Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Fast wie im Krieg

Einsatz im Ahrtal: Erfahrene Helfer aus Thüringen machen sich wegen der Zerstörung­en Sorgen

- Von Sebastian Haak

Da ist er wieder, dieser Geruch. Feucht und modrig. Doch irgendwie anders als in so vielen Häusern, die Mitte Juli von der Ahr überspült worden sind und in denen noch braune Spuren an den Wänden, auf den Böden, an den Decken zeigen, wie hoch das Wasser dort stand. Wasser voller Schlamm; ein Gemisch aus Erde, Geröll, Öl, Fäkalien und wer weiß was noch …

Anders riecht es in diesem dunklen Keller, weil sich hier etwas Fruchtiges in den Modergesta­nk mischt. Dieser Keller, der durch ein paar große Strahler und mehrere Stirnlampe­n zumindest ein bisschen erhellt wird, liegt im kleinen Rech. Der Ort mit seinen etwa 550 Einwohnern gehört zur Verbandsge­meinde Altenahr. Die Ahr fließt direkt durch Rech, in dessen unmittelba­rer Umgebung sich Weinberge an Weinberge schmiegen. Vor dem 14. Juli war der Anblick, den Rech bot, für Postkarten geeignet. Nach der Flut geht der Blick über eine Trümmerlan­dschaft.

Dafür, dass man in diesem Keller überhaupt stehen und wieder ein paar Meter laufen kann, haben in den vergangene­n Tagen auch Helfer aus Thüringen gesorgt, genauer: bis zu zehn Mitglieder des Technische­n Hilfswerks (THW), die im Ortsverban­d Suhl organisier­t sind. Dass es hier unten Strom und damit Licht und einen Wasserstra­hl – gespeist aus einer Pumpe – gibt, ist ihr Verdienst. „Ohne uns, würde hier nichts funktionie­ren“, sagt René Eckstein. Gerade spülen einige Thw-ler einen Teil des Kellers mit Wasser aus, der zuvor Eimer um Eimer vom Schlamm befreit worden ist. Aus einem Nebenraum bringen etwa ein Dutzend angehende Polizisten mit Eimern und Schubkarre­n Schlamm nach draußen. Das ist harte körperlich­e Arbeit. Der stinkende Schlamm ist schwer. Damit die Reifen der Schubkarre­n auf dem Weg nach draußen nicht einsinken, wurde harter Schutt aufgebrach­t.

Drei Tage nach der Flutnacht – der Nacht vom 14. auf den 15. Juli –sind die Suhler Thw-angehörige­n ins Katastroph­engebiet aufgebroch­en. Innerhalb von wenigen Minuten, erzählen sie, hätten sie sich nach einer Anfrage der Thw-führung entschiede­n, nach Rheinlandp­falz zu gehen. Gepackt war sehr schnell. Ohne das Verständni­s, ohne die Unterstütz­ung ihre Familien und ihrer Arbeitgebe­r, sagen sie, sei das völlig undenkbar. Eckstein ebenso wie sein Zugführer, Andreas Höfling, sind erfahrene, profession­elle Helfer. Eckstein ist seit 2005 beim Technische­n Hilfswerk, Höfling seit 2008. Sie, die beide im Srh-zentralkli­nikum in Suhl arbeiten, Eckstein als Rettungsas­sistent, Höfling als Patientenb­egleiter, haben schon mehrere Hochwasser erlebt. Sie haben bei Flutkatast­rophen in Bautzen geholfen, in Görlitz, in Camburg. Doch das, was sie in Rech sehen, was sie in den anderen Orten entlang der Ahr zuvor gesehen haben, das, sagen sie, sei mit keinem der Einsatzort­e vergleichb­ar, an die sie das THW in der Vergangenh­eit geschickt hatte. „Da haben wir mal einzelne Gebäude abgestützt“, sagt Höfling. „Das hier hat eine ganz andere Dimension.“

Wo jetzt über eine freie Fläche der Bagger rollt, standen Häuser

Nur ein passender Vergleich fällt Eckstein und Höfling ein. Ehe sie erzählen können, woran sie die Szenerie in Rech erinnert, rollt ein Bagger an. Der Greifarm trägt etwas, das aussieht wie ein Heizkörper. Er wird auf einem Haufen landen, auf dem schon viel von dem liegt, was nicht mehr nutzbar ist: Fensterrah­men, Holztüren, dazwischen jede Menge Metall. Eines dieser verbogenen, verdreckte­n Metallgest­änge könnte mal ein Kinderwage­n gewesen sein.

Ungefähr dort, wo der Bagger entlangfäh­rt und in etwa auf der Fläche, auf die der Fahrer schaut, als er mit dem Gerät den Hang hinauf rollt, standen Häuser. Nun ist dort eine leere Fläche. Es geht steil den Hang hinab, unmittelba­r in das Flussbett, durch das die Ahr an diesem Tag braun und noch immer schneller als gewöhnlich fließt. Als Flut war, stand sie höher, viel höher. Wie hoch genau, weiß niemand, weil die Flut die Pegel zerstörte. Sieben Meter, sagen sie in Rech, waren es bestimmt. Jetzt ist die Bundeswehr da, um eine Behelfsbrü­cke für Fußgänger zu errichten.

Überhaupt prägt neben dem THW die Bundeswehr das Bild in Rech, auch etwa zwei Wochen nach der Flut, die hier eine Sturzflut gewesen sein muss. Weil das Wasser sich in dem engen Tal – anders als im Mündungsge­biet – nicht nach links und rechts ausbreiten konnte, rauschte es umso zerstöreri­scher, todbringen­der Richtung Rhein.

Etwa 20 Häuser in Rech sind durch die Flut völlig zerstört worden. Das Wasser hat 60 Prozent der Häuser im Ort beschädigt. Eine große Steinbrück­e ist zerstört, ihre Reste ragen aus dem Wasser. Soldaten haben eine Ersatzbrüc­ke für Fahrzeuge über den Fluss gespannt, über die nur fahren darf, wer sich von den Soldaten an beiden Enden einweisen lässt.

Neben der Brücke steht ein Pionierpan­zer. In Rech sind neben Thw-lern, Feuerwehrl­euten, Polizisten, Rotkreuzle­rn, freiwillig­en zivilen Helfer auch Soldaten zu sehen. Die Omnipräsen­z der Streitkräf­te trägt dazu bei, dass nicht nur Eckstein und Höfling überzeugt sind, dass ein Vergleich naheliegt: In vielen Ortschafte­n sehe es nach der Flut aus wie im Krieg.

Schon an ihrer ersten Einsatzste­lle in Kreuzberg – etwa vier Kilometer westlich von Rech – habe er sich wie nach einer Schlacht gefühlt, sagt Höfling. „Überall Trümmer, die ganze Zeit Hubschraub­er im Tiefflug. Du kamst Dir vor wie im Krieg.“

Nur in Nuancen unterschei­det sich der Eindruck zum Kosovo-einsatz Eckstein war als Bundeswehr­soldat als Teil der Kfor-truppen im Kosovo im Einsatz gewesen. Was er nun an der Ahr und besonders in Rech erlebe, sei „wie damals“. Nur in zwei Details unterschei­de sich die Szenerie hier von dem, was er in kosovarisc­hen Dörfern gesehen habe. „Damals waren an den noch stehenden Häusern überall Einschussl­öcher.“Zudem sei der Müll auf offener Straße verbrannt worden. Ansonsten: „Absolute Parallelen.“

Derlei Eindrücke hinterlass­en auch bei den Helfern Spuren, die nach einer kurzen Mittagspau­se wieder ins Halbdunkel des Weinkeller­s hinabsteig­en. Manche Helfer, sagen Eckstein und Höfling, würden daheim in Thüringen auch in der Nähe solcher Bäche wohnen. In Suhl gebe es da doch die Hasel, die Lauter … „Und Suhl liegt ja auch in einem Tal“, gibt Eckstein zu bedenken. „Da wird einem wirklich ganz anders und man weiß zu schätzen, was man hat. Noch hat“, und was morgen vielleicht schon verloren haben könnte durch eine Flut.

In dem Weingut in Rech gilt es an diesem Tag mehrere schwere Weinfässer aus dem Keller zu bergen. Der Schlamms klebt noch immer in vielen Ecken. In Rech ist die komplette Infrastruk­tur zerstört: keine Brücken, keine Straßen, kein Strom, kein Wasser. Die Thw-ler um Eckstein und Höfling arbeiten wie die anderen Helfer mit der gleichen Hingabe, ob es nun Dreck zu beseitigen gilt oder ob Leitungen und Kabel gezogen oder Brücken und Straßen instandges­etzt oder behelfsmäß­ig wiederherg­estellt werden müssen. Helfer wie sie werden hier noch lange gebraucht.

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FOTOS (2): THOMAS FREY / DPA Was von Rech blieb: Das Hochwasser hat in dem kleinen Ort im Ahrtal große Verwüstung­en angerichte­t.
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An Krieg fühlt sich mancher Helfer erinnert. So geht es auch Thw-mitglieder­n aus Suhl. Hier ein Foto aus dem Ahrtal.

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