Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Regel muss mit der Zeit gehen
Soll man ihr jetzt die Medaille wegnehmen? Ich denke nicht. Die Kugelstoßerin Raven Saunders hat bei der Siegerehrung in Tokio die Arme aus Solidarität mit den Unterdrückten gekreuzt. Auch Saunders hat gegen Regel 50 verstoßen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ihre Geste ist ein Protest für Menschenrechte und entspricht somit dem olympischen Geist. Trotzdem bin ich gespannt, wie das IOC, dass die Äußerungen auf dem Podest bisher nicht gestattet hat, in ihrem Fall entscheidet.
Wir in der Athletenvertretung haben das Thema immer wieder angeschoben. Die Lockerung der Regel 50, die politische Meinungsäußerung bisher komplett verbot, ist richtig. Regeln müssen mit der Zeit gehen. Sportlichen Vorbildern darf man im 21. Jahrhundert nicht mehr den Mund verbieten.
Ich bin aber gegen eine Politisierung des Sports. Ich sehe für mich andere Kanäle, um meine Meinung zu sagen und etwas gegen Fehlentwicklungen zu tun. Selbst erlebt habe ich den Protest der schwedischen Hochspringerin Emma Green-tregaro mit ihren regenbogenbunten Fingernägeln bei der WM in Moskau 2013. Sie musste den Lack damals entfernen. Aber sich auch öffentlich für menschliche Werte einzusetzen, das gehört heute dazu. Jeder Athlet hat „eigene“Erfahrungen gemacht und deshalb sollte man ihm die Form seines Protests überlassen.
Trotzdem bleibt es ein Tanz auf des Messers Schneide, denn auch Sportler können sich für politische Zwecke missbrauchen lassen. Wichtig ist, dass die Regeln künftig nicht nur bei Olympia gelten, sondern in allen Verbänden und bei Meisterschaften ein gleicher Maßstab angesetzt wird. Der Jenenser Thomas Röhler (29), Speerwurf-olympiasieger von 2016 und in diesem Jahr verletzungsbedingt nicht am Start, wirft täglich einen persönlichen Blick auf die Spiele.