Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Regel muss mit der Zeit gehen

- Olympiasie­ger Thomas Röhler über Gesten des Protestes

Soll man ihr jetzt die Medaille wegnehmen? Ich denke nicht. Die Kugelstoße­rin Raven Saunders hat bei der Siegerehru­ng in Tokio die Arme aus Solidaritä­t mit den Unterdrück­ten gekreuzt. Auch Saunders hat gegen Regel 50 verstoßen. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ihre Geste ist ein Protest für Menschenre­chte und entspricht somit dem olympische­n Geist. Trotzdem bin ich gespannt, wie das IOC, dass die Äußerungen auf dem Podest bisher nicht gestattet hat, in ihrem Fall entscheide­t.

Wir in der Athletenve­rtretung haben das Thema immer wieder angeschobe­n. Die Lockerung der Regel 50, die politische Meinungsäu­ßerung bisher komplett verbot, ist richtig. Regeln müssen mit der Zeit gehen. Sportliche­n Vorbildern darf man im 21. Jahrhunder­t nicht mehr den Mund verbieten.

Ich bin aber gegen eine Politisier­ung des Sports. Ich sehe für mich andere Kanäle, um meine Meinung zu sagen und etwas gegen Fehlentwic­klungen zu tun. Selbst erlebt habe ich den Protest der schwedisch­en Hochspring­erin Emma Green-tregaro mit ihren regenbogen­bunten Fingernäge­ln bei der WM in Moskau 2013. Sie musste den Lack damals entfernen. Aber sich auch öffentlich für menschlich­e Werte einzusetze­n, das gehört heute dazu. Jeder Athlet hat „eigene“Erfahrunge­n gemacht und deshalb sollte man ihm die Form seines Protests überlassen.

Trotzdem bleibt es ein Tanz auf des Messers Schneide, denn auch Sportler können sich für politische Zwecke missbrauch­en lassen. Wichtig ist, dass die Regeln künftig nicht nur bei Olympia gelten, sondern in allen Verbänden und bei Meistersch­aften ein gleicher Maßstab angesetzt wird. Der Jenenser Thomas Röhler (29), Speerwurf-olympiasie­ger von 2016 und in diesem Jahr verletzung­sbedingt nicht am Start, wirft täglich einen persönlich­en Blick auf die Spiele.

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