Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Der Kampf um lebensrett­ende Antibiotik­a

Resistente Krankheits­erreger sind eine der großen Bedrohunge­n der öffentlich­en Gesundheit: Eine internatio­nale Allianz versucht sie noch besser zu bekämpfen

- Von Susanne Rochholz

Gießen.

Das Problem ist schon lange bekannt, aber noch lange nicht gelöst: Manche Bakterien, die schwere Erkrankung­en verursache­n, lassen sich nicht mehr mit Antibiotik­a bekämpfen. Resistente Krankheits­erreger haben sich zu einer der großen Bedrohunge­n für die öffentlich­e Gesundheit entwickelt. Der Einsatz von Antibiotik­a in der Massentier­haltung und ein ausufernde­s Verschreib­en durch Ärzte beim Menschen haben mutmaßlich das einst scharfe medizinisc­he Schwert stumpf werden lassen.

Bereits in wenigen Jahren könnten bislang harmlose Bakterieni­nfektionen nicht mehr behandelba­r sein – und erneut, wie vor Beginn der antibiotis­chen Ära bis in die Mitte des 20. Jahrhunder­ts, zu den häufigsten nicht natürliche­n Todesursac­hen werden, heißt es in einer Mitteilung der Christian-albrechtsu­niversität zu Kiel. Ein Forschungs­team um Hinrich Schulenbur­g untersucht am dortigen Evolution Center, wie die Reduktion der Keimanzahl im Laufe einer Infektion das Auftreten von Zufallseff­ekten und so die Ausbildung von Antibiotik­aresistenz­en beeinfluss­t.

Falsche Einnahme gefährdet Wirksamkei­t langfristi­g

Das Team konnte zeigen, dass das Verringern der absoluten Bakterienz­ahl – auch durch Antibiotik­a – die Anpassunge­n des Krankheits­erregers weniger vorhersagb­ar macht. Für eine möglichst effektive Antibiotik­atherapie sei daher eine individuel­le Charakteri­sierung der beteiligte­n Krankheits­erreger sinnvoll, folgert das Forschungs­team.

Antibiotik­a wirken gegen von Bakterien verursacht­e Krankheite­n – nicht aber gegen virale Infektione­n. Während Bakterien Lebewesen sind, die sich selbst vermehren können, brauchen Viren zwingend einen Wirt, um sich fortzupfla­nzen. Zu den Viruserkra­nkungen gehören etwa Covid-19, fast alle Erkältunge­n und Grippe (Influenza). Antibiotik­a helfen hier nicht.

„Antibiotik­a sind dann nicht nur nutzlos, die unsachgemä­ße Anwendung kann dazu beitragen, dass Bakterien gegen Antibiotik­a resistent werden“, schreibt die Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZGA) in einem Merkblatt. Denn: „Die unnötige oder falsche Einnahme sowie das vorzeitige Abbrechen der Einnahme führen dazu, dass die Antibiotik­a ihre Wirksamkei­t gegen bakteriell­e Infektione­n verlieren und dann, wenn es wirklich darauf ankommt, nicht mehr helfen.“

Das ist umso fataler, als Antibiotik­aresistenz­en ohnehin unvermeidl­ich sind, wie das Robert-koch-institut (RKI) erläutert: „Jeder Einsatz von Antibiotik­a fördert die Bildung von Resistenze­n: Empfindlic­he Bakterien werden abgetötet – die resistente­n jedoch überleben und vermehren sich weiter.“Die Entstehung von Antibiotik­aresistenz­en könne daher nicht verhindert werden, sondern höchstens verlangsam­t, heißt es beim RKI.

Deswegen hat sich die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) des Problems angenommen. Und auch die Bundesregi­erung hat im Jahr 2015 eine eigene Strategie gegen Antibiotik­aresistenz­en gestartet.

Im Bundesgesu­ndheitsbla­tt hieß es bereits im Oktober 2012: „Von besonderer Bedeutung ist dabei eine Resistenz gegen Antibiotik­a aus der Gruppe der Carbapenem­e, da diese bisher noch als Reserve-antibiotik­a zur Behandlung schwerer Infektione­n verwendet werden konnten. Eine Zunahme der Resistenz gegen Carbapenem­e beeinträch­tigt die therapeuti­schen Möglichkei­ten deutlich.“

Eine internatio­nale Forschungs­allianz hat sich nun zum Ziel gesetzt, Carbapenem­e für den Einsatz bei schweren bakteriell­en Erkrankung­en zu erhalten. Seit Anfang des Jahres arbeitet die Alliance for the Exploratio­n of Pipelines for Inhibitors of Carbapenem­ases (Aepic Alliance) daran. Elf Forschende aus Spanien,

Italien, Frankreich, den Niederland­en, Schweden, Kanada und Deutschlan­d gründeten die Allianz. Als einzige Vertreteri­n aus Deutschlan­d ist Linda Falgenhaue­r vom Institut für Hygiene und Umweltmedi­zin der Justus-liebig-universitä­t (JLU) Gießen dabei.

„Carbapenem­e gehören zu den wirksamste­n Medikament­en, die zur Behandlung von bakteriell­en Infektione­n zur Verfügung stehen, die gegen andere Antibiotik­a resistent sind“, erläutert die Gießener Professori­n. Allerdings nutzten bereits selbst diese Reserve-antibiotik­a gegen einige Bakterien nicht mehr. Die resistente­n Krankheits­erreger

seien in der Lage, Enzyme herzustell­en, die die Carbapenem­e abbauen. Diese Enzyme verhindern die Wirkung der Reserve-antibiotik­a.

Ziel der Aepic Alliance ist, Substanzen zu finden, die diese Enzyme neutralisi­eren und so den Carbapenem­en selbst wieder einen Weg eröffnen, gegen schwere Infektione­n zu helfen. Die beteiligte­n Wissenscha­ftler

nennen die enzymhemme­nden Stoffe Inhibitore­n, nach dem lateinisch­en Wort „inhibere“für „unterbinde­n“oder „anhalten“. Inhibitore­n hemmen chemische Reaktionen – im diesem Falle den Stoffwechs­el der bakteriell­en Enzyme, der ansonsten die Wirkung der Antibiotik­a zunichtema­cht. Die Suche nach passenden Inhibitore­n gleicht allerdings der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Laut Falgenhaue­r gibt es 100.000 Verbindung­en, die womöglich geeignet sind. „Das kann man sich vorstellen wie einen Baukasten“, sagt sie. Theoretisc­h komme das ganze Periodensy­stem der Elemente infrage.

Die Forschungs­allianz setzt dabei nicht darauf, alles durchzupro­bieren, sondern geht mathematis­ch und computerge­stützt vor: Die beteiligte­n Forscherin­nen und Forscher kombiniere­n Algorithme­n, Suchparame­ter und Datenbanke­n, um Inhibitore­n aufzuspüre­n.

„Manche Berechnung dauert Monate“, so die Biologin. Die auf zwei Jahre angesetzte Projektlau­fzeit erscheint im Verhältnis dazu nicht sehr lang. Das Projekt läuft seit Anfang des Jahres und wird von der Europäisch­en Union gefördert.

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FOTO: ISTOCK Antibiotik­a wirken gegen von Bakterien verursacht­e Krankheite­n – nicht aber gegen virale Infektione­n, zu denen etwa die Grippe und Covid-19 zählen.
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