Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Der Kampf um lebensrettende Antibiotika
Resistente Krankheitserreger sind eine der großen Bedrohungen der öffentlichen Gesundheit: Eine internationale Allianz versucht sie noch besser zu bekämpfen
Gießen.
Das Problem ist schon lange bekannt, aber noch lange nicht gelöst: Manche Bakterien, die schwere Erkrankungen verursachen, lassen sich nicht mehr mit Antibiotika bekämpfen. Resistente Krankheitserreger haben sich zu einer der großen Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit entwickelt. Der Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung und ein ausuferndes Verschreiben durch Ärzte beim Menschen haben mutmaßlich das einst scharfe medizinische Schwert stumpf werden lassen.
Bereits in wenigen Jahren könnten bislang harmlose Bakterieninfektionen nicht mehr behandelbar sein – und erneut, wie vor Beginn der antibiotischen Ära bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts, zu den häufigsten nicht natürlichen Todesursachen werden, heißt es in einer Mitteilung der Christian-albrechtsuniversität zu Kiel. Ein Forschungsteam um Hinrich Schulenburg untersucht am dortigen Evolution Center, wie die Reduktion der Keimanzahl im Laufe einer Infektion das Auftreten von Zufallseffekten und so die Ausbildung von Antibiotikaresistenzen beeinflusst.
Falsche Einnahme gefährdet Wirksamkeit langfristig
Das Team konnte zeigen, dass das Verringern der absoluten Bakterienzahl – auch durch Antibiotika – die Anpassungen des Krankheitserregers weniger vorhersagbar macht. Für eine möglichst effektive Antibiotikatherapie sei daher eine individuelle Charakterisierung der beteiligten Krankheitserreger sinnvoll, folgert das Forschungsteam.
Antibiotika wirken gegen von Bakterien verursachte Krankheiten – nicht aber gegen virale Infektionen. Während Bakterien Lebewesen sind, die sich selbst vermehren können, brauchen Viren zwingend einen Wirt, um sich fortzupflanzen. Zu den Viruserkrankungen gehören etwa Covid-19, fast alle Erkältungen und Grippe (Influenza). Antibiotika helfen hier nicht.
„Antibiotika sind dann nicht nur nutzlos, die unsachgemäße Anwendung kann dazu beitragen, dass Bakterien gegen Antibiotika resistent werden“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZGA) in einem Merkblatt. Denn: „Die unnötige oder falsche Einnahme sowie das vorzeitige Abbrechen der Einnahme führen dazu, dass die Antibiotika ihre Wirksamkeit gegen bakterielle Infektionen verlieren und dann, wenn es wirklich darauf ankommt, nicht mehr helfen.“
Das ist umso fataler, als Antibiotikaresistenzen ohnehin unvermeidlich sind, wie das Robert-koch-institut (RKI) erläutert: „Jeder Einsatz von Antibiotika fördert die Bildung von Resistenzen: Empfindliche Bakterien werden abgetötet – die resistenten jedoch überleben und vermehren sich weiter.“Die Entstehung von Antibiotikaresistenzen könne daher nicht verhindert werden, sondern höchstens verlangsamt, heißt es beim RKI.
Deswegen hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) des Problems angenommen. Und auch die Bundesregierung hat im Jahr 2015 eine eigene Strategie gegen Antibiotikaresistenzen gestartet.
Im Bundesgesundheitsblatt hieß es bereits im Oktober 2012: „Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Resistenz gegen Antibiotika aus der Gruppe der Carbapeneme, da diese bisher noch als Reserve-antibiotika zur Behandlung schwerer Infektionen verwendet werden konnten. Eine Zunahme der Resistenz gegen Carbapeneme beeinträchtigt die therapeutischen Möglichkeiten deutlich.“
Eine internationale Forschungsallianz hat sich nun zum Ziel gesetzt, Carbapeneme für den Einsatz bei schweren bakteriellen Erkrankungen zu erhalten. Seit Anfang des Jahres arbeitet die Alliance for the Exploration of Pipelines for Inhibitors of Carbapenemases (Aepic Alliance) daran. Elf Forschende aus Spanien,
Italien, Frankreich, den Niederlanden, Schweden, Kanada und Deutschland gründeten die Allianz. Als einzige Vertreterin aus Deutschland ist Linda Falgenhauer vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Justus-liebig-universität (JLU) Gießen dabei.
„Carbapeneme gehören zu den wirksamsten Medikamenten, die zur Behandlung von bakteriellen Infektionen zur Verfügung stehen, die gegen andere Antibiotika resistent sind“, erläutert die Gießener Professorin. Allerdings nutzten bereits selbst diese Reserve-antibiotika gegen einige Bakterien nicht mehr. Die resistenten Krankheitserreger
seien in der Lage, Enzyme herzustellen, die die Carbapeneme abbauen. Diese Enzyme verhindern die Wirkung der Reserve-antibiotika.
Ziel der Aepic Alliance ist, Substanzen zu finden, die diese Enzyme neutralisieren und so den Carbapenemen selbst wieder einen Weg eröffnen, gegen schwere Infektionen zu helfen. Die beteiligten Wissenschaftler
nennen die enzymhemmenden Stoffe Inhibitoren, nach dem lateinischen Wort „inhibere“für „unterbinden“oder „anhalten“. Inhibitoren hemmen chemische Reaktionen – im diesem Falle den Stoffwechsel der bakteriellen Enzyme, der ansonsten die Wirkung der Antibiotika zunichtemacht. Die Suche nach passenden Inhibitoren gleicht allerdings der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Laut Falgenhauer gibt es 100.000 Verbindungen, die womöglich geeignet sind. „Das kann man sich vorstellen wie einen Baukasten“, sagt sie. Theoretisch komme das ganze Periodensystem der Elemente infrage.
Die Forschungsallianz setzt dabei nicht darauf, alles durchzuprobieren, sondern geht mathematisch und computergestützt vor: Die beteiligten Forscherinnen und Forscher kombinieren Algorithmen, Suchparameter und Datenbanken, um Inhibitoren aufzuspüren.
„Manche Berechnung dauert Monate“, so die Biologin. Die auf zwei Jahre angesetzte Projektlaufzeit erscheint im Verhältnis dazu nicht sehr lang. Das Projekt läuft seit Anfang des Jahres und wird von der Europäischen Union gefördert.