Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Die Stimmung dreht sich – das wird eine Kanzlerwahl“
Spd-kanzlerkandidat Olaf Scholz glaubt fest an einen Wahlerfolg. Um die Corona-impfungen zu beschleunigen, nimmt er die Bürger in die Pflicht
Berlin. Noch acht Wochen bis zur Bundestagswahl: In der zweiten Folge unserer Interviewreihe mit den Kanzler- und Spitzenkandidaten sagt Olaf Scholz, wie ein weiterer Corona-lockdown verhindert werden kann – und warum er trotz schwacher Umfragewerte für die Sozialdemokraten davon überzeugt ist, Bundeskanzler zu werden. Seine grüne Mitbewerberin Annalena Baerbock nimmt der Spd-kanzlerkanzlerkandidat in Schutz.
Die Corona-zahlen steigen, die Impfbereitschaft sinkt. Steuert Deutschland in den nächsten Lockdown, Herr Scholz?
Olaf Scholz: Nein, beim Impfen hat es große Fortschritte gegeben. Mehr als 60 Prozent der Deutschen sind mindestens einmal geimpft, die Hälfte bereits vollständig. Wichtig ist jetzt, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich noch viel mehr Bürgerinnen und Bürger impfen lassen. Dafür braucht es Informationen, Vorbilder und unkomplizierte Impfangebote – etwa mit mobilen Teams an beliebten Treffpunkten. Der Impfstoff muss jetzt barrierefrei zu den Leuten kommen, ohne lange Anfahrten, ohne Termine. Jedem und jeder sollte klar sein: Wer sich nicht impfen lässt, riskiert, schwer zu erkranken und andere anzustecken, die sich nicht impfen lassen können.
Können Sie garantieren, dass es keinen weiteren Lockdown gibt?
Wenn diese Pandemie uns eines gelehrt hat, dann, mit solchen Aussagen vorsichtig zu sein. Wir sollten alle gemeinsam alles dafür tun, dass kein weiterer Lockdown nötig wird. Deswegen ist Impfen wichtig und die Einhaltung der Hygieneregeln. Ich glaube, auf die Regeln werden wir erst mal angewiesen bleiben. Wir werden Masken tragen in öffentlichen Verkehrsmitteln, in den Fabrikhallen oder in den meisten
Schulen. Wir werden auch Abstandsregeln einhalten müssen, wo viele zusammentreffen. Und ich finde es vernünftig, wenn in Restaurants und Kultureinrichtungen nur Geimpfte, Genesene oder frisch Getestete Zutritt haben – um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern.
Kanzleramtsminister Helge Braun will sicherheitshalber nur Geimpfte ins Restaurant oder ins Kino lassen.
Ich finde, wir sollten weiterhin auch ermöglichen, dass man mit einem aktuellen Test ins Kino oder in die Kneipe kommt. Allerdings mit der kleinen Einschränkung, dass ab einem gewissen Zeitpunkt diese Tests nicht mehr von der Allgemeinheit bezahlt werden, sondern von jedem Einzelnen. Das geht nicht von heute auf morgen, aber in absehbarer Zeit.
Frankreich hat eine Impfpflicht eingeführt. Schließen Sie das für Deutschland aus?
Ich halte nichts von einer Impfpflicht. Sie lenkt uns von der eigentlichen Aufgabe ab: Wir müssen unsere Freundinnen und Freunde davon überzeugen, dass sie sich impfen lassen. Das ist eine Sache, die berührt jeden von uns. Wir alle sollten bei der Arbeit oder im Sportverein sagen: Ich habe mich impfen lassen, das war gut. Wer sich so verhält, leistet einen Beitrag, auch diejenigen zu überzeugen, die skeptisch sind. Wir alle hier am Tisch sind geimpft und haben die Impfung gut verkraftet, niemand ist zu einem Alien geworden.
Wie denken Sie über Politiker wie den stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger, die sich demonstrativ nicht impfen lassen?
Es gibt keine Impfpflicht. Aber: Leute in öffentlicher Verantwortung haben eine Vorbildfunktion. Der sollte man schon nachkommen.
Zwei Impfstoffe – von Biontech und Moderna – sind inzwischen für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren zugelassen. Ist es klug, dass die Ständige Impfkommission immer noch von einer Empfehlung absieht?
Wir haben eine Ständige Impfkomhause mission, die uns – unabhängige – Empfehlungen gibt auf Grundlage aktueller Erkenntnisse und Studien. Das ist gut so. Klar ist: Diese Impfstoffe sind zugelassen und stehen zur Verfügung. Deswegen haben auch junge Leute die Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Ich traue 15-Jährigen zu, gemeinsam mit ihren Eltern eine solche Entscheidung treffen zu können.
Wie groß ist die Gefahr, dass das neue Schuljahr mit Schulschließungen beginnt?
Ich halte den Präsenzunterricht für ganz, ganz wichtig. Deswegen sollte das unsere Priorität sein. Die Vorsichtsmaßnahmen müssen sicherstellen, dass der Schulbetrieb aufrechterhalten werden kann.
Was hat sich an den Schulen seit dem vergangenen Sommer verbessert?
Alle Lehrerinnen und Lehrer haben die Möglichkeit erhalten, sich impfen zu lassen. Viele haben von dem Angebot Gebrauch gemacht. Das Gleiche gilt für das Schulpersonal, die Eltern und Verwandte zu Hause. Die Gefahr, dass Schulkinder zu
jemanden anstecken, ist geringer. Natürlich wird an jeder Schule jedes Kind und jeder Erwachsene regelmäßig getestet.
„Ich halte den Präsenzunterricht für ganz, ganz wichtig.“
Sie wollen Kanzler werden, liegen aber mit der SPD acht Wochen vor der Bundestagswahl immer noch deutlich unter 20 Prozent. Lassen Sie den Gedanken zu, dass es nichts mehr wird?
Im Gegenteil: Gerade verspüren wir Aufwind. Die Stimmung dreht sich. Und wir merken alle, dass für die SPD ein Ergebnis möglich wird, mit dem wir die nächste Regierung führen können. Das wird eine Kanzlerwahl. Ich sage das mit aller Demut: Es berührt mich sehr zu sehen, wie viele Bürgerinnen und Bürger der Meinung sind, dass ich der nächste Regierungschef sein sollte.
Vertrauen Sie darauf, dass Annalena Baerbock und Armin Laschet, die Kanzlerkandidaten von Grünen und Union, sich weiter selbst beschädigen?
Ich konzentriere mich bei meiner Bewerbung auf die Sache. Die Herausforderung, vor der Deutschland steht, ist klar: Wirksamen Klimaschutz umsetzen und zugleich für Wohlstand und Arbeitsplätze zu sorgen. Mein Eindruck: Die Bürger wollen Führung und nicht Wischiwaschi.
Sie haben als Kanzlerkandidat zwei Untersuchungsausschüsse überstanden – und Baerbock stolpert über ihr eigenes Buch. Amüsiert Sie das?
Nein, Schadenfreude ist da völlig fehl am Platz. Wer sich darum bewirbt, Kanzler oder Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland zu werden, muss abkönnen, dass man hart, mitunter ungerecht kritisiert wird. Manche Kritik an Frau Baerbock finde ich übertrieben, da schwingt auch Frauenfeindlichkeit mit.
Wer Kanzler werden will, braucht Regierungspartner. Sehen Sie eine Machtperspektive?
Ich bin ziemlich sicher, dass mit dem Wahlergebnis eine klare Botschaft für die Regierungsbildung verbunden sein wird. Worum ich bitte, ist ein Mandat der Bürgerinnen und Bürger, damit ich die nächste Regierung führe. Dafür braucht es ein Kreuz bei der SPD.
Die FDP macht den Verzicht auf Steuererhöhungen zur Bedingung für einen Regierungseintritt. Und ihr Parteichef Christian Lindner sagt: „In Deutschland zahlt niemand zu wenig Steuern – außer vielleicht Amazon und Google.“Damit hat sich ein Bündnis doch erledigt, oder?
Niemand sollte in Hybris verfallen. Die Bürgerinnen und Bürger treffen die Wahlentscheidung. Eines ist klar: Steuersenkungen für Leute mit kleinen, mittleren und auch noch ganz guten Einkommen, wie wir sie vorschlagen, kann es nur geben durch ein gerechteres Steuersystem. CDU/CSU und FDP wollen Steuersenkungen für Leute, die ein paar Hunderttausend Euro verdienen – und für Unternehmen, die sehr hohe Gewinne machen. Das könnten die nur finanzieren, wenn sie die Investitionen in Deutschland zusammenstreichen oder den Sozialstaat kürzen. Beides ist angesichts der unglaublichen Kredite, die wir in der Corona-krise aufgenommen haben, nicht nur unfinanzierbar, sondern auch unmoralisch. Ich verstehe, dass Herr Laschet ins Lavieren kommt. Aber gut ist das nicht.
„Manche Kritik an Frau Baerbock finde ich übertrieben, da schwingt auch Frauenfeindlichkeit mit.“
Wer zahlt mehr Steuern, falls Sie Kanzler werden?
Mehr als 95 Prozent der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler werden weniger zahlen. Jahreseinkommen bis 100 000 Euro brutto für Singles und 200.000 für Ehepaare werden entlastet.
Die Frage war: Wer zahlt mehr Steuern?
Ich zahle dann mehr Steuern – und alle, die wie ich sehr, sehr hohe Einkommen haben.
In der kommenden Woche sprechen wir mit Csu-spitzenkandidat Alexander Dobrindt.