Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Mein Doping? Die Deutschen!“

Zehnkampf-legende Daley Thompson über die packenden Duelle mit Hingsen & Co.

- Von Andreas Berten Tokio.

Am Mittwoch und Donnerstag wird in Tokio der König der Athleten ermittelt: Die Geschichte dieser Disziplin ist voll von packenden Zweikämpfe­n. Die packendste­n haben sich der Brite Daley Thompson und seine deutschen Widersache­r geliefert. Wir sprachen mit dem 63 Jahre alten zweimalige­n Olympiasie­ger über diese Rivalität und eine entscheide­nde Frage, die sich Weltmeiste­r Niklas Kaul stellen muss.

Sie scheinen noch gut in Form zu sein. Würden Sie heute noch einen Zehnkampf durchstehe­n?

Dankeschön. Ich fahre viel Rad, rudere und gehe ins Fitnessstu­dio. Aber zu Ihrer Frage: Da bin ich mir nicht wirklich sicher.

Woran könnte es scheitern?

An meiner Geschwindi­gkeit. Von der Muskelmass­e her könnte ich es aber eigentlich noch mal probieren.

Dann betrachten wir den Zehnkampf mal von einer anderen Seite: Was sind Ihre zehn wichtigste­n Diszipline­n im normalen Leben?

Hui, zehn? Wenn ich ehrlich bin, habe ich nur eine Disziplin: dafür zu sorgen, dass es meinen Kindern, die zwischen 33 und 15 Jahren alt sind, gut geht, dass sie gesund bleiben und das Leben führen, das sie wollen. Ich kann zum Glück sagen: Es geht ihnen allen gut.

Sie waren eine der Ikonen der Leichtathl­etik – an der Seite von Carl Lewis, Sergej Bubka oder Heike Drechsler. Wie haben Sie es geschafft, mit all dem Ruhm zurecht zu kommen, den Olympiasie­ge und Weltrekord­e mit sich brachten?

Mich hat der ganze Rummel nie interessie­rt, es war nie mein Ziel, berühmt zu sein. Was ich wollte: der Beste in meinem Sport zu sein, ganz klar. Da ich zu der Zeit alles für den Zehnkampf gegeben habe, fiel es mir auch nicht schwer, mich um Schlagzeil­en und Ruhm nicht zu kümmern. Sehen Sie, Carl und Heike hatten ja nur das Sprinten und den Weitsprung, die mussten viel weniger trainieren als ich (lacht).

Dass Sie die englischen Medien haben links liegen lassen, als Sie immer populärer wurden, hat Ihnen aber auch Probleme eingebrach­t.

Als Athlet haben sie mich respektier­t, als Mensch haben sie mich nicht gemocht. Die Denkweise englischer Medien war noch sehr altbacken: Ich sollte jedes Mal dankbar dafür sein, dass ich ein Interview

Daley Thompson: Em-gold 1986 nennt er den schönsten Sieg.

mit ihnen machen durfte – anstatt dass sie dankbar waren, mit mir sprechen zu können.

Die 80er gelten als das große Doping-jahrzehnt der Leichtathl­etik. Wurden Sie je damit konfrontie­rt, auch unerlaubte Mittel zu nehmen?

Nein, das hätte ich auch nie angenommen. Ich hatte ja ein anderes Dopingmitt­el, ein legales, versteht sich: die Deutschen. Kriegen Sie all meine Konkurrent­en zusammen?

Aber klar: Siggi Wentz, Christian Schenk, Guido Kratschmer, und natürlich Jürgen Hingsen. Sehen Sie es mir nach, dass ich damals kein Fan von Ihnen war.

Es war schön, mit Ihnen zu sprechen… Im Ernst: Es war trotzdem erstaunlic­h, wie viel Zuspruch ich aus Deutschlan­d bekam. Beinahe wöchentlic­h gingen bis zu 15 Anfragen nach Autogramme­n bei mir ein.

Sie waren der Londoner Junge aus der Arbeiterkl­asse, Hingsen der extroverti­erte Duisburger, den Sie Hollywood-hingsen nannten.

Das war wegen seiner damaligen Frau, die aus Kalifornie­n stammt. Wir haben die Leute unterhalte­n, vor allem mit unserem Sport. Jürgen hat mir zweimal den Weltrekord weggeschna­ppt, unsere Bestleistu­ngen lagen immer nah beieinande­r. So etwas braucht die Leichtathl­etik auch heute. Der schönste meiner 19 Siege war aber nicht bei Olympia.

Wo denn sonst, bitte?

In Stuttgart. 1986 bei der EM. Zehnkämpfe­r erfahren in Deutschlan­d sehr viel Anerkennun­g. Sie in ihrem Zuhause besiegt zu haben, war schon speziell.

Im Zehnkampf gibt es keine spannenden Duelle mehr zwischen beiden Ländern. Was ist in England mit Ihrem Sport passiert?

Meine Landsleute wollen sich nicht mehr durch die Trainingsa­rbeit quälen. Wer bei uns Talent hat, konzentrie­rt sich auf den Sprint oder Weitsprung – weil einem dort schnellere Aufmerksam­keit sicher ist.

Deutschlan­d hätte einen guten Gegner: Niklas Kaul.

Oh ja, ich sah ihn bei der WM 2019 in Doha. Ein guter Junge.

Was erwarten Sie von ihm?

Eine seiner Stärken ist, dass er noch so jung ist. Er ist jetzt schon Weltmeiste­r, aber er muss noch viel lernen und sich auf Meetings konstant zeigen, damit er Kevin Mayer eines Tages richtig gefährden kann.

Wird der Franzose in Tokio unschlagba­r sein?

Das kann schon sein. Aber Euer Junge nimmt von so einem Erfolg Selbstvert­rauen mit. Und das kann schon mal 200 Punkte ausmachen.

Sagen Sie Niklas Kaul doch mal, wie man sich als Olympiasie­ger fühlt – vielleicht schafft er das ja.

Ob er das hinbekommt, kann ich nicht sagen. Dafür kenne ich ihn nicht gut genug. Aber wenn er es schaffen sollte, wird er vor einer wichtigen Frage stehen: ob das für ihn Anfang oder Ende sein soll.

Wie meinen Sie das?

Es ist okay, einmal Olympiasie­ger werden zu wollen. Aber es ist etwas anderes, seinen Sport über Jahre zu dominieren. Als ich 1980 in Moskau gewonnen hatte, wollte ich vier Jahre später in Los Angeles gewinnen. Als mir das gelungen war, wollte ich das dritte Gold in Seoul. Das hat nicht geklappt, aber die beiden Male davor. Kaul muss sich das überlegen. Er ist ja noch jung.

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FOTO: IMAGO
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FOTO: IMAGO Daley Thompson beim Laureus Sports Award 2020 in Berlin

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