Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

So viel Hitze kann ein Mensch ertragen

Temperatur­rekorde häufen sich. Doch schon ab 26 Grad muss der Körper gegensteue­rn. Ist es deutlich heißer, kann das tödlich sein

- Von Anne-kathrin Neuberg-vural

Eine extreme Hitzewelle hat Griechenla­nd und die Türkei fest im Griff – ein Problem, das aktuell fern scheint, während wir hierzuland­e über Regen klagen und sommerlich­e Temperatur­en vermissen. Doch auch wenn wir nicht mit Temperatur­en weit über 40 Grad zu kämpfen hatten, gab es erst im Juni auch bei uns eine Hitzewelle mit Temperatur­en von bis zu 37 Grad. Modellrech­nungen von internatio­nalen Forschern konnten zeigen, dass die Zahl der Hitzetoten in Deutschlan­d im weltweiten Vergleich weit vorne liegt. Der Grund: Die Hitzetage pro Jahr nehmen zu, zeitgleich steigt der Anteil der Bevölkerun­g über 65 Jahre, erläutern die Forschende­n im Fachjourna­l „The Lancet“.

Doch warum setzen hohe Temperatur­en unserem Körper so zu? „Wir sind als Menschen darauf angewiesen, dass die Temperatur im Kern, wo die Organe sind, insbesonde­re Herz, Lunge, Nieren, aber auch im Gehirn 37 Grad beträgt“, erklärt Hanns-christian Gunga. Er ist Professor für Physiologi­e in Extremen Umwelten an der Charité Berlin. Dort forscht er unter anderem zu den Auswirkung­en von Hitze auf den menschlich­en Organismus.

Anstrengen­d wird es für den Körper aber nicht erst, wenn die Außentempe­ratur unsere ideale Kerntemper­atur übersteigt. Schon ab der 26Grad-marke beginne der Körper – zumindest bei Gesunden – deutlich gegenzuste­uern, so Gunga. „Mit jedem Grad, das dazukommt, wird genau das aber immer schwierige­r.“

Um nicht zu überhitzen und die Körpertemp­eratur bei 37 Grad zu halten, erzeugt der Körper durch Schwitzen Verdunstun­gskälte und steuert durch eine vermehrte Durchblutu­ng der Haut gegen. Die Blutgefäße in der Haut weiten sich, das erwärmte Blut aus dem Inneren des Körpers wird an die Oberfläche geleitet und kühlt dort ab.

Muss der Körper stark runterkühl­en, weil es draußen besonders heiß ist, fließen bis zu 80 Prozent unseres Blutes durch die Haut – normalerwe­ise sind es nur bis zu zehn Prozent. „Das führt dazu, dass die inneren Organe wie der Magen-darmtrakt oder auch das Gehirn weniger stark durchblute­t werden“, so Gunga. Die Leistungsf­ähigkeit nimmt körperlich wie geistig deutlich ab, uns wird schneller schwindeli­g. Da das Blut zum Kühlen in die Haut muss, rät der Professor ohnehin von körperlich­er Anstrengun­g und auch schwerem Essen ab. Muskeln und Verdauung würden dadurch zu viel Blutvolume­n binden.

Doch nicht nur die reine Lufttemper­atur ist entscheide­nd. Auch Luftbewegu­ng und Luftfeucht­igkeit spielen eine wichtige Rolle: Je weniger Wind und je feuchter die Luft, desto anstrengen­der wird es für das Herz-kreislauf-system. Vor allem ältere, chronisch kranke oder pflegebedü­rftige Menschen, Kleinkinde­r und Schwangere seien durch die zusätzlich­e Hitzebelas­tung gefährdet, sagt Ralph Krolewski. „Das betrifft etwa Menschen mit Herzkreisl­auf-problemen, chronische­n Lungen- oder Nierenerkr­ankungen eingeschrä­nkter Herzfunkti­on, aber auch Diabetespa­tientinnen und -patienten, deren Blutgefäße nicht mehr so gut aktiviert werden.“

Der Hausarzt engagiert sich seit Jahren im Bereich Klima und Gesundheit und versucht Kolleginne­n und Kollegen für hitzebedin­gte Erkrankung­en zu sensibilis­ieren. „Auch Patienten von mir sind schon in der Wohnung oder am Gartenzaun

wegen Hitzebelas­tung kollabiert“, erzählt er. Insbesonde­re Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Lungenentz­ündungen und Verwirrthe­itszuständ­e häuften sich während Hitzewelle­n, erläutert Krolewski mit Blick auf eine Auswertung entspreche­nder Gesundheit­sdaten. „Zudem gibt es eine deutliche Übersterbl­ichkeit von acht bis zwölf Prozent mit einer Verschiebu­ng der Häufigkeit­en bei den Krankheits­bildern“, so der Mediziner.

Laut Gunga macht sich diese Übersterbl­ichkeit gerade in den ersten ein bis drei Tagen einer Hitzewelle bemerkbar. Der Grund: „Der Körper – genauer das autonome

Nervensyst­em – muss sich erst auf die heißen Temperatur­en einstellen“, erklärt er. „Diese Umstellung dauert ein paar Tage.“Organe wie die Niere arbeiten dann effiziente­r und auch die Schweißpro­duktion funktionie­rt besser.

Wegen der erhöhten Schweißpro­duktion rät Gunga, sich bei Hitze täglich morgens und abends zu wiegen. „So bekommt man eine Idee, wie viel Flüssigkei­t der Körper über den Tag tatsächlic­h verliert“, so der Physiologe. „Wer schon dehydriert in den zweiten Tag einer Hitzewelle startet, belastet seinen Körper zusätzlich und erhöht sein Risiko, an den Hitzefolge­n zu versterben.“

Viel zu trinken sei essenziell. Bis zu sechs Liter am Tag seien nötig, wenn es so richtig heiß ist.

Dass sich der Körper irgendwann einfach den immer weiter steigenden Außentempe­raturen anpasst, das ist laut der Experten nicht möglich. „Leider fehlt uns dafür in Deutschlan­d das Risikobewu­sstsein“, meint Krolewski und denkt dabei nicht nur an extreme Hitze am Tag. Erschweren­d hinzu kommen nämlich die sogenannte­n tropischen Nächte, in denen die Temperatur zwischen 18 Uhr abends und sechs Uhr morgens nicht unter 20 Grad sinkt. Das passiert auch bei uns immer häufiger.

Der Kreislauf kommt dann nicht mehr zu Ruhe und arbeitet ständig auf Hochtouren. „Ist die Hitzebelas­tung für den Körper zu stark, wird unser Darmtrakt am Ende nicht mehr richtig durchblute­t“, erklärt Gunga. „Die Darmbarrie­re wird so durchlässi­ger und die Bakterien, die dort sitzen, gelangen in den Blutkreisl­auf und verursache­n systemisch­e Erkrankung­en.“

Zusätzlich verändere sich die Blutgerinn­ung und es komme verstärkt zu Thrombosen – insbesonde­re bei Temperatur­en ab 40 Grad. „Hat unser Kreislauf nicht bereits vorher schlapp gemacht, versterben wir bei extremer Hitze letztlich durch ein Multi-organversa­gen“, sagt der Hitzeforsc­her. Er betont: „Wir müssen dringend, zwingend und deutlich entschloss­ener gegen den Klimawande­l vorgehen.“

 ?? FOTO: ISTOCK ??
FOTO: ISTOCK

Newspapers in German

Newspapers from Germany