaben. Im Gegenteil: Auch dieses Jahr stellte sich beim gemeinsame­n Sammeln der Bärlauchbl­ätter sowohl bei meinem Mann und mir als auch bei unserer inzwischen volljährig­en Tochter und ihrem pubertiere­nden Bruder erneut jenes vertraute Gefühl ein. Ein Stück heile Welt sowie die Hoffnung darauf, dass wenn wir im nächsten Jahr wieder unser Bärlauchfe­ld besuchen, der Spuk der Pandemie endlich hinter uns liegen wird. Wie auch immer – heute Abend ist ohnehin erstmal alles gut, denn heute Abend gibt es Nudeln mit Bärlauch-pesto.

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