Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
„Mein Doping? Die Deutschen!“
Zehnkampf-legende Daley Thompson über die packenden Duelle mit Hingsen & Co.
Am Mittwoch und Donnerstag wird in Tokio der König der Athleten ermittelt: Die Geschichte dieser Disziplin ist voll von packenden Zweikämpfen. Die packendsten haben sich der Brite Daley Thompson und seine deutschen Widersacher geliefert. Wir sprachen mit dem 63 Jahre alten zweimaligen Olympiasieger über diese Rivalität und eine entscheidende Frage, die sich Weltmeister Niklas Kaul stellen muss.
Sie scheinen noch gut in Form zu sein. Würden Sie heute noch einen Zehnkampf durchstehen?
Dankeschön. Ich fahre viel Rad, rudere und gehe ins Fitnessstudio. Aber zu Ihrer Frage: Da bin ich mir nicht wirklich sicher.
Woran könnte es scheitern?
An meiner Geschwindigkeit. Von der Muskelmasse her könnte ich es aber eigentlich noch mal probieren.
Dann betrachten wir den Zehnkampf mal von einer anderen Seite: Was sind Ihre zehn wichtigsten Disziplinen im normalen Leben?
Hui, zehn? Wenn ich ehrlich bin, habe ich nur eine Disziplin: dafür zu sorgen, dass es meinen Kindern, die zwischen 33 und 15 Jahren alt sind, gut geht, dass sie gesund bleiben und das Leben führen, das sie wollen. Ich kann zum Glück sagen: Es geht ihnen allen gut.
Sie waren eine der Ikonen der Leichtathletik – an der Seite von Carl Lewis, Sergej Bubka oder Heike Drechsler. Wie haben Sie es geschafft, mit all dem Ruhm zurecht zu kommen, den Olympiasiege und Weltrekorde mit sich brachten?
Mich hat der ganze Rummel nie interessiert, es war nie mein Ziel, berühmt zu sein. Was ich wollte: der Beste in meinem Sport zu sein, ganz klar. Da ich zu der Zeit alles für den Zehnkampf gegeben habe, fiel es mir auch nicht schwer, mich um Schlagzeilen und Ruhm nicht zu kümmern. Sehen Sie, Carl und Heike hatten ja nur das Sprinten und den Weitsprung, die mussten viel weniger trainieren als ich (lacht).
Dass Sie die englischen Medien haben links liegen lassen, als Sie immer populärer wurden, hat Ihnen aber auch Probleme eingebracht.
Als Athlet haben sie mich respektiert, als Mensch haben sie mich nicht gemocht. Die Denkweise englischer Medien war noch sehr altbacken: Ich sollte jedes Mal dankbar dafür sein, dass ich ein Interview
Daley Thompson: Em-gold 1986 nennt er den schönsten Sieg.
mit ihnen machen durfte – anstatt dass sie dankbar waren, mit mir sprechen zu können.
Die 80er gelten als das große Doping-jahrzehnt der Leichtathletik. Wurden Sie je damit konfrontiert, auch unerlaubte Mittel zu nehmen?
Nein, das hätte ich auch nie angenommen. Ich hatte ja ein anderes Dopingmittel, ein legales, versteht sich: die Deutschen. Kriegen Sie all meine Konkurrenten zusammen?
Aber klar: Siggi Wentz, Christian Schenk, Guido Kratschmer, und natürlich Jürgen Hingsen. Sehen Sie es mir nach, dass ich damals kein Fan von Ihnen war.
Es war schön, mit Ihnen zu sprechen… Im Ernst: Es war trotzdem erstaunlich, wie viel Zuspruch ich aus Deutschland bekam. Beinahe wöchentlich gingen bis zu 15 Anfragen nach Autogrammen bei mir ein.
Sie waren der Londoner Junge aus der Arbeiterklasse, Hingsen der extrovertierte Duisburger, den Sie Hollywood-hingsen nannten.
Das war wegen seiner damaligen Frau, die aus Kalifornien stammt. Wir haben die Leute unterhalten, vor allem mit unserem Sport. Jürgen hat mir zweimal den Weltrekord weggeschnappt, unsere Bestleistungen lagen immer nah beieinander. So etwas braucht die Leichtathletik auch heute. Der schönste meiner 19 Siege war aber nicht bei Olympia.
Wo denn sonst, bitte?
In Stuttgart. 1986 bei der EM. Zehnkämpfer erfahren in Deutschland sehr viel Anerkennung. Sie in ihrem Zuhause besiegt zu haben, war schon speziell.
Im Zehnkampf gibt es keine spannenden Duelle mehr zwischen beiden Ländern. Was ist in England mit Ihrem Sport passiert?
Meine Landsleute wollen sich nicht mehr durch die Trainingsarbeit quälen. Wer bei uns Talent hat, konzentriert sich auf den Sprint oder Weitsprung – weil einem dort schnellere Aufmerksamkeit sicher ist.
Deutschland hätte einen guten Gegner: Niklas Kaul.
Oh ja, ich sah ihn bei der WM 2019 in Doha. Ein guter Junge.
Was erwarten Sie von ihm?
Eine seiner Stärken ist, dass er noch so jung ist. Er ist jetzt schon Weltmeister, aber er muss noch viel lernen und sich auf Meetings konstant zeigen, damit er Kevin Mayer eines Tages richtig gefährden kann.
Wird der Franzose in Tokio unschlagbar sein?
Das kann schon sein. Aber Euer Junge nimmt von so einem Erfolg Selbstvertrauen mit. Und das kann schon mal 200 Punkte ausmachen.
Sagen Sie Niklas Kaul doch mal, wie man sich als Olympiasieger fühlt – vielleicht schafft er das ja.
Ob er das hinbekommt, kann ich nicht sagen. Dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Aber wenn er es schaffen sollte, wird er vor einer wichtigen Frage stehen: ob das für ihn Anfang oder Ende sein soll.
Wie meinen Sie das?
Es ist okay, einmal Olympiasieger werden zu wollen. Aber es ist etwas anderes, seinen Sport über Jahre zu dominieren. Als ich 1980 in Moskau gewonnen hatte, wollte ich vier Jahre später in Los Angeles gewinnen. Als mir das gelungen war, wollte ich das dritte Gold in Seoul. Das hat nicht geklappt, aber die beiden Male davor. Kaul muss sich das überlegen. Er ist ja noch jung.