Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Zverev im Tennis-olymp
Historisches Gold: Der gebürtige Hamburger gewinnt als erster Deutscher das Einzel-turnier.
Tokio.
Auf einmal verstand Alexander Zverev nur Bahnhof. Der 24Jährige saß am Sonntag in einem Pressezelt unterhalb der Tribüne des Ariake Tennis Parks, die Goldmedaille um den Hals. Aber die Namen, die eine Dame nun Deutschlands erstem Tennis-olympiasieger im Einzel vor dem Gespräch mit den Reportern vorlas, riefen bei Zverev Stirnrunzeln hervor. Es waren die Namen deutscher Medaillengewinner von anno dazumal. Bis Boris Becker und Michael Stich, dem 92-er Gold-doppel in Barcelona, kam die Zeremonienmeisterin des olympischen Tennisturniers gar nicht. Alexander Zverev drehte sich nach vorne und sagte: „Ich glaube, es gibt gerade nicht viele Menschen, die glücklicher sind als ich.“
Der Begriff historischer Moment passte zu diesem Tag. Seit der Rückkehr ins olympische Programm 1988 gewann kein deutscher Spieler das Turnier. Tommy Haas stand 2000 kurz davor, verlor dann aber gegen den Russen Jewgeni Kafelnikow. Bei Zverev gab es nie Zweifel, dass er zu Steffi Grafs Seoul-sieg, der Krönung des Golden-slam-jahres 1988, würde aufschließen können. „Ich kann es mit nichts anderem vergleichen, das hier ist größer als alles andere“, sagte der gebürtige Hamburger. „Das war die beste Woche meines Lebens – die Medaille gehört ganz Deutschland.“
Pathetische Worte, denen 79 nüchterne Finalminuten vorangegangen waren. Zwei Tage nach dem Wahnsinnserfolg über Novak Djokovic hatte Zverev seinem Gegner Karen Chatschanow (25) vom Team des Russischen Olympischen Komitees mit dem 6:3, 6:1 eine Lektion erteilt. Im zweiten Aufschlagspiel des Weltranglisten-25. gelang ihm ein Break. Aufschlag, Topspin-vorhand und Rückhand saßen. Mit einem Halbvolley ins Aus gab Chatschanow den ersten Satz nach 42 Minuten ab. Mit dem gleichen Schlag leitete die Nummer fünf der Welt das Ende der Partie ein, als sein russischer Kontrahent den Ball nur noch entnervt ins Netz drosch. Zverev sank auf Knie und Unterarme – geschafft und erlöst.
Es gibt einige, die sagen: Tennisprofis gehören nicht zu den Olympischen Spielen. Wie die Fußballer genießen sie über das gesamte Jahr Aufmerksamkeit, da könne das Ringe-spektakel ohne Preisgeld für sie keinen gesonderten Stellenwert haben. Obwohl tatsächlich die 20-maligen Grand-slam-sieger Rafael Nadal (Spanien) und Roger Federer (Schweiz) oder Top-ten-spieler Dominic Thiem (Österreich) auf die Japan-reise verzichtet hatten, um Verletzungen auszukurieren oder sich zu schonen, fand Zverev: „Es war auf jeden Fall eines der am stärksten besetzten Turniere in diesem Jahr.“
Erschöpfter Djokovic verfehlt Bronze und lässt Dampf ab
Es endete mit einem der größten Momente für Zverev, der den Topfavoriten aus Djokovic nicht nur im Halbfinale geschlagen, sondern auch empfindlich getroffen hatte. Der Serbe, der bei allen Grandslam-turnieren in diesem Jahr triumphiert hatte, verlor das Duell um Bronze gegen den Spanier Pablo Carreno Busta 4:6, 7:6 (8:6), 3:6. Gefrustet zerdrosch der Weltranglistenerste seine Schläger, kämpfte aber wie ein Löwe, wehrte Matchball um Matchball ab, um dann erschöpft doch zu verlieren. Wenig später sagte Djokovic seine Teilnahme am Bronzematch im Mixed wegen einer Schulterverletzung ab.
Für Sieger Zverev hat die Goldmedaille indes einen höheren Wert als 20.000 Euro Prämie: „Ich möchte, dass die nächste Generation sieht: Sie kann ihre Träume genauso verfolgen wie ich. Und ich möchte, dass Kinder zu ihren Eltern gehen und sagen: Papa, Mama, ich möchte Tennis spielen und nicht zum Fußball gehen. Denn ohne Tennis wäre ich jetzt nicht hier. “
Die Frage ist, was Zverev aus diesem Triumph von Tokio mitnehmen kann. Der Atp-weltmeister von 2018 hatte einen argen Verschleiß an Trainern und Managern, Eigensinn und Unbeherrschtheit haben ihm manchen Erfolg verbaut. Intensiver scheint er derzeit die Aussöhnung mit dem heimischen Publikum anzustreben. Graf und Becker waren in den 80er- und 90er-jahren nationales Kulturgut. Wegen manch schnöseliger Reaktion und des Verzichts auf Davis-cup-spiele erwärmte Zverev nicht gerade die Herzen. Sportlich kann der Olympiasieg verbaute Wege freilegen.
Ab 30. August schlägt „König Alexander“bei den US Open auf. Wie die Aussichten für New York stünden, wurde er gefragt. „Ich möchte gerade gar nicht über die US Open sprechen“, antwortete Zverev. „Ich habe gerade die Olympischen Spiele gewonnen. Das möchte ich jetzt mal für zwei Minuten genießen.“