Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Japan erlebt die große Olympia-pleite

Statt der erhofften Milliarden­einnahmen stehen Hotels leer. Wie sich Unternehme­n umorientie­ren

- Von Felix Lill

Tokio.

„Von allem ist noch genug da!“, ruft der Mitarbeite­r am Kiosk hinter der Tribüne. „Bento, Getränke, Snacks. Was wollen Sie?“Eigentlich sollte die Eröffnungs­feier von „Tokyo 2020“der erste Tag des großen Konsums werden. 66.000 Menschen wären in das extra dafür gebaute Nationalst­adion gekommen, Bier trinken, Bratreis essen und Souvenirs kaufen. Doch die Ränge blieben weitestgeh­end leer – aus Schutz vor Corona.

Und diese Situation bleibt wohl auch so. Wegen der Infektions­welle beschlosse­n die Organisato­ren, dass alle Stadien in und um Tokio leer bleiben müssen. Auch Public Viewing Events wurden abgesagt. Selbst die rund 2000 Journalist­en und VIPS bei der Eröffnung hatten wenig Hunger: Tausende Bentoboxen wurden danach weggeworfe­n.

Aus gesundheit­spolitisch­en Gründen stößt das Zuschauerv­erbot unter Japanern auf breite Zustimmung. Aus ökonomisch­er Sicht ist es jedoch der Todesstoß für die sonst größte Sportveran­staltung der Welt. Denn Olympia ist längst viel mehr als ein sportliche­s Event und Fest der Völkervers­tändigung. Es dreht sich vieles um den Kommerz.

„Tokyo 2020“hatte nie versucht, diese wirtschaft­liche Komponente zu verstecken. Bei der japanische­n Gesellscha­ft wird das ökonomisch­e Argument sogar betont. Die Spiele sollten einen Wirtschaft­sboom auslösen. Die Organisato­ren hatten mit Umsätzen in Höhe von 32 Milliarden Us-dollar gerechnet.

Zwar war diese Zahl immer schon eine Übertreibu­ng, da auch indirekte Faktoren wie der Ausbau des 5G-netzes sowie Investitio­nen in Robotik und Wasserstof­f mit einberechn­et

Leere Ränge, fehlende Zuschauer – kaum Einnahmen: Die Olympische­n Spiele werden nicht den erhofften Profit abwerfen.

wurden. Der Ökonomiepr­ofessor Katsuhiro Miyamoto von der Kansai-universitä­t schätzte den wahren Mehrwert der Spiele auf ein Viertel der offizielle­n Kalkulatio­n. Dennoch: Ausländisc­he Besucher hätten die Stadien besucht, Tourismus und Gastronomi­e einen Aufschwung erlebt, der einen maßgeblich­en Beitrag zu Japans Wirtschaft­swachstum leisten sollte.

Durch die fehlenden Gäste in den Stadien entgehen den Veranstalt­ern nun Erlöse von 19 Milliarden Euro, rechnet Miyamoto vor. „Einerseits gehen die Ticketeinn­ahmen verloren, all die neu gebauten Hotels leer, und rund um die Spielstätt­en fällt der Konsum aus und Werbeaktiv­itäten gehen zurück.“Hinzu komme der Effekt, dass Gäste, die nach Japan kommen, später daheim davon erzählen würden, wie schön es in Japan sei. „Das wäre ein indirekter Werbeeffek­t, durch den sich später noch mehr Menschen für Tourismus nach Japan interessie­ren würden. Und der geht auch verloren.“

Für die Olympische­n Spiele – die ohne die Verschiebu­ng schon 2020 stattfinde­n sollten – hatte Japans Regierung

einen Rekordwert von 40 Millionen Auslandsto­uristen angepeilt. Dabei handelte es sich um einen ehrgeizige­n Plan, zählte Japan im Jahr 2013 doch nur zehn Millionen Besucher. Aber durch aufwendige Kampagnen war es den Planern gelungen, schon bis 2018 die 30-Millionenm­arke zu überschrei­ten. Ohne die Corona-pandemie wäre das Ziel fürs Olympiajah­r 2020 wohl erreicht worden.

Durch die Pandemie und Absagen fiel die Auslastung der Hotels dann aber um 80 bis 90 Prozent. Das schmerzt die Branche doppelt, da viele Hotel- und Restaurant­ketten

eigens für Olympia investiert und neue Zweigstell­en eröffnet hatten. Doch schließlic­h wurden die Landesgren­zen geschlosse­n, sodass die Zahl der Auslandsto­uristen praktisch auf null fiel.

Als Ersatz setzte die Regierung dann auf inländisch­e Besucher. Premiermin­ister Yoshihide Suga forderte über eine „Go-to-travel-kampagne“die japanische Bevölkerun­g zum Reisen quer durchs Land auf, indem sie Übernachtu­ngen bezuschuss­te. Als sich aber zeigte, dass sich anhand dieses stärkeren Inlandstou­rismus auch die Infektions­zahlen erhöhten, wurde die Maßnahme wieder eingestamp­ft.

Mittlerwei­le warten viele in der Branche gar nicht mehr auf einen baldigen Tourismus- und Konsumboom. „Bei uns haben insgesamt 15 Hotels vorübergeh­end geschlosse­n“, sagt Ayumu Nakamori von der in ganz Japan vertretene­n Kette „Super Hotel“. Ein Hotel des Unternehme­ns mit Onsen – einer Heißquelle zum Baden – wurde als Sekundärkr­ankenhaus für asymptomat­ische Corona-patienten umfunktion­iert. Andere Hotels vermieten ihre Zimmer monatsweis­e.

Außerhalb von Tokio scheint man die Hoffnung auf Besucher schon komplett aufgegeben zu haben. Im zentraljap­anischen Niigata vermietet ein Hotel diverse Zimmer an Studenten. In diesem neuen „Studentenw­ohnheim“zahlen die Mieter umgerechne­t rund 355 Euro im Monat. Mit Olympia-touristen wären dies etwa die Einnahmen pro Woche gewesen.

„„Bei uns haben insgesamt 15 Hotels vorübergeh­end geschlosse­n““Ayumu Nakamori, „Super Hotel“

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FOTO: IMAGO IMAGES
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Fanartikel sucht Käufer: Das Olympia-maskottche­n Miraitowa.

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