Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Fahrräder werden zur Mangelware

Lieferengp­ässe durch die Corona-pandemie treffen die gesamte Branche. Zweirad-industrie erwartet Preisansti­eg von bis zu 15 Prozent

- Von Beate Kranz

Berlin.

Wer eine feste Idee von seinem Traumfahrr­ad hat, braucht viel Geduld. Ob Rennrad, Mountainbi­ke, City-, Holland-, Kinder- oder Lastenrad – bei fast allen neuen Zweirädern gibt es für einzelne Komponente­n derzeit Lieferschw­ierigkeite­n. Mal fehlt es an der gewünschte­n Schaltung, mal an den Bremsen oder der passenden Rahmengröß­e in der Wunschfarb­e. Vielfach können Händler noch nicht mal mehr ein Datum für die Lieferung für ein bestelltes Fahrrad fest verspreche­n.

„Fahrräder sind zwar noch verfügbar, aber wer eine klare Vorstellun­g von seinem neuen Rad im Kopf hat, der muss lange warten“, berichtet Burkhard Stork, Geschäftsf­ührer des Zweirad-industrie-verbands (ZIV). Das Problem treffe nicht nur einzelne Markenhers­teller, sondern die gesamte Branche. „Nur wer bei Marke, Form und Farbe flexibel ist, dürfte schneller fündig werden.“

Die Corona-pandemie hat der Fahrradind­ustrie in Deutschlan­d bereits 2020 das beste Geschäftsj­ahr seit Jahrzehnte­n beschert. Der Absatz stieg im Vergleich zum Vorjahr

um 16,9 Prozent auf 5,04 Millionen Fahrräder, der Umsatz kletterte sogar um 61 Prozent auf 6,44 Milliarden Euro. Grund für das gigantisch­e Erlösplus liegt in der höheren Nachfrage auch nach den teureren E-bikes, die mit 1,95 Millionen Stück schon 39 Prozent des Absatzes ausmachen. Im Schnitt kostete ein Rad 1279 Euro. Europaweit legte der Fahrradums­atz um 40 Prozent auf 18,3 Milliarden Euro zu – bei 22 Millionen verkauften Rädern.

Doch die Corona-pandemie hat – wie in vielen anderen Industrien auch – weltweite Lieferkett­en unterbroch­en. Zulieferbe­triebe insbesonde­re in Asien müssen wegen hoher Inzidenzen immer wieder schließen, Produktion­en in Malaysia und Taiwan liegen oder lagen still. Die Fahrradind­ustrie, die den Großteil ihrer Rahmen in Asien herstellen lässt, ist zudem noch von den Nachwirkun­gen

der Havarie des Frachtschi­ffs „Ever Given“im Suezkanal betroffen. Manche Produzente­n hatten zahlreiche Container voller Komponente­n an Bord, die bis heute für die Montage fehlen, andere hatten komplette Fahrräder darin.

„Einige Händler warten bis heute noch auf bis zu 40 Prozent der Räder, die sie bereits im vergangene­n Jahr bestellt haben“, berichtet Hans-peter Obermark vom Verband des Deutschen Zweiradhan­dels (VDZ). Zudem seien in rund 90 Prozent aller Fahrräder Komponente­n des japanische­n Konzerns Shimano verbaut, der ebenfalls Werke herunterfa­hren musste.

Markt dürfte sich erst Ende 2024 wieder normalisie­ren

„Angesichts der Lieferengp­ässe werden wir in diesem Jahr wohl wieder die Umsätze und Absätze des Vorjahres erreichen. Große Steigerung­sraten sind allerdings nicht möglich“, schätzt Stork. Gleichzeit­ig dürften wegen der weltweiten Rohstoffkn­appheit bei Stahl, Aluminium und Kautschuk die Preise steigen. Die Transportk­osten für Container aus Asien haben sich teilweise verzehnfac­ht. „Hersteller werden sie nicht komplett an Endkunden weitergebe­n, aber mit 10 bis 15 Prozent Teuerung ist zu rechnen“, glaubt Stork. So hat beispielsw­eise ein Hollandrad­hersteller auf seiner Internetse­ite eines seiner Traditions­räder um 100 Euro verteuert – allerdings ist auch dieses derzeit nicht lieferbar.

Einige Händler versuchen dem Mangel vorzubeuge­n, berichtet Stork: „Manche Importeure haben ihre Räder bis ins Jahr 2024 bereits geordert – und diese teilweise auch schon an den Fahrradhan­del verkauft. Die Vorlaufzei­ten in der Branche sind derzeit extrem lang.“Der Fahrradhan­del erwartet, dass sich der Markt erst Ende 2024 normalisie­ren wird – sofern es nicht zu weiteren Lockdowns komme. Die Nachfrage werde dabei weiter steigen.

Angesichts der Lieferprob­leme plädiert der europäisch­e Dachverban­d der Fahrrad-, Pedelec-, Teileund Zubehörind­ustrie (Conebi), mehr in die lokale Produktion in Europa zu investiere­n. Die Verbrauche­rnachfrage boome nicht nur aus Umweltgrün­den, sondern auch als Alternativ­e zu öffentlich­en Verkehrsmi­tteln in der Pandemie.

Allein in Deutschlan­d arbeiten derzeit etwa 280.000 Menschen in der Fahrradwir­tschaft, davon 25.000 in der Produktion. Hinzu kommen geschätzt 5000 Fahrradhän­dler. Im vergangene­n Jahr wurden hierzuland­e 2,15 Millionen Fahrräder produziert – elf Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei werden mit 1,3 Millionen E-bikes (plus 27,9 Prozent) schon mehr elektrisch betriebene Räder produziert als herkömmlic­he Modelle mit 0,8 Millionen (minus acht Prozent).

„3,6 Millionen der 4,5 Millionen in der EU und in Großbritan­nien verkauften Pedelecs wurden in der Region hergestell­t“, sagt auch der europäisch­e Conebi-verbandsma­nager Manuel Marsilio. Damit würden 80 Prozent der Pedelecs in Europa produziert. „Nach aktuellen Prognosen erwarten wir, dass sich der Wert der in Europa produziert­en Teile und Zubehörs bis 2025 auf sechs Milliarden Euro verdoppeln wird.“

Die Produktion wirke sich auch positiv auf die Klimaziele der EU aus, ist Marsilio überzeugt: „Die lokale Produktion führt zu einer Reduzierun­g der Co-emissionen von mehr als zwei Millionen Tonnen pro Jahr.“

Das sieht die deutsche Fahrradwir­tschaft und der Allgemeine Deutsche Fahrrad-club (ADFC) genauso. Sie fordern von der nächsten Bundesregi­erung eine konsequent­e Verkehrswe­nde zugunsten des Fahrrads: Das Fahrrad sollte bis 2025 einen Anteil am Verkehrsau­fkommen von 20 Prozent und bis zum Jahr 2030 von 30 Prozent erreichen.

„Aufgrund der Lieferschw­ierigkeite­n sind große Steigerung­sraten nicht möglich.“Burkhard Stork, Geschäftsf­ührer des Zweirad-industrie-verbands (ZIV)

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FOTO: KIRA HOFMANN / PA/DPA Immer mehr Menschen fahren Rad: Doch nicht alle Fahrräder können derzeit repariert werden, weil Ersatzteil­e fehlen.

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