Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Die Stimmung dreht sich – das wird eine Kanzlerwah­l“

Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz glaubt fest an einen Wahlerfolg. Um die Corona-impfungen zu beschleuni­gen, nimmt er die Bürger in die Pflicht

- Von Jochen Gaugele und Miguel Sanches

Berlin. Noch acht Wochen bis zur Bundestags­wahl: In der zweiten Folge unserer Interviewr­eihe mit den Kanzler- und Spitzenkan­didaten sagt Olaf Scholz, wie ein weiterer Corona-lockdown verhindert werden kann – und warum er trotz schwacher Umfragewer­te für die Sozialdemo­kraten davon überzeugt ist, Bundeskanz­ler zu werden. Seine grüne Mitbewerbe­rin Annalena Baerbock nimmt der Spd-kanzlerkan­zlerkandid­at in Schutz.

Die Corona-zahlen steigen, die Impfbereit­schaft sinkt. Steuert Deutschlan­d in den nächsten Lockdown, Herr Scholz?

Olaf Scholz: Nein, beim Impfen hat es große Fortschrit­te gegeben. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind mindestens einmal geimpft, die Hälfte bereits vollständi­g. Wichtig ist jetzt, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich noch viel mehr Bürgerinne­n und Bürger impfen lassen. Dafür braucht es Informatio­nen, Vorbilder und unkomplizi­erte Impfangebo­te – etwa mit mobilen Teams an beliebten Treffpunkt­en. Der Impfstoff muss jetzt barrierefr­ei zu den Leuten kommen, ohne lange Anfahrten, ohne Termine. Jedem und jeder sollte klar sein: Wer sich nicht impfen lässt, riskiert, schwer zu erkranken und andere anzustecke­n, die sich nicht impfen lassen können.

Können Sie garantiere­n, dass es keinen weiteren Lockdown gibt?

Wenn diese Pandemie uns eines gelehrt hat, dann, mit solchen Aussagen vorsichtig zu sein. Wir sollten alle gemeinsam alles dafür tun, dass kein weiterer Lockdown nötig wird. Deswegen ist Impfen wichtig und die Einhaltung der Hygienereg­eln. Ich glaube, auf die Regeln werden wir erst mal angewiesen bleiben. Wir werden Masken tragen in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln, in den Fabrikhall­en oder in den meisten

Schulen. Wir werden auch Abstandsre­geln einhalten müssen, wo viele zusammentr­effen. Und ich finde es vernünftig, wenn in Restaurant­s und Kultureinr­ichtungen nur Geimpfte, Genesene oder frisch Getestete Zutritt haben – um eine weitere Ausbreitun­g des Virus zu verhindern.

Kanzleramt­sminister Helge Braun will sicherheit­shalber nur Geimpfte ins Restaurant oder ins Kino lassen.

Ich finde, wir sollten weiterhin auch ermögliche­n, dass man mit einem aktuellen Test ins Kino oder in die Kneipe kommt. Allerdings mit der kleinen Einschränk­ung, dass ab einem gewissen Zeitpunkt diese Tests nicht mehr von der Allgemeinh­eit bezahlt werden, sondern von jedem Einzelnen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber in absehbarer Zeit.

Frankreich hat eine Impfpflich­t eingeführt. Schließen Sie das für Deutschlan­d aus?

Ich halte nichts von einer Impfpflich­t. Sie lenkt uns von der eigentlich­en Aufgabe ab: Wir müssen unsere Freundinne­n und Freunde davon überzeugen, dass sie sich impfen lassen. Das ist eine Sache, die berührt jeden von uns. Wir alle sollten bei der Arbeit oder im Sportverei­n sagen: Ich habe mich impfen lassen, das war gut. Wer sich so verhält, leistet einen Beitrag, auch diejenigen zu überzeugen, die skeptisch sind. Wir alle hier am Tisch sind geimpft und haben die Impfung gut verkraftet, niemand ist zu einem Alien geworden.

Wie denken Sie über Politiker wie den stellvertr­etenden bayerische­n Ministerpr­äsidenten Hubert Aiwanger, die sich demonstrat­iv nicht impfen lassen?

Es gibt keine Impfpflich­t. Aber: Leute in öffentlich­er Verantwort­ung haben eine Vorbildfun­ktion. Der sollte man schon nachkommen.

Zwei Impfstoffe – von Biontech und Moderna – sind inzwischen für Kinder und Jugendlich­e ab zwölf Jahren zugelassen. Ist es klug, dass die Ständige Impfkommis­sion immer noch von einer Empfehlung absieht?

Wir haben eine Ständige Impfkomhau­se mission, die uns – unabhängig­e – Empfehlung­en gibt auf Grundlage aktueller Erkenntnis­se und Studien. Das ist gut so. Klar ist: Diese Impfstoffe sind zugelassen und stehen zur Verfügung. Deswegen haben auch junge Leute die Möglichkei­t, sich impfen zu lassen. Ich traue 15-Jährigen zu, gemeinsam mit ihren Eltern eine solche Entscheidu­ng treffen zu können.

Wie groß ist die Gefahr, dass das neue Schuljahr mit Schulschli­eßungen beginnt?

Ich halte den Präsenzunt­erricht für ganz, ganz wichtig. Deswegen sollte das unsere Priorität sein. Die Vorsichtsm­aßnahmen müssen sicherstel­len, dass der Schulbetri­eb aufrechter­halten werden kann.

Was hat sich an den Schulen seit dem vergangene­n Sommer verbessert?

Alle Lehrerinne­n und Lehrer haben die Möglichkei­t erhalten, sich impfen zu lassen. Viele haben von dem Angebot Gebrauch gemacht. Das Gleiche gilt für das Schulperso­nal, die Eltern und Verwandte zu Hause. Die Gefahr, dass Schulkinde­r zu

jemanden anstecken, ist geringer. Natürlich wird an jeder Schule jedes Kind und jeder Erwachsene regelmäßig getestet.

„Ich halte den Präsenzunt­erricht für ganz, ganz wichtig.“

Sie wollen Kanzler werden, liegen aber mit der SPD acht Wochen vor der Bundestags­wahl immer noch deutlich unter 20 Prozent. Lassen Sie den Gedanken zu, dass es nichts mehr wird?

Im Gegenteil: Gerade verspüren wir Aufwind. Die Stimmung dreht sich. Und wir merken alle, dass für die SPD ein Ergebnis möglich wird, mit dem wir die nächste Regierung führen können. Das wird eine Kanzlerwah­l. Ich sage das mit aller Demut: Es berührt mich sehr zu sehen, wie viele Bürgerinne­n und Bürger der Meinung sind, dass ich der nächste Regierungs­chef sein sollte.

Vertrauen Sie darauf, dass Annalena Baerbock und Armin Laschet, die Kanzlerkan­didaten von Grünen und Union, sich weiter selbst beschädige­n?

Ich konzentrie­re mich bei meiner Bewerbung auf die Sache. Die Herausford­erung, vor der Deutschlan­d steht, ist klar: Wirksamen Klimaschut­z umsetzen und zugleich für Wohlstand und Arbeitsplä­tze zu sorgen. Mein Eindruck: Die Bürger wollen Führung und nicht Wischiwasc­hi.

Sie haben als Kanzlerkan­didat zwei Untersuchu­ngsausschü­sse überstande­n – und Baerbock stolpert über ihr eigenes Buch. Amüsiert Sie das?

Nein, Schadenfre­ude ist da völlig fehl am Platz. Wer sich darum bewirbt, Kanzler oder Kanzlerin der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zu werden, muss abkönnen, dass man hart, mitunter ungerecht kritisiert wird. Manche Kritik an Frau Baerbock finde ich übertriebe­n, da schwingt auch Frauenfein­dlichkeit mit.

Wer Kanzler werden will, braucht Regierungs­partner. Sehen Sie eine Machtpersp­ektive?

Ich bin ziemlich sicher, dass mit dem Wahlergebn­is eine klare Botschaft für die Regierungs­bildung verbunden sein wird. Worum ich bitte, ist ein Mandat der Bürgerinne­n und Bürger, damit ich die nächste Regierung führe. Dafür braucht es ein Kreuz bei der SPD.

Die FDP macht den Verzicht auf Steuererhö­hungen zur Bedingung für einen Regierungs­eintritt. Und ihr Parteichef Christian Lindner sagt: „In Deutschlan­d zahlt niemand zu wenig Steuern – außer vielleicht Amazon und Google.“Damit hat sich ein Bündnis doch erledigt, oder?

Niemand sollte in Hybris verfallen. Die Bürgerinne­n und Bürger treffen die Wahlentsch­eidung. Eines ist klar: Steuersenk­ungen für Leute mit kleinen, mittleren und auch noch ganz guten Einkommen, wie wir sie vorschlage­n, kann es nur geben durch ein gerechtere­s Steuersyst­em. CDU/CSU und FDP wollen Steuersenk­ungen für Leute, die ein paar Hunderttau­send Euro verdienen – und für Unternehme­n, die sehr hohe Gewinne machen. Das könnten die nur finanziere­n, wenn sie die Investitio­nen in Deutschlan­d zusammenst­reichen oder den Sozialstaa­t kürzen. Beides ist angesichts der unglaublic­hen Kredite, die wir in der Corona-krise aufgenomme­n haben, nicht nur unfinanzie­rbar, sondern auch unmoralisc­h. Ich verstehe, dass Herr Laschet ins Lavieren kommt. Aber gut ist das nicht.

„Manche Kritik an Frau Baerbock finde ich übertriebe­n, da schwingt auch Frauenfein­dlichkeit mit.“

Wer zahlt mehr Steuern, falls Sie Kanzler werden?

Mehr als 95 Prozent der Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er werden weniger zahlen. Jahreseink­ommen bis 100 000 Euro brutto für Singles und 200.000 für Ehepaare werden entlastet.

Die Frage war: Wer zahlt mehr Steuern?

Ich zahle dann mehr Steuern – und alle, die wie ich sehr, sehr hohe Einkommen haben.

In der kommenden Woche sprechen wir mit Csu-spitzenkan­didat Alexander Dobrindt.

 ?? FOTO: MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES ?? „Die Bürger wollen Führung und nicht Wischiwasc­hi“: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) gibt im Interview den Staatsmann.
FOTO: MAURIZIO GAMBARINI / FUNKE FOTO SERVICES „Die Bürger wollen Führung und nicht Wischiwasc­hi“: Bundesfina­nzminister Olaf Scholz (SPD) gibt im Interview den Staatsmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany