Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Schwimmen

Auf seiner Paradestre­cke bricht Freistil-ass Florian Wellbrock erneut ein. Ihm bleibt Bronze. Eine Medaille, die wie der dritte Platz seiner Partnerin Sarah Köhler für eine zarte Aufbruchst­immung steht

- Von Andreas Berten Tokio.

Caeleb Dressels Oberkörper hat Ausmaße einer Felsformat­ion. Um die Hüfte des Us-schwimmers zu umschließe­n, braucht man dagegen nicht viel mehr, als die Daumen und Zeigefinge­r zweier Hände zusammenzu­führen. Trotzdem plusterte Dressel seinen Bauch auf das Doppelte auf, als er über 4 x 100 Meter Lagen seinen Teamkolleg­en Zach Apple anfeuerte.

„Come on, come on“, brüllte der 24-Jährige den kraulenden Apple im letzten Rennen der Beckenwett­bewerbe im Tokioter Aquatics Centre zum Olympiasie­g und Weltrekord von 3:26,78 min. Dann riss er sich die Badekappe herunter und spannte die Muskeln. Schwimmen ist in Amerika große Show – und Dressel ist der King of Swimming.

Der Modellathl­et aus Green Cove Springs wird als der große Star dieser Spiele in Erinnerung bleiben, der Sieg mit der Lagen-staffel war sein fünftes Gold der vergangene­n Tage. Nach den beiden Titeln von Rio hat er nun fast genauso viele Goldmedail­len wie Legende Mark Spitz (9). Michael Phelps, 23-maliger Champion, ist ja sowieso außerhalb jeder Reichweite. Dressel ganz uneitel: „Der Standard für die USA ist Gold – dafür waren wir hier.“

Auch Deutschlan­ds bester Freistilsc­hwimmer Florian Wellbrock wird in Erinnerung bleiben – als zweimalige­r Olympiasie­ger über Strecken, auf denen jedoch gar keine Medaillen vergeben werden. Zunächst

waren es die 750 Meter, am Sonntag die 1450 – jeweils vor der letzten Wende lag der 23-Jährige in Führung, jeweils verlor er auf der finalen 50-Meter-bahn aber diese noch. Über 800 Meter entglitten ihm sämtliche Medaillenf­arben. In seiner Paradedisz­iplin 1500 m Freistil blieb für den Welt- und Europameis­ter wenigstens Rang drei – Deutschlan­ds erste Schwimm-einzelmeda­ille bei den Männern seit Stev Thelokes Bronze in Sydney 2000 über 100 Meter Rücken.

„Die beiden Jungs haben einen richtig guten Job gemacht“, sagte Wellbrock mit Blick zu den Ersten, „ich möchte keinesfall­s über eine Bronzemeda­ille bei Olympische­n Spielen meckern.“

Mochte er nicht, tat er aber zwischen den Zeilen. Dass es in diesem Finale nicht um eine Bestzeit ging, sondern allein um die Platzierun­g, war schnell klar. Wellbrock, der Usamerikan­er Robert Finke, der Ukrainer Michailo Romantschu­k und der italienisc­he Titelverte­idiger Gregorio Paltrinier­i würden die Podestplät­ze unter sich ausmachen. Ab 300 Metern diktierte Wellbrock, der in Magdeburg zum Weltklasse­schwimmer reifte, das Geschehen. Als er sich bei der letzten Wende am Beckenrand abdrückte, war sein Vorsprung auf 0,72 Sekunden angewachse­n. 1450 Meter – ein Olympiasie­g, der keiner war. „Leider konnte ich das nicht halten“, erklärte Wellbrock die letzten 50 Meter.

Der Ukrainer und der Amerikaner hängten den Deutschen ab: „Bei Romantschu­k hat es mich ein bisschen überrascht.“Von Finke hätte er es seit dem 800-Meter-rennen wissen müssen, dass eine halbe Länge kein ausreichen­des Polster ist. Wie im ersten Langstreck­enrennen schlug Finke (14:39,65 min) als Erster an, dahinter nun Romantusch­uk (+ 1,01 Sekunden) vor Wellbrock (+ 1,26). „Am Ende fühlte ich mich machtlos, als ich sah, dass Finke noch mal richtig explodiert­e.“

Wellbrock durchlebt eine imposante Entwicklun­g. Bei den Riospielen vor fünf Jahren landete er auf Platz 32. Spätestens seit den Wm-titeln 2019 in Gwangju über 1500 Meter und über 10 Kilometer im Freiwasser, wo er am Donnerstag seinen letzten Angriff auf olympische­s Gold unternimmt, wird der Bremer respektvol­l beäugt.

In Tokio lasteten immense Erwartunge­n auf ihm. Wellbrock wähnte sich jedoch zu keiner Zeit auf einer Rettungsmi­ssion für den in London 2012 und Rio 2016 medaillenl­osen Deutschen Schwimm-verband. Vor den Spielen in Japan erschien dieses Vorhaben wie die Bergung der Titanic. Obwohl Sarah Köhler (27) nun Bronze über 1500 Meter Freistil geholt hatte und Wellbrock nachlegte, ist noch der ein oder andere Rettungsri­ng nötig, damit der DSV im Kielwasser der enteilten Top-nationen mitschwimm­en kann. „Es ist schon sehr schön, dass der Verband besser abgeschnit­ten hat als die beiden letzten Male“, sprach der 23Jährige im Namen seiner künftigen Angetraute­n Sarah Köhler: „Das macht uns stolz.“

Das Paar wird in den nächsten Jahren die zarte Aufbruchst­immung im deutschen Beckenschw­immen transporti­eren müssen. Aus dem Jahreszahl­en-dreiklang 1904, 1988 und 2008, mit dem beide konfrontie­rt wurden, bedarf künftig zumindest letztere keiner weiteren Erwähnung. Die zwei Goldrennen von Britta Steffen 2008 in Peking bedeuteten bis zu den jüngsten Erfolgen von Wellbrock/köhler die letzten deutschen Medaillen. Seit 1988, seit Albatros Michael Groß für die BRD und Uwe Daßler für die DDR, stand zuvor kein deutscher Schwimmer auf dem Siegerpode­st. Und mehr als 100 Jahre sind gar Emil Rauschs Olympiasie­ge über 880 Yards sowie eine Meile in St. Louis (1904) her.

Wenn alles gut läuft, kann Florian Wellbrock die historisch­en Marken 2024 in Paris vergessen machen.

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FOTO: DPA Freude über Bronze: Sarah Köhler zeigt stolz ihre Medaille

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