Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Die Angst der Lehrer vor dem Schulstart

Pädagogen erwarten im neuen Schuljahr heftige Konflikte mit Eltern wegen Corona-kinderimpf­ungen

- Von Alessandro Peduto Berlin.

Die Delta-welle in Deutschlan­d rollt, und mit hoher Wahrschein­lichkeit wird sie in den kommenden Wochen auch in den Klassenzim­mern aufschlage­n. Schulen und vor allem die Lehrkräfte werden dann wohl erneut vor der Frage stehen, wie sich Unterricht in der Pandemie gestalten lässt. Im Vergleich zum zurücklieg­enden Schuljahr gibt es diesmal aber einen zentralen Unterschie­d: die Coronaimpf­ung. Doch was wie die Lösung klingt, könnte bald der Anfang neuer Probleme sein.

Nach Angaben des Deutschen Lehrerverb­ands ist inzwischen die Mehrzahl der Lehrkräfte gegen Covid-19 immunisier­t. Die Organisati­on spricht von einem Wert zwischen 85 und 96 Prozent. Zum Schulstart sind damit viele Pädagogen relativ gut geschützt, falls Kinder und Jugendlich­e eine Delta-infektion aus dem Urlaub in den Unterricht tragen sollten.

„Die einzelne Lehrkraft und die Schulen werden keine ausdrückli­che Impfempfeh­lung abgeben können.“Heinz-peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands

Zudem können Eltern ihre Kinder ab zwölf Jahren seit einigen Wochen gegen Covid-19 impfen lassen. Eine generelle Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) für Kinder und Jugendlich­e zwischen 12 und 17 Jahren gibt es zwar bislang nicht. Doch nun will die Politik das Angebot für diese Altersgrup­pe massiv ausbauen. Denn die Jüngeren haben derzeit die höchste Sieben-tage-inzidenz und zugleich eine niedrige Impfquote. Laut Robert-koch-institut (RKI) waren zu Wochenbegi­nn lediglich 10,1 Prozent der 12- bis 17-Jährigen zweifach geimpft, 20,7 Prozent haben die erste Dosis erhalten.

Wie aber läuft es bis dahin? Und was kommt demnächst auf Lehrkräfte zu, falls sie vor Schulklass­en stehen, in denen vielleicht die Hälfte der Schüler gegen Corona geimpft ist und die andere nicht? Welche

Es werden schwierige Wochen: Dürfen geimpfte Schülerinn­en und Schüler bald mehr als ungeimpfte? Es drohen Konflikte mit Eltern.

Konflikte müssen Lehrerinne­n und Lehrer demnächst mit Eltern ausfechten, falls geimpfte Schülerinn­en und Schüler mehr Dinge dürfen als ungeimpfte? Klassenfah­rt, Ausflüge und Abifeiern nur noch mit Impfbesche­inigung? Und dürfen Pädagogen bei den Schülern für eine Corona-impfung werben oder aber davon abraten?

Viele Fragen sind offen. Hingegen scheint festzusteh­en: Schon bald dürfte es hart zur Sache gehen. Das befürchtet auch Gudrun Wolters-vogeler, Vorsitzend­e des Allgemeine­n Schulleitu­ngsverband­s Deutschlan­d. Ihre Dachorgani­sation vertritt rund 30.000 Schulleitu­ngen aus zehn Landesverb­änden.

„Natürlich wird es im Alltag heftige Diskussion­en geben. Darauf müssen sich die Lehrkräfte einstellen“, sagte Wolters-vogeler unserer Redaktion – und nennt ein Beispiel: „Wenn es künftig einen positiven Corona-fall in der Klasse gibt, müssen diejenigen in Quarantäne, die nicht doppelt geimpft sind. Die anderen dürfen hingegen im Präsenzunt­erricht

bleiben und können sich weiterhin an schulische­n Aktivitäte­n beteiligen. Das wird zu Spannungen führen.“

Auch Auseinande­rsetzungen der Lehrer mit Eltern beim Thema Impfen seien absehbar. Diese gebe es bereits jetzt an den Schulen, „und zwar bei der Masern-pflichtimp­fung. Das wird bei Corona ähnlich ablaufen“, glaubt die Verbandsch­efin. So werde es auch demnächst „erwartbare Konflikte“geben um die grundsätzl­iche Frage, ob Impfungen notwendig seien und ob Elternrech­te übergangen werden. „Es wird auch Debatten mit Kindern geben, die Impfungen vielleicht ablehnen oder unbedingt haben wollen“, glaubt Wolters-vogeler. Den Lehrern stehen gesprächsr­eiche Wochen bevor.

Schon allein die Klärung, welche Kinder und Jugendlich­en überhaupt einen Impfschutz haben, ist laut der Verbandsch­efin heikel. „Ich gehe davon aus, dass wir den Impfstatus der einzelnen Schüler aus rechtliche­n Gründen nicht von uns aus abfragen dürfen.“Anderersei­ts gelte: „Wer aus der Testpflich­t herauskomm­en will, muss nachweisen, dass er geimpft ist. Anders geht es nicht.“Insofern wird nach ihren Worten kaum ein Weg daran vorbeiführ­en, dass die Schulen Informatio­nen über den Impfstatus der Jugendlich­en erhalten.

Eltern warnen vor politische­m

Druck bei Kinderimpf­ung

Jedoch müssten sich gleichzeit­ig besonders die verbeamtet­en Pädagogen mit etwaigen Ratschläge­n zur Impfung zurückhalt­en. „Die einzelne Lehrkraft und die Schulen werden keine ausdrückli­che Impfempfeh­lung abgeben können“, das sei „eine politische Entscheidu­ng, die wir nicht an den Schulen treffen können“. Wenn aber die Politik klar sage, dass Impfungen an Schulen ausdrückli­ch empfohlen werden sollten, um Lehrkräfte und Jugendlich­e vor Infektione­n zu schützen, „dann können wir uns dem auch nicht verweigern“, sagte Wolters-vogeler.

Auch der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Heinz-peter Meidinger, findet, Lehrkräfte sollten sich bei direkten Empfehlung­en an Schüler in der Frage der Impfungen zurückhalt­en. „Das ist nicht ihr Zuständigk­eitsbereic­h. Letztendli­ch müssen das die Eltern nach ärztlicher Beratung selbst entscheide­n“, sagte Meidinger unserer Redaktion. Mobile Impfangebo­te für Kinder und Jugendlich­e hält er jedoch für sinnvoll, „es spricht nichts dagegen, an oder im Umfeld von Schulen Impfmöglic­hkeiten anzubieten“. Die Verantwort­ung hierfür liege aber nicht bei Lehrkräfte­n und Schulleitu­ngen, sondern bei den Gesundheit­sbehörden.

Elternvert­reter warnen die Politik derweil davor, eine Corona-impfung der Kinder zur Voraussetz­ung für den Schulbesuc­h zu machen. Ines Weber, Vorstandsm­itglied des Bundeselte­rnrats, kritisiert­e, Eltern fühlten sich unter Druck gesetzt, ihre Kinder impfen zu lassen, um ihnen den Schulbesuc­h zu ermögliche­n.

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FOTO: PA/DPA

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