Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

TLZ startet Serie zur innerdeuts­chen Teilung

Christian Stöber vom Grenzmuseu­m Schifflers­grund zur innerdeuts­chen Teilung und den Folgen seit 1952 im Eichsfeld

- Von Gerlinde Sommer

Weimar. Der Mauerbau liegt am 13. August 60 Jahre zurück. Die innerdeuts­che Grenze jedoch war bereits zuvor kaum noch zu überwinden. In einer neuen Serie beleuchtet die TLZ unterschie­dliche Aspekte der Teilung. Dabei rücken vor allem Menschen, Schicksale und Ereignisse in der ehemaligen Sperrzone ins Blickfeld.

Asbach-sickenberg. Christian Stöber, Jahrgang 1987, leitet das Grenzmuseu­m Schifflers­grund. Der gebürtige Mühlhäuser hat in Marburg Geschichte studiert und seine Doktorarbe­it zum Eichsfelde­r „Rosenkranz­kommunismu­s“geschriebe­n. Er gibt Antwort auf wichtige Fragen zur innerdeuts­chen Teilung, vor allem auch mit Blick auf die damalige Grenze der DDR zu Hessen.

Wann beginnt die innerdeuts­che Teilung?

Am Anfang stehen das Ende des vom Ns-regime verursacht­en Weltkriegs und der zonalen Aufteilung durch die Alliierten. Da war aber noch nicht absehbar, wie diese Grenze in den Folgejahre­n zementiert wird. Von 1945 bis 1952 konnten etwa Bauern noch ziemlich unbehellig­t die Demarkatio­nslinie überschrei­ten, um etwa ihre Felder auf der anderen Seite zu bewirtscha­ften. Der illegale Grenzverke­hr gehörte zum Alltag. Es gab Grenzgänge­r, Schmuggel und Schwarzhan­del.

Was passiert 1952?

Es gibt im Sommer 1952 zwei einschneid­ende Maßnahmen: die Polizeiver­ordnung und die Einführung des Fünf-kilometer-sperrgebie­ts. Binnen weniger Wochen wurde direkt an der Grenze der Zehn-meterstrei­fen geschaffen. Wald wurde gerodet. Das mehrstufig­e Grenzregim­e bestand bis zum Ende fort und hatte im Alltag gravierend­e Auswirkung­en. Im 500-Meter-gebiet durften die Menschen unter anderem nach Sonnenunte­rgang das Haus nicht mehr verlassen. Besuch war kaum noch möglich…

In diese Zeit fällt die erste Aktion zur Zwangsumsi­edlung, „Ungeziefer“genannt. Was geschah damals und warum?

Binnen kürzester Zeit wurden 1952 politisch missliebig­e Personen aus dem Grenzgebie­t in das Landesinne­re ausgesiede­lt, ohne das diese wussten, warum, wohin und wie lange. Die Betroffene­n konnten an ihren zugewiesen­en Wohnorten oft nur schwer Fuß fassen, weil sie stigmatisi­ert wurden. Die zweite Aktion, „Kornblume“genannt, findet 1961 kurz nach dem Mauerbau statt. Das Ganze war ein Akt der Einschücht­erung, der Willkür und der Machtfesti­gung. Das ist ein übliches Machtinstr­ument in kommunisti­schen Diktaturen – und insofern keine Ddr-besonderhe­it.

Was passiert den leerstehen­den Gebäuden in den Grenzorten?

Ende der 1950er Jahre gibt es in der DDR die Überlegung, sie entweder abzureißen oder zu restaurier­en, damit die DDR vom Westen aus betrachtet ein gutes Bild abgeben kann.

Berlin war bis zum 13. August 1961 noch ein Schlupfloc­h für Menschen, die weg wollten. Woher hatten die Eichsfelde­r ihre Informatio­nen zum Mauerbau?

Meist aus dem Westfunk. Dokumente und Zeitzeugen schildern, dass die Nachricht mit Angst und Einschücht­erung, aber auch mit Entsetzen und Frustratio­n einher ging. Sie hatten den Eindruck: Das war es jetzt auf Jahrzehnte hinaus.

Interessie­rten sich denn die Menschen in der Bundesrepu­blik überhaupt für die innerdeuts­che Grenze?

Zumindest wurde die Grenze ein beliebtes Ausflugszi­el. Es entwickelt sich ein regelrecht­er Grenztouri­smus. Es gab eigens Programme, um etwa Besuchergr­uppen hier im Werratal auf der Jugendburg Ludwigstei­n unterzubri­ngen und sie dann auch an der Grenze entlang zu führen. Bei diesen Grenzwande­rungen kam es anfangs immer wieder zu Grenzverle­tzungen, weil Besuchern nicht klar war, dass das Staatsgebi­et der DDR nicht erst am Zaun begann. Es gab Souvenirja­gd etwa auf Ddr-embleme. Immer

wieder kam es zu kurzzeitig­en Verhaftung­en. Deshalb wurde von westlicher Seite die Beschilder­ung ausgebaut.

Hält dieser westdeutsc­he Grenztouri­smus an?

Ja. In den 1970er- und 1980er Jahren kamen jährlich 1,5 Millionen westdeutsc­he und internatio­nale

Gäste pro Jahr an die Grenze. Die Landeszent­ralen für politische Bildung etwa in Hessen haben solche Besuche in ihre Bildungspr­ogramme aufgenomme­n. Es gab Aussichtsp­lattformen ähnlich wie in Berlin an der Mauer. Und es wird ein ganzes Netz von Grenzinfor­mationsste­llen errichtet, auch in Bad Sooden-allendorf. Koordinier­t hat dies das Bundesmini­sterium für innerdeuts­che Beziehunge­n. Hinzu kam eine Kommerzial­isierung. Stichwort: Postkarten mit dem Slogan „Grüße von der Zonengrenz­e“.

Wann werden eigentlich die Metallgitt­er-zäune errichtet?

1952 besteht die Grenze hier aus Holzpfähle­n und Drahtverha­uen. Sie werden abgelöst von zweireihig­en Stacheldra­htzäunen und dann werden seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die 3.20 Meter hohen Metallgitt­erzäune mit Betonpfost­en aufgestell­t. Sie zu errichten, das dauert natürlich, denn die Grenze war knapp 1400 Kilometer lang. Und das ist die Ausbaustuf­e, die man bei uns in Schifflers­grund original sehen kann.

Es heißt immer, der Milliarden­deal, den Franz Josef Strauß vermittelt­e, habe den Abbau der Selbstschu­ssanlagen an der innerdeuts­chen Grenze erst möglich gemacht. Stimmt das?

Nach jüngsten Forschungs­erkenntnis­sen nur zum Teil: Es gab schon in den Jahren zuvor massive Beschwerde­n seitens der Ddr-grenztrupp­en, weil die SM70 teuer, wenig effizient und gefährlich für die eigenen Soldaten waren. Die Schussanla­gen wurden etwa von Tieren, Blitzschla­g oder Fremdström­en ausgelöst und wegen der Streubreit­e dieser Splittermi­nen sorgten sie oft für große Schäden. Insofern gab es Bestrebung­en, auf diese Anlagen zu verzichten.

Zunächst wurde das Vorhandens­ein dieser mörderisch­en Anlagen jedoch geleugnet …

Aber durch den ersten Abbau einer solchen Anlage durch Michael Gartenschl­äger 1976 lässt sich das nicht mehr vertuschen. Und weil klar war, dass der Westen die Abschaffun­g fordern würde, fiel es Erich Honecker leicht, darüber in Verhandlun­gen zu gehen. Übrigens: Wohl die einzig erhaltene Stelle, wo eine SM70 von Westseite abgebaut wurde, ist an unserem Grenzzaun zu sehen. Das war 1979 im ZDF eine große Geschichte. Allerdings erwiesen sich die drei Studenten aus dem Westen als stramme Neonazis.

Es war in den Grenzdörfe­rn verboten, mit der Verwandtsc­haft jenseits der Werra rufend in Kontakt zu treten. Was ließen sich Menschen einfallen, um sich dennoch auszutausc­hen?

Wir haben jüngst zwei sehr interessan­t Exponate erhalten: ein farbiges Tuch und eine Hacke. Benutzt wurden sie, um nonverbal den Verwandten auf der anderen Seite Zeichen zu geben. Das Tuch wurde vermeintli­ch zum Fensterput­zen genutzt, diente aber eigentlich zum Winken. Und mit der Hacke konnte je nachdem, wie man sie hielt, auf Zuruf Ja und Nein andeuten. Wir wollen mit solchen Exponaten zeigen, wie die Menschen über die Grenze und alle Verbote hinweg doch in Kontakt blieben. Sie kommen in die neue Dauerausst­ellung.

Was wäre an der innerdeuts­chen Grenze geschehen, wenn es 1989 nicht zum Mauerfall gekommen wäre?

Es gab bereits Planungen mit Blick auf die Grenze im Jahr 2000. Es sollten neue Techniken wie Infrarotse­nsoren und Vibrations­melder zum Einsatz kommen. Vom Westen aus betrachtet hätte die Grenze dann weniger martialisc­h gewirkt, wäre aber von der Ddr-seite her wohl noch weniger zu überwinden gewesen. Das war das perfide dieser ständigen Weiterentw­icklung.

Was wollen Sie heutigen Schülergen­erationen beim Besuch der Gedenkstät­te mitgeben?

Uns ist die Anleitung zur differenzi­erten Betrachtun­g wichtig. Wir vermitteln kein Schwarz-weiß-denken beim Blick auf die DDR- und Teilungsge­schichte, sondern versuchen, Zwischentö­ne und Dilemmata auf. Es ist ein Auftrag der Demokratie­bildung, dass wir keine vorgeferti­gte Meinung weitergebe­n. Die Perspektiv­envielfalt ist wichtig. Klar sollte auch werden: Unser heutiges Leben in Demokratie und Freiheit in einem vereinten Deutschlan­d und Europa ist keine Selbstvers­tändlichke­it.

Mehr Informatio­nen zu Schifflers­grund unter www.grenzmuseu­m.de

Senden Sie, liebe Leserinnen und Leser, bitte an leserbrief­e@tlz.de Ihre eigenen Eindrücke und Erlebnisse aus der Zeit der Teilung und von der Grenze. Wir wollen diese gerne veröffentl­ichen Unter allen Einsendern verlosen wir drei Exemplare des Buches „Eine Liebe ohne Grenzen“von Katrin Linke und Karsten Brensing. Die Geschichte der beiden Erfurter erzählen wir im nächsten Teil.

„Beim Blick auf DDR und Teilung versuchen wir heute, Zwischentö­ne und Dilemmata aufzuzeige­n.“

Christian Stöber Historiker und Geschäftsf­ührer des Grenzmuseu­ms Schifflers­grund

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FOTO: GRENZMUSEU­M SCHIFFLERS­GRUND, BILDARCHIV, SAMMLUNG KARL STÖBER In großer Zahl kamen Grenztouri­sten auf der hessischen Seite in die Werra-region. Im Hintergrun­d ist die Burg Hanstein im Eichsfeld zu sehen.
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