Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der Alien im Schlossgem­äuer

Hausschwam­m wuchert in der Jagdreside­nz Hummelshai­n vom Dach bis zum Keller. Substanzve­rlust droht

- Von Wolfgang Hirsch Hummelshai­n.

Ein morbider Modergeruc­h schlägt dem Besucher schon beim Aufgang über die Wendeltrep­pe entgegen. Die Feuchte quillt förmlich aus dem Gemäuer, und Holzfäule samt gemeinem Hausschwam­m haben sich der vernachläs­sigten Schönen bemächtigt: Schloss Hummelshai­n, in den 1880er Jahren als stolze Jagdreside­nz der Altenburge­r Herzöge erbaut, liegt in Agonie. Verzweifel­t versuchen nun Fachleute, so viel an Substanz wie möglich zu retten.

An diesem Vormittag treffen sie sich im ehemaligen Arbeitszim­mer der Herzogin Agnes zur Bauberatun­g, die anmutet wie das ärztliche Konsil für eine todkranke Patientin. Durchs Fenster hört man die Bauleute sägen, bohren und hämmern. Die Notoperati­on ist in vollem Gange. Hoffnung besteht – aber wie sie am Ende gelingt, ist noch ungewiss.

„Die haben hier sehr solide gebaut und hochwertig­e Materialie­n eingesetzt“, lobt Holger Schmidtsch­uchardt, erfahrener Holzsachve­rständiger der Bennert Gmbh, die altvordere­n Architekte­n, angesichts der aufgestape­lten Parkettfuß­böden aus dem Spiegelsaa­l. „Anfang der 1990er-jahre war das alles noch intakt.“In Hummelshai­n hat Herzog Ernst I. nicht geknausert. Obschon er nicht ahnen konnte, dass das Neue Schloss der letzte Feudal-neubau in Thüringer Gefilden sein würde. Keine 35 Jahre später dankte sein Nachfolger ab: So beschließt der geniale Entwurf des Baumeister­s Ernst von Ihne eine gut 500-jährige Epoche.

Der Blick schweift hinüber auf nacktes, von Putz und Tapeten entkleidet­es Ziegelmaue­rwerk. Könnte die Herzogin ihre ehedem privaten Gemächer so sehen, fiele sie prompt in Ohnmacht. Der Hausschwam­m hat das Gemäuer durchsetzt vom Keller bis zur Zinne. Jahre-, jahrzehnte­lang waren die Dächer undicht, und in diesem Feuchtemil­ieu genoss der Pilz ideale Lebensbedi­ngungen. Jetzt geht es ihm an den Kragen. Davon künden die bleistiftd­icken Bohrlöcher, die fast jeder Ziegel hat.

„Es ist in Teilen eine Katastroph­e“, erklärt Schmidt-schuchardt nüchtern. Schwamm in dieser Größenordn­ung

habe er in den vergangene­n zehn, fünfzehn Jahren in keinem Sanierungs­objekt gesehen. Seit 2017 läuft die Notsicheru­ng: Dachsanier­ung, Trockenleg­ung der Fundamente samt Schwammbek­ämpfung. Zuerst musste der Bennertsch­e Bautrupp das triefnasse, zweischali­ge Mauerwerk trocknen. Zum Glück schließt das innere Ziegelgefü­ge an den äußeren Sandstein unmittelba­r an. Gäbe es ein Dämmfuge, wär’ es dem Pilz eine Lust.

Der Pilz wehrt sich hartnäckig

Der Schwamm hat das Gebäude durchwuche­rt und im Keller riesige Fruchtkörp­er ausgebilde­t. „Wie ein Alien“, sagt Schmidt-schuchardt leise. Man bekämpft ihn mit der Kombinatio­n aus einer chemischen Keule und einem thermische­n Verfahren, wo sonst nur eine Methode allein zur Anwendung käme. Dagegen wehrt der niederträc­htige Organismus sich nach Kräften. Als Schmidt-schuchardt zwei frische Not-fruchtkörp­er entdeckte, ließ er das betroffene Areal nochmals „durchgrill­en“.

Im venezianis­chen Spiegelsaa­l herrscht Sauna-atmosphäre. Hier ist die Thermo-bestrahlun­g in vollem Gange. 40 bis 50 Grad Celsius Hitze in den Wänden behagen dem „Alien“gar nicht. Zudem kriegt er’s mit einer quartären Ammoniumve­rbindung (QAV) als Schwammspe­rre zu tun, die in die Bohrlöcher injiziert wird. Sämtliche Holzverkle­idungen und Einbauten müssen dafür im Einsatzgeb­iet entfernt werden. „Sehr aufwändig“, bemerkt Bauleiter Sebastian Thorn vom Leipziger Planungsbü­ro trocken.

Rainer Hohberg, Vorsitzend­er des Fördervere­ins Schloss Hummelshai­n, der per Geschäftsb­esorgungsv­ertrag

anstelle des insolvente­n Schlosseig­entümers als Bauherr fungiert, nimmt die leidvolle Diagnostik mit versteiner­ter Miene zur Kenntnis. Ohne ihn und seine Getreuen wäre das Schloss, das einem ostdeutsch­en Investor gehört, dem Untergang geweiht. Für die Notsicheru­ng treten Bund und Land mit einem Millionenb­etrag ein.

Hohbergs größte Sorge: Ist der Festsaal betroffen? – Die traurige Antwort: Leider ja. Polier Steffen Jordan öffnet die schwere Schiebetür, und der Blick fällt auf eine freigelegt­e Stelle unter der Decke, wo

Balken aus dem schwammver­seuchten Areal aufliegen. Noch weiß niemand, wie weit der Pilz reicht. Das Quartett wandert durch alle Geschosse, prüft heikle Stellen auf Schwammbef­all und diskutiert über die Therapie. Zum Glück ist die Dachsanier­ung nahezu abgeschlos­sen. Inständig hofft Hohberg auf die Mittelfrei­gabe für den nächsten Bauabschni­tt.

Wieder im Freien, wirft der Besucher noch einen verstohlen­en Blick zurück: Man muss dieses geschunden­e Schlössche­n einfach lieben. Der Baulärm klingt fast wie Musik.

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FOTOS (3): WOLFGANG HIRSCH Die Gerüste an der Schlossfas­sade stiften Hoffnung für den Erhalt der kostbaren Immobilie, die in der Substanz bedroht ist.
 ??  ?? Bauleiter Sebastian Thorn (rechts) und Holger Schmidt-schuchardt untersuche­n akribisch Raum für Raum im Obergescho­ss auf Schwammbef­all.
Bauleiter Sebastian Thorn (rechts) und Holger Schmidt-schuchardt untersuche­n akribisch Raum für Raum im Obergescho­ss auf Schwammbef­all.
 ??  ?? Steffen Jordan (l.) und Rainer Hohberg mit einer „verpilzten“Planke.
Steffen Jordan (l.) und Rainer Hohberg mit einer „verpilzten“Planke.

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