Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Fast wie im Krieg
Einsatz im Ahrtal: Erfahrene Helfer aus Thüringen machen sich wegen der Zerstörungen Sorgen
Da ist er wieder, dieser Geruch. Feucht und modrig. Doch irgendwie anders als in so vielen Häusern, die Mitte Juli von der Ahr überspült worden sind und in denen noch braune Spuren an den Wänden, auf den Böden, an den Decken zeigen, wie hoch das Wasser dort stand. Wasser voller Schlamm; ein Gemisch aus Erde, Geröll, Öl, Fäkalien und wer weiß was noch …
Anders riecht es in diesem dunklen Keller, weil sich hier etwas Fruchtiges in den Modergestank mischt. Dieser Keller, der durch ein paar große Strahler und mehrere Stirnlampen zumindest ein bisschen erhellt wird, liegt im kleinen Rech. Der Ort mit seinen etwa 550 Einwohnern gehört zur Verbandsgemeinde Altenahr. Die Ahr fließt direkt durch Rech, in dessen unmittelbarer Umgebung sich Weinberge an Weinberge schmiegen. Vor dem 14. Juli war der Anblick, den Rech bot, für Postkarten geeignet. Nach der Flut geht der Blick über eine Trümmerlandschaft.
Dafür, dass man in diesem Keller überhaupt stehen und wieder ein paar Meter laufen kann, haben in den vergangenen Tagen auch Helfer aus Thüringen gesorgt, genauer: bis zu zehn Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW), die im Ortsverband Suhl organisiert sind. Dass es hier unten Strom und damit Licht und einen Wasserstrahl – gespeist aus einer Pumpe – gibt, ist ihr Verdienst. „Ohne uns, würde hier nichts funktionieren“, sagt René Eckstein. Gerade spülen einige Thw-ler einen Teil des Kellers mit Wasser aus, der zuvor Eimer um Eimer vom Schlamm befreit worden ist. Aus einem Nebenraum bringen etwa ein Dutzend angehende Polizisten mit Eimern und Schubkarren Schlamm nach draußen. Das ist harte körperliche Arbeit. Der stinkende Schlamm ist schwer. Damit die Reifen der Schubkarren auf dem Weg nach draußen nicht einsinken, wurde harter Schutt aufgebracht.
Drei Tage nach der Flutnacht – der Nacht vom 14. auf den 15. Juli –sind die Suhler Thw-angehörigen ins Katastrophengebiet aufgebrochen. Innerhalb von wenigen Minuten, erzählen sie, hätten sie sich nach einer Anfrage der Thw-führung entschieden, nach Rheinlandpfalz zu gehen. Gepackt war sehr schnell. Ohne das Verständnis, ohne die Unterstützung ihre Familien und ihrer Arbeitgeber, sagen sie, sei das völlig undenkbar. Eckstein ebenso wie sein Zugführer, Andreas Höfling, sind erfahrene, professionelle Helfer. Eckstein ist seit 2005 beim Technischen Hilfswerk, Höfling seit 2008. Sie, die beide im Srh-zentralklinikum in Suhl arbeiten, Eckstein als Rettungsassistent, Höfling als Patientenbegleiter, haben schon mehrere Hochwasser erlebt. Sie haben bei Flutkatastrophen in Bautzen geholfen, in Görlitz, in Camburg. Doch das, was sie in Rech sehen, was sie in den anderen Orten entlang der Ahr zuvor gesehen haben, das, sagen sie, sei mit keinem der Einsatzorte vergleichbar, an die sie das THW in der Vergangenheit geschickt hatte. „Da haben wir mal einzelne Gebäude abgestützt“, sagt Höfling. „Das hier hat eine ganz andere Dimension.“
Wo jetzt über eine freie Fläche der Bagger rollt, standen Häuser
Nur ein passender Vergleich fällt Eckstein und Höfling ein. Ehe sie erzählen können, woran sie die Szenerie in Rech erinnert, rollt ein Bagger an. Der Greifarm trägt etwas, das aussieht wie ein Heizkörper. Er wird auf einem Haufen landen, auf dem schon viel von dem liegt, was nicht mehr nutzbar ist: Fensterrahmen, Holztüren, dazwischen jede Menge Metall. Eines dieser verbogenen, verdreckten Metallgestänge könnte mal ein Kinderwagen gewesen sein.
Ungefähr dort, wo der Bagger entlangfährt und in etwa auf der Fläche, auf die der Fahrer schaut, als er mit dem Gerät den Hang hinauf rollt, standen Häuser. Nun ist dort eine leere Fläche. Es geht steil den Hang hinab, unmittelbar in das Flussbett, durch das die Ahr an diesem Tag braun und noch immer schneller als gewöhnlich fließt. Als Flut war, stand sie höher, viel höher. Wie hoch genau, weiß niemand, weil die Flut die Pegel zerstörte. Sieben Meter, sagen sie in Rech, waren es bestimmt. Jetzt ist die Bundeswehr da, um eine Behelfsbrücke für Fußgänger zu errichten.
Überhaupt prägt neben dem THW die Bundeswehr das Bild in Rech, auch etwa zwei Wochen nach der Flut, die hier eine Sturzflut gewesen sein muss. Weil das Wasser sich in dem engen Tal – anders als im Mündungsgebiet – nicht nach links und rechts ausbreiten konnte, rauschte es umso zerstörerischer, todbringender Richtung Rhein.
Etwa 20 Häuser in Rech sind durch die Flut völlig zerstört worden. Das Wasser hat 60 Prozent der Häuser im Ort beschädigt. Eine große Steinbrücke ist zerstört, ihre Reste ragen aus dem Wasser. Soldaten haben eine Ersatzbrücke für Fahrzeuge über den Fluss gespannt, über die nur fahren darf, wer sich von den Soldaten an beiden Enden einweisen lässt.
Neben der Brücke steht ein Pionierpanzer. In Rech sind neben Thw-lern, Feuerwehrleuten, Polizisten, Rotkreuzlern, freiwilligen zivilen Helfer auch Soldaten zu sehen. Die Omnipräsenz der Streitkräfte trägt dazu bei, dass nicht nur Eckstein und Höfling überzeugt sind, dass ein Vergleich naheliegt: In vielen Ortschaften sehe es nach der Flut aus wie im Krieg.
Schon an ihrer ersten Einsatzstelle in Kreuzberg – etwa vier Kilometer westlich von Rech – habe er sich wie nach einer Schlacht gefühlt, sagt Höfling. „Überall Trümmer, die ganze Zeit Hubschrauber im Tiefflug. Du kamst Dir vor wie im Krieg.“
Nur in Nuancen unterscheidet sich der Eindruck zum Kosovo-einsatz Eckstein war als Bundeswehrsoldat als Teil der Kfor-truppen im Kosovo im Einsatz gewesen. Was er nun an der Ahr und besonders in Rech erlebe, sei „wie damals“. Nur in zwei Details unterscheide sich die Szenerie hier von dem, was er in kosovarischen Dörfern gesehen habe. „Damals waren an den noch stehenden Häusern überall Einschusslöcher.“Zudem sei der Müll auf offener Straße verbrannt worden. Ansonsten: „Absolute Parallelen.“
Derlei Eindrücke hinterlassen auch bei den Helfern Spuren, die nach einer kurzen Mittagspause wieder ins Halbdunkel des Weinkellers hinabsteigen. Manche Helfer, sagen Eckstein und Höfling, würden daheim in Thüringen auch in der Nähe solcher Bäche wohnen. In Suhl gebe es da doch die Hasel, die Lauter … „Und Suhl liegt ja auch in einem Tal“, gibt Eckstein zu bedenken. „Da wird einem wirklich ganz anders und man weiß zu schätzen, was man hat. Noch hat“, und was morgen vielleicht schon verloren haben könnte durch eine Flut.
In dem Weingut in Rech gilt es an diesem Tag mehrere schwere Weinfässer aus dem Keller zu bergen. Der Schlamms klebt noch immer in vielen Ecken. In Rech ist die komplette Infrastruktur zerstört: keine Brücken, keine Straßen, kein Strom, kein Wasser. Die Thw-ler um Eckstein und Höfling arbeiten wie die anderen Helfer mit der gleichen Hingabe, ob es nun Dreck zu beseitigen gilt oder ob Leitungen und Kabel gezogen oder Brücken und Straßen instandgesetzt oder behelfsmäßig wiederhergestellt werden müssen. Helfer wie sie werden hier noch lange gebraucht.