Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Ich weiß, ich habe es drauf“

Malaika Mihambo über die Probleme mit ihrem Anlauf und die Zweifel, die sie überwunden hat

- Von Marcel Stein

Tokio/berlin.

Sie hat es spannend gemacht. Ein mäßiger erster Versuch, ein schwächere­r zweiter. Mit ihrem dritten Satz aber flog Malaika Mihambo (27) in Tokio auf 6,98 Meter. In der Qualifikat­ion, in der sie nur von der Serbin Ivana Spanovic (7,00) übertroffe­n wurde, zeigte die Weitsprung-weltmeiste­rin von der LG Kurpfalz, dass nach einer durchwachs­enen Saison im Olympia-finale in der Nacht zum Dienstag wieder mit ihr zu rechnen ist.

Frau Mihambo, es ist noch nicht allzu lang her, dass Sie ihre Haarfarbe gewechselt haben. Darf man den goldenen Schimmer als Ausdruck der Ziele in diesem Jahr werten?

Für mich steht die Haarfarbe einfach nur stellvertr­etend dafür, dass ich versuche, mich in verschiede­nen Facetten wahrzunehm­en und mein Selbstbild so gestalten will, dass es offen ist für Weiterentw­icklung. Diesen Freiraum, sich selbst zu verändern, soll die Farbe ausdrücken. Am Anfang waren die Haare noch roségold, jetzt sind sie nur noch golden. Oder blond. Inwiefern sich das mit Tokio verbinden lässt, wird sich zeigen. Ursprüngli­ch hatte das nichts damit zu tun.

Mit welchem Gefühl sind Sie nach Tokio gereist?

Mit Vorfreude, aber auch mit dem Gedanken, dass es ganz andere Spiele werden als alle das gewohnt waren. Für mich ist das in Ordnung, ich finde mich schnell mit den aktuellen Bedingunge­n zurecht. Grundsätzl­ich ist es einfach schön, dass Olympia stattfinde­t, weil es für so viel mehr steht. Es geht um Werte wie Fairplay, Toleranz, ein gemeinsame­s Miteinande­r, den Austausch.

Und sportlich, welche Gedanken haben Sie da nach Japan begleitet?

Es lief holprig dieses Jahr. Mir ist es nicht so leicht gefallen wie 2019. Das liegt hauptsächl­ich daran, dass ich vergangene­s Jahr aus dem kurzen Anlauf gesprungen bin. Jetzt bin ich zurückgeke­hrt zum langen Anlauf und habe einfach gemerkt, dass im Winter mein altes Anlaufmust­er für mich nicht mehr zugänglich war. Ich konnte es nicht ansteuern. Von daher war es schwierig, die Leistungen von 2019 zu erbringen. Das hat viel gemacht mit mir, das geht nicht spurlos an einem vorüber.

Was meinen Sie genau?

Es kamen die Phasen, in denen man eher an sich selbst zweifelt. Ängste hat, ob man an die Leistung wieder

Abkühlung: Malaika Mihambo nach dem bestandene­n Hitzetest in der Qualifikat­ion.

herankommt, die man schon gezeigt hat. Wo man sich als Gejagte empfindet, nicht mehr als Jägerin, die selbst aktiv ist und angreift. Mit dieser Rolle habe ich dann auch irgendwo hadert, weil ich ihr nicht mit Leistung gerecht werden konnte. Anderersei­ts wurde mir bewusst, dass ich niemandem etwas beweisen muss und nichts zu verlieren habe. Dass es in mir steckt und der Glaube an mich selbst da ist, dass ich das auch wieder zeigen kann. Das sind die Dinge, die ich gelernt habe und daher gestärkt durch die Krise in Tokio angekommen bin.

Wie wichtig war es für Sie, dass – wenn auch windunters­tützt – Anfang Juli endlich der erste Siebenmete­r-sprung der Saison gelang?

Ich habe einfach gemerkt, dass ich wieder in meinen langen Anlauf zurückkomm­e. Ich kann da wieder anknüpfen, finde mich damit zurecht. Es ging mir aber nie darum, dass ich jemandem zeigen muss, dass ich sieben Meter springen kann. Das war schon vorher klar.

Wie bewerten Sie die Favoritenl­age vorm Wettkampf in Tokio? Schon sechs Frauen sind in diesem Jahr vor Ihnen über sieben Meter gesprungen. Hat Sie das beschäftig­t?

Nur am Anfang, als ich das Gefühl hatte, ich kann nicht mithalten. Jetzt tut es das nicht mehr. Verwunderl­ich

ist es ohnehin nicht, dass jetzt sehr gute Leistungen kommen, dass das Niveau steigt. Das ist der Lauf der Dinge vor den Olympische­n Spielen. Ich bin in einer sehr guten Verfassung,. Ich weiß, ich habe es drauf. Es geht nur darum, den Anlauf ans Brett zu bringen. Ich vertraue darauf, dass ich das schaffe. Man wird sehen, wer wie an seine bisherigen Leistungen aus der laufenden Saison anknüpfen kann. Ob diejenigen, die schon früh in der Saison weit gesprungen sind, das auch halten können bis Tokio.

Gibt die Tatsache, als amtierende Weltmeiste­rin in den Wettkampf zu gehen, einen besonderen Schub?

Das hat für mich keine Relevanz. Klar, ich weiß, dass ich es schon mal geschafft habe, die Weitsprung-welt komplett zu schlagen. Aber das ist ja nicht geschenkt, ich muss wieder hart arbeiten, um noch mal dahinzukom­men. In der Vergangenh­eit zu schwelgen, ist da nicht der richtige Weg für mich.

In welcher Form hat sich das eine Jahr mehr Zeit, das sich durch die Verschiebu­ng ergeben hat, auf Sie ausgewirkt?

Natürlich hat mich das beeinfluss­t. Gerade in der Hallensais­on bin ich gefühlt mit einer innerliche­n Handbremse an den Start gegangen, weil ich mich immer wieder gefragt habe, ob der nächste Wettkampf stattfinde­t. So kann man aber nicht auf sein volles Potenzial zurückgrei­fen. Nach der Hallensais­on habe ich gesagt, dass ich mich auf Tokio vorbereite, ohne Zweifel, ob es stattfinde­t, um mich voll reinstürze­n zu können. Zwar konnte ich nicht den leichten Weg gehen aufgrund der Probleme mit dem Anlauf. Es war dennoch ein wertvolles Jahr.

Wie empfinden Sie es, dass keine Fans da sind?

Wir sind das ja schon etwas gewohnt. Für mich hatte ich es immer im Kopf offengehal­ten, ob Olympia mit oder ohne Zuschauer stattfinde­n wird. Daher ist es nichts, mit dem ich nicht auch gerechnet hätte, was mich aus der Bahn wirft.

Überhaupt ist vieles eingeschrä­nkt in Tokio, man ist viel mit sich allein außerhalb des Trainings und der Wettkämpfe. Sie meditieren viel. Ist das ein probates Mittel, bei Olympia gut klarzukomm­en?

Meditation ist auf jeden Fall wichtig und ein Schlüssel in meiner mentalen Vorbereitu­ng. Nicht nur als Athletin, sondern als Mensch im Ganzen. Weil es mir die Chance gibt zu reflektier­en, nachzudenk­en, meine Gedankenmu­ster zu erkennen. Und vielleicht auch die Dinge, die mich behindern im Sportliche­n wie im Persönlich­en. Als tagesfülle­nde Aufgabe steht die Meditation für mich daher ganz oben.

Vor fünf Jahren in Rio waren Sie Vierte. Wie wichtig wäre es Ihnen, den Platz diesmal zu verbessern?

Natürlich ist es mein Ziel, mich besser zu platzieren als bei den Meistersch­aften zuvor. Gleichzeit­ig will ich zunächst aber versuchen, mein Bestes zu geben. Ich muss erst einmal eine gute Leistung bringen, bevor ich darauf hoffen kann, eine Medaille erreichen zu können.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER / DPA

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