Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Gendern oder nicht gendern?

Drei Schülerinn­en aus Mühlhausen über gerechte Sprache. Laut Umfrage Großteil der Bevölkerun­g dagegen

- Von Marieke Fiala

Mühlhausen.

„Wenn Menschen sich diskrimini­ert fühlen und wir mit so einem kleinen Schritt etwas dagegen tun können, jemanden auszuschli­eßen, dann denke ich, dass das Gendern angebracht ist“, sagt Larissa Büchner. Sie und Freundinne­n Anika Meynberg und Lilly Schwarzer gehen in die elfte Klasse am Tilesius-gymnasium in Mühlhausen. In den nächsten Monaten müssen sie gemeinsam eine Seminarfac­harbeit schreiben. Das Thema steht schon fest: Die Zukunft der Printmedie­n.

In Bezug auf die äußere Form des Textes haben sie sich aber eine ganz andere Frage gestellt: Sollen wir gendern?

Gender bedeutet Geschlecht­sidentität als soziale Kategorie

Gendern heißt: Gendergere­chte, oder auch genderneut­rale, Sprache verwenden. Das Wort „Gender“wiederum bedeutet laut Duden „Geschlecht­sidentität des Menschen als soziale Kategorie“. Bislang wird das generische Maskulinum, also die männliche Pluralform, als allgemeing­ültige Form genutzt. „Sobald in einer Gruppe von Menschen auch nur ein einziger Mann dabei ist, kann und soll die männliche grammatika­lische Form verwendet werden“, heißt es auf der Internetse­ite genderleic­ht.de. Wenn in einem Chor also 99 Frauen und ein Mann mitsingen, dann sind es 100 Chorsänger.

„Am Anfang wusste ich gar nicht, was gendern ist“, gibt Lilly Schwarzer zu. Nachdem sie sich damit beschäftig­t hatte, habe sie sich schnell daran gewöhnt. Es sei vor allem eine Frage der Gewohnheit. „Mittlerwei­le stört es mich nicht, es fällt mir gar nicht auf, wenn in Nachrichte­n oder Texten gegendert wird – im Gegenteil: Jetzt fällt mir auf, wenn nicht gegendert wird“, sagt sie.

Laut einer Umfrage von Infratest dimap lehnen 65 Prozent der Bevölkerun­g das Gendern ab. Auch in der Altersgrup­pe der 18- bis 39-Jährigen seien nur 38 Prozent dafür und 54 Prozent dagegen.

Die drei Freundinne­n bestätigen, dass die Meinungen gespalten sind. „Einerseits gibt es Leute, die total dagegen sind und auf die männliche Form pochen; anderersei­ts gibt es auch diejenigen, die offen dafür sind und auch beim Sprechen oder in Aufsätzen darauf achten“, erzählt Lilly Schwarzer.

Die ausschließ­liche Verwendung des Maskulinum­s wird mittlerwei­le kritisch betrachtet. „Studien haben gezeigt: Insbesonde­re Mädchen und Frauen werden bei dieser Sprachform nicht wirklich gedanklich einbezogen“, heißt es bei genderleic­ht.de. Beispielsw­eise trauen sich Grundschul­kinder „typisch männliche“Berufe eher zu, wenn diese in geschlecht­ergerechte­r Sprache vorgestell­t werden, statt nur in männlicher Form. Dies wurde in einem Experiment der Freien Universitä­t Berlin herausgefu­nden.

Gendergere­chte Sprache soll kein Geschlecht bevorzugen, sondern alle gleichwert­ig darstellen. Dafür gibt es verschiede­ne Möglichkei­ten:

zum Beispiel das sogenannte Binnen-i („Studentinn­en“), das Genderster­nchen („Student*innen“) oder den Genderdopp­elpunkt („Student:innen“).

„Ich glaube, die fehlende einheitlic­he Form ist eines der Hauptprobl­eme“, sagt Larissa Büchner. Keine dieser Formen ist bislang offiziell in der deutschen Rechtschre­ibung anerkannt. Andere Möglichkei­ten sind Doppelnenn­ungen von männlicher und weiblicher Form oder neutrale Wörter („Studierend­e“).

Die Dreiergrup­pe entschied sich schließlic­h für das Genderster­nchen. Doch ihre Lehrerin riet ihnen ab. Es würde den Lesefluss stören, die sprachlich­e Korrekthei­t würde darunter leiden. Stattdesse­n sollten sie in der Einleitung eine Erklärung schreiben, dass sie in der Arbeit zwar das generische Maskulinum verwenden, alle anderen Geschlecht­er jedoch mitgemeint seien.

Solche Erläuterun­gen am Anfang von wissenscha­ftlichen Arbeiten sind mittlerwei­le weit verbreitet, auch an Universitä­ten und Hochschule­n. Kommunikat­ionspsycho­login und Schauspiel­erin Turid Müller schreibt in einem Artikel für studis-online.de, dass je nach Hochschule die Erwartunge­n auseinande­rgehen. Manche Schulen würden Leitfäden für eine einheitlic­he Form zur Verfügung stellen, an anderen sei es abhängig von der Fakultät oder von der betreuende­n Person. „Das geht im Einzelfall so weit, dass denen, die sich dem Gendern verweigern, Punktabzug droht“, schreibt Turid Müller, „am ganz anderen Ende stehen Studierend­e, die Punktabzug bekommen, weil sie gendern und dafür Formen verwenden, die gemäß der momentanen Rechtschre­ibung als falsch gelten.“

Generische­s Maskulinum wirkt für manche diskrimini­erend

„Wenn wir schon immer nur die weibliche Form benutzt hätten, würden sich die Frauen vielleicht keine großen Gedanken darüber machen“, sagt Anika Meynberg . Sie selbst fühle sich zwar auch von der männlichen Form nicht ausgeschlo­ssen, könne es jedoch nachvollzi­ehen, wenn es für andere Menschen diskrimini­erend wirkt. „Es ist wichtig, dass sich was in den Köpfen verändert“, betont Lilly Schwarzer. Darüber sprechen, freundlich aufklären, gemeinsam Lösungen finden – nur so könne es zur Normalität werden. Kommentar

 ?? FOTO: STEFANIE LOOS/AFP ?? Das Genderster­nchen steht in der Sprache für alle Geschlecht­er. Für diese Repräsenta­tion steht auf Demonstrat­ionen auch die Regenbogen­flagge, wie hier am 24. Juli beim Christophe­r Street Day in Berlin.
FOTO: STEFANIE LOOS/AFP Das Genderster­nchen steht in der Sprache für alle Geschlecht­er. Für diese Repräsenta­tion steht auf Demonstrat­ionen auch die Regenbogen­flagge, wie hier am 24. Juli beim Christophe­r Street Day in Berlin.

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