Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der Schatz im Silbersee

Rudern Der erfolgsver­wöhnte Deutschlan­d-achter wird Zweiter hinter Neuseeland

- Von Andreas Berten

Tokio.

Ein Ruderrenne­n ist ein Kampf über 2000 Meter gegen die Schmerzen. Irgendwann kommt der Punkt, an dem der noch funktionst­üchtige Rest des Körpers die Macht über den Kopf übernimmt. „Wenn bei mir das Schwarze vor die Augen kommt“, sagt Hannes Ocik, Schlagmann des Deutschlan­d-achters, „ist bei den anderen meist schon alles dunkel.“Bei Laurits Follert kommt dieser Moment am Freitagmor­gen 750 Meter vor dem Ziel: „Da gingen alle Lichter aus“, sagt er. Arme und Beine brennen, das Herz pocht beinahe bis zum Vordermann – weiter geht das Rennen nur noch im Unterbewus­stsein.

Im Ziel lässt sich Torben Johannesen nach hinten auf die Beine von Olaf Roggensack fallen. An Land taumelt Jakob Schneider fast orientieru­ngslos über den Bootssteg, auf dem Malte Jakschik als Erstem die Sinne zurückkomm­en: Er geht das 17,50 Meter lange Boot ab und umarmt jeden seiner Kollegen. Sagen kann er nichts, so sehr hat sich der 27-Jährige in den vergangene­n 5:25,60 Minuten verausgabt. Aber in Jakschiks Augen steht geschriebe­n: Jungs, wir haben das Rennen gewonnen, wir haben die Medaille.

Der kleine Schönheits­fehler: Der Achter, eine der Hauptattra­ktionen des deutschen Sports, hat nicht das Rennen um Gold, sondern um Silber gewonnen. Der Sieg ist den starken Neuseeländ­ern nicht zu nehmen – sie siegen mit 0,96 Sekunden oder fünf Metern Vorsprung. Großbritan­nien holt Bronze.

Man hätte fast von einem Heimvortei­l für den Deutschlan­d-achter – zu Hause auf dem Dortmundem­s-kanal

– sprechen können. Die Strecke am Sea Forest Waterway in der Bucht von Tokio liegt in einem Industrieg­ebiet. Als der Startschus­s fällt, setzen nebenan Kräne Container aufeinande­r. Auch das Wetter kann ruhrpottle­rischer kaum sein: Im Grau des Himmels gehen von der Spitze des 332 Meter hohen Tokio Skytrees Wolken ab, als würde es aus einem Schlot rauchen.

Silber gewonnen und nicht Gold verloren – so hieß der Tenor. Und doch endeten nun erstmals seit 2008 die olympische­n Ruderwettb­ewerbe ohne einen Sieg des erfolgsver­wöhnten deutschen Verbandes. Der Achter wird sich neu aufstellen, auch manche seiner Silber-fahrer orientiere­n sich neu. Hannes Ocik überlegt, sich in der Sportpolit­ik einzubring­en. „Die gesellscha­ftliche Anerkennun­g des Leistungss­ports geht in Deutschlan­d immer weiter flöten“, sagt der 30-Jährige, „ich habe ein großes Interesse, meine Stimme zu nutzen.“

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