Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Zeitverschiebung im Zughafen
„Jazz in the City“-reihe hat mit den „Nighthawks“und „The New Cool“begonnen
Ein Blick auf die Uhr bestätigt: Es ist tatsächlich erst kurz nach Acht an diesem Freitagabend, als die Erfurter Konzertreihe „Jazz in the City“nach zwanzig Monaten Pause endlich wieder Fahrt aufnehmen darf: unter einem Dach im Zughafen, gerahmt von Güterzügen auf den Gleisen links und rechts.
Das Ohr sagt etwas ganz anderes: plötzlich tiefe Nacht, fast schon wieder Morgen. Es ist in den nächsten zweieinhalb Stunden ungefähr so, als hätten wir durchgemacht und hingen jetzt noch irgendwo herum.
Für diese Stimmung sorgt das Kölner Jazzrock-quintett um Dal Martino und Rainer Winterschladen seit Jahrzehnten zuverlässig. Nicht umsonst bezeichnen sich die Musiker als Nachtschwärmer: „Nighthawks“, nach dem Gemälde von Edward Hopper. Doch erst jetzt haben sie diesen entspannten Fusion-stil erstmals nach Thüringen gebracht. Dabei ist das ursprüngliche Studioprojekt bereits seit 2004 regelmäßig auch live zu erleben.
Dieser Auftakt zu sechs sommerlichen Jazzkonzerten unserer Mediengruppe fällt ausgerechnet auf den 65. Geburtstag von Rainer Winterschladen, der davon aber gänzlich unbeeindruckt seine flirrende Trompete mit Blechdämpfer spielt, wie weiland Miles Davis (der dann auch einen Abend später, bei „The New Cool“, gewissermaßen einen Gastauftritt haben wird). Wenn es mal ungedämpft zugehen soll, wechselt er zum Flügelhorn.
Um ihn herum breiten Dal Martino am E-bass und Jörg Lehnardt an der E-gitarre sowie Keyboarder Jürgen Dahmen und Schlagzeuger Thomas Alkier einen dicken fetten Klangteppich aus, auf dem diese Musik gleichsam trunken tänzelt. Etwas nuancierter klingt das, wenn man sich von der Seite aus anhört.
Die „Nighthawks“spielen keinen wilden und aufgekratzten und übrigens auch keinen sonderlich innovativen Jazz, aber eben doch einen mit- und hinreißenden, wofür 150 Gäste am Ende stehend applaudierend und johlend Zeugnis ablegen.
Die fast schon historischen Reminiszenzen sind dabei ohnehin unüberhörbar. Zur Sicherheit sagt der stets lässig und launig parlierende Dal Martino aber einmal: „Wir sind ja sowieso – und einige Leute hier im Publikum, wenn ich richtig gucke, auch – eher so inspiriert von den Sechziger-, Siebzigerjahren.“Da kündigt er gerade ein Stück aus jener Suite an, mit der die „Nighthawks“den Langstreckenflieger 707 von Boeing noch mal hochleben lassen, der einst den kulturellen Austausch diesseits und jenseits des Atlantiks im Wortsinn beförderte.
Diese Musik ist allzeit tanzbar, eine gemütliche Rumba in der Hitze der Nacht, auf leerer Straße und mit leerem Kopf käme infrage. Hier trifft ein verbrauchter Tag den nächsten, noch jungfräulichen, hier fallen Schwermut und Leichtsinn in eins. Das würde auch gut, zu späterer Stunde in den Biergarten „Stattstrand“auf dem Zughafengelände passen. Dorthin strömt am Abend die Jugend, nicht zur weiter dahinter gelegenen Jazzbühne.
Ganz cooler Jazz mit Frédéric Chopin und Cyndi Lauper
Auf dieser ereignet sich tags darauf das Kontrastprogramm. Ein Jazztrio beginnt in Clubatmosphäre, vor 35 Zuhörern an Tischen, mit Chopin: Prélude in e-moll. Das wird hier zum Vorspiel für ein Motiv der Entschleunigung, das sich variationsreich ruhig durch den Abend zieht. Es ereilt später unter anderem auch den Jazzstandard „Angel Eyes“sowie „I Feel Free“von Cream und, über den Cyndi-lauper-umweg wiederum eine Reminiszenz an Miles Davis, „Time After Time“.
Dergleichen schmiegt sich an die virtuos zelebrierte und höchst experimentierfreudige Schwermut von „The New Cool“an: dem neuen
Trio-projekt der drei exzellenten Jazzsolisten David Helbock (Piano), Sebastian Studnitzky (Trompete) und Arne Jansen (E-gitarre). Ein jeder steuerte zum ersten gemeinsamen Album, zu dem jetzt eine Release-tour stattfindet, eigene Kompositionen bei. Und ein jeder tritt dabei mal führend nach vorn, mal begleitend in den Hintergrund.
Dabei orientieren sie sich an den Prinzipien des guten alten Cooljazz und verschieben sie ins Heute. Es geht mehr um diese Haltung als die Stücke von einst, betont Helbock. Er führt in Ansagen so sparsam durch den Abend wie die Musiker ihr Material behandeln. Ins Bein geht das nicht, trifft aber unvermittelt die Herz- und Magengegend. Helbock arbeitet am Flügel mit Effektgerät sowie für Akkorde oder Percussion auch mit den Klaviersaiten. Studnitzky macht aus seiner Trompete vorzugsweise ein facettenreiches Blechhauchinstrument, Jansens wirbelt und zwirbelt sein Instrument voll und ganz ausreizende Gitarrenläufe in den Klang. Dem folgt das Wetter: Es gibt sich im Vergleich zum Vortag leicht unterkühlt.