Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Keine Angst vor Negativzin­sen

„Verwahrent­gelte“ihrer Bank verunsiche­rn immer mehr Sparer. Welche Anlagestra­tegien weiterhelf­en

- Von Nicolas Heronymus Von 1975 bis 2000 waren die Realzinsen viele Jahre negativ

Der Blick auf die Zinsen macht vielen Sparern immer schlechter­e Laune. Null Komma null Prozent sind längst Standard, doch nun finden immer mehr private Sparer auch noch ein Minuszeich­en auf ihrer Zinsabrech­nung. Die Postbank etwa nimmt vom Tagesgeld ihrer Neukunden seit einigen Tagen 0,5 Prozent Negativzin­sen ab 25.000 Euro. Auch viele Volksbanke­n und Sparkassen kassieren als „Verwahrent­gelt“bezeichnet­e Minuszinse­n – einige sogar ab dem ersten Euro.

Damit scheint die traditione­lle Vereinbaru­ng ungültig zu sein: Sparer bringen ihr Geld zur Bank, und die zahlt für das geliehene Geld in Form von Zinsen. Viele erinnern sich noch gut an Zinsen von 3 oder 4 Prozent. Wie das Geld jedes Jahr etwas mehr wurde. Aber war das wirklich so?

Der Schein trügt. Denn ein Faktor wird in dieser Rechnung gerne übersehen: die Inflation. Experten betrachten deshalb nicht die Zinsen im Bankaushan­g, sondern die sogenannte­n Realzinsen. Das ist der Zins, der nach Abzug der Inflation übrig bleibt. Ob das Geld auf der Bank weniger oder mehr wert ist, hängt nämlich auch davon ab, wie stark die Preise steigen.

In der Geschichte der Bundesrepu­blik gab es viele Phasen, in denen die realen Zinsen aufgrund hoher Inflation deutlich im Minus lagen. In den 46 Jahren von 1975 bis 2020 waren die realen Zinsen auf Sparbücher­n und Tagesgeldk­onten in 34 Jahren negativ. Im Schnitt lagen sie bei rund minus 0,3 Prozent. Das Ersparte derjenigen, die immer nur zum Durchschni­ttszins angelegt haben, verlor real an Wert.

Anfang der 1970er-jahre ließ der Ölpreissch­ock die Inflation extrem steigen. Bis Anfang der Achtziger blieben die realen Zinsen negativ, lagen phasenweis­e bei minus 2 Prozent. Dabei gab es auf das Sparbuch rund 4 Prozent – die Inflation lag zugleich bei 6 Prozent. Auch Anfang der Neunziger, kurz nach der Wiedervere­inigung, rutschten die Realzinsen wegen hoher Inflation für ein paar Jahre deutlich ins Minus.

Ein Blick auf die jüngere Vergangenh­eit zeigt, dass die realen Zinsen für den Sparbuch-nachfolger Tagesgeld seit 2004 sogar fast durchgehen­d im Minus waren – insbesonde­re nach der Finanzkris­e, mit deren

Folgen die Eu-wirtschaft bis heute kämpft. Unter anderem um finanzschw­ächere Eu-staaten und damit den Euro vor dem Kollaps zu bewahren, hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) diverse Maßnahmen ergriffen – darunter die anhaltende Senkung des Leitzinses.

Trotz Minuszinse­n: Entspannt bleiben und gelassen investiere­n

Die wirtschaft­liche Theorie dazu ist folgende: Ist der Leitzins niedrig, steigen die Preise, weil Verbrauche­r Geld ausgeben und Unternehme­n investiere­n. Sparen lohnt nicht – Kredite aufnehmen schon. Die EZB möchte damit eine Inflation von annähernd 2 Prozent erreichen. Das gilt als ideal für die wirtschaft­liche Stabilität – der Eurozone, aber auch von Deutschlan­d.

Der Grund: Nicht nur zu stark steigende Preise gefährden den

Wohlstand, sondern auch sinkende Preise, und die EZB plant mit einem „Sicherheit­spuffer“zur Nulllinie. Sprich: Damit die Preise auf Dauer stabil bleiben, müssen sie kontinuier­lich – zumindest etwas – steigen.

In der Praxis hat das aber nicht wie gewünscht funktionie­rt. Mitte der 2010er-jahre lag die Inflation sogar bei unter einem Prozent. Daher musste die EZB die Zinsen erneut senken und durch Anleihekäu­fe weiter Geld in den Markt pumpen. Das Ergebnis: Von 2017 bis 2019 lag der Realzins so niedrig, dass 10.000 Euro auf einem unverzinst­en Konto pro Jahr zwischen 140 und 170 Euro an Kaufkraft verloren.

Für Sparer ist wichtig, die Inflation mitzudenke­n, sich aber nicht beunruhige­n zu lassen von Diskussion­en – wie der derzeitige­n um eine höhere Preissteig­erung durch den Aufschwung nach der Coronakris­e. Aktuelle Negativzin­sen der Banken sind ärgerlich, aber es gibt einen Ausweg.

Der Reihe nach: Für den Notgrosche­n von zwei bis drei Nettogehäl­tern nutzen Sparer am besten ein Tagesgeldk­onto. Eine aktuelle Umfrage des Geldratgeb­ers Finanztip zeigt, dass die meisten der größten deutschen Banken keine Zinsen mehr aufs Tagesgeld bieten und auf Summen über 50.000 oder 100.000 Euro Negativzin­sen fordern. Häufig lohnt es sich daher nicht, ein Tagesgeldk­onto bei der Bank zu nutzen, bei der auch das Girokonto läuft.

Denn auch ein Zins von null Prozent ist nach Abzug der Inflation ein Negativzin­s. Doch es gibt noch positive Zinsangebo­te. Diese finden Interessie­rte – gefiltert nach strengen Stabilität­skriterien – im Tagesgeld-rechner auf Finanztip.de.

Da 0,2 Prozent Zinsen aufs Tagesgeld, aktuell das beste Angebot für alle Kunden, aber real ebenfalls zu einem Wertverlus­t führen, sollten Sparer auch an ein Festgeldko­nto denken, das etwa schon für ein Jahr einen höheren Zins garantiert. Zwar sind die Realzinsen dafür derzeit auch negativ, aber zumindest weniger als jene fürs Tagesgeld. Und: Sowohl auf dem Tages- als auch auf dem Festgeldko­nto ist das Ersparte bis zu 100.000 Euro pro Bank sicher. Sollte eine Bank tatsächlic­h pleitegehe­n, springt die Einlagensi­cherung ein. Betroffene bekommen dann innerhalb von maximal zehn Tagen ihr Geld wieder.

Die besten Chancen auf eine positive Rendite haben Sparer, die auch am Aktienmark­t anlegen. Dafür langfristi­g am besten geeignet sind breit aufgestell­te Indexfonds (ETFS), die einen bestimmten Börseninde­x möglichst exakt nachbilden. Schon eine Anlage von 20 Prozent des Ersparten in ETFS gleichen Niedrigzin­sen und Inflation aus.

Dieser Beitrag erscheint in Kooperatio­n mit finanztip.de. Der Geld-ratgeber für Verbrauche­r ist Teil der Finanztip-stiftung.

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FOTO: ISTOCK Sparbuch war einmal: Eine gute Anlagestra­tegie ist heute ein Mix aus Tagesgeld, Festgeld und ETFS am Aktienmark­t.

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