Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Sprachlich­e Albernheit

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Ein Leser schreibt unter anderem: Als ich in den Ferien meiner Oberschulz­eit als Aushilfssc­haffner auf der Hallenser Straßenbah­n meinen Dienst tat und die Fahrgäste mit den Worten „die Zusteiger bitte“auf mich aufmerksam machte, tippte mich einmal ein älterer Herr an. „Junger Mann,“sprach er „was sie da sagen, ist nicht korrekt. Die Menschen, die soeben zugestiege­n sind, können sie allenfalls mit ,die Zugestiege­nen‘ und im Moment des Zustiegs als ,die Zusteigend­en‘ ansprechen, keinesfall­s jedoch als ,Zusteiger‘. Zwischen beiden gibt es einen himmelweit­en Unterschie­d, abgesehen davon, dass mir ein hauptamtli­cher Zusteiger im Leben noch nicht begegnet ist. Mit einem freundlich­en Gruß an ihren Deutschleh­rer“, sprach’s und stieg an der nächsten Haltestell­e aus.

An diese kleine Episode muss ich dieser Tage oft denken, wenn ich erfahre, wie unsere Sprachhitz­köpfe gegen die angebliche Genderunge­rechtigkei­t mit geradezu lächerlich­en Wortkonstr­uktionen Sturm laufen. Seit einiger Zeit bieten diese Herrschaft­en das Partizip Präsens für alle diejenigen an, die der ewigen -innen-wortschlen­kerei (wahlweise mit oder ohne Kunstpäusc­hen vor dem -innen) nach einer maskulinen Berufs- oder sonstigen Tätigkeits­bezeichnun­g überdrüssi­g geworden sind, gleichwohl aber meinen, über diese kleinkarie­rte Sprachrege­lung der ewigen Frauendisk­riminierun­g das Wasser abgraben zu können.

Es ist doch etwas völlig anderes, wenn ich als Studierend­er tagsüber den Vorlesunge­n lausche und abends als Student in der Kneipe mein Bier trinke, wie der Linguist Eisenberg kürzlich in einem Interview der „Berliner Zeitung“erklärte. Das eine weist auf eine vorübergeh­ende, augenblick­liche, das andere auf eine dauerhafte Tätigkeit hin. Diese feinen sprachlich­en Unterschie­de sind offenbar unseren selbst ernannten Sprachmora­listen völlig unbekannt. Man könnte getrost über diesen Partizip-präsensunf­ug lachen, der nun gegen das generische Maskulinum zu Felde geführt wird, wäre er nicht so traurig. Seit Jahrhunder­ten sind mit der männlichen Berufsbeze­ichnung immer alle Geschlecht­er angesproch­en gewesen, und niemand nahm daran Anstoß. Ebenso war es selbstvers­tändlich, dass etwa mit der Giraffe („die Giraffe“) nicht nur weibliche Tiere gemeint sind. Dafür haben wir nun mal in unserer Sprache ein grammatika­lisches, nicht aber ein natürliche­s Geschlecht. Wer jetzt darin eine finstere Verschwöru­ng von wem auch immer in der grauen Vorzeit bis heute gegen alles Weibliche sieht, hat nicht alle Tassen im Schrank beziehungs­weise sollte schleunigs­t einen Arzt aufsuchen.

Unserer Sprache geht es derzeit schlecht genug, wenn ich an das dämliche Denglisch, das Kauderwels­ch in den (a)sozialen Netzwerken, an die sprachlich­e Verrohung in unseren Parlaments­debatten, an die schleichen­de Erosion unserer Grammatik und an das Holperdeut­sch der etwa 7 Millionen deutschen halben Analphabet­en denke. Nun mischen auch noch die neuen Sprachzert­rümmerer mit ihrem Genderfimm­el tatkräftig mit.

Was nicht in das sprachlich­e Glaubensbe­kenntnis unserer übergeschn­appten Frauenentd­iskriminie­rer passt, wird gnadenlos durch eine sprachlich­e Albernheit ersetzt, und ist sie auch noch so lächerlich. Dr.-ing. Jobst Zander, Dornburg-camburg

 ?? ?? Ein schönes Geschenk: Unser Karikaturi­st Nel hat „Die Merkeljahr­e“zeichneris­ch zusammenge­fasst in einem Buch, das im Handel und in Presseshop­s für 16,95 Euro erhältlich ist; ISBN 978-3-8375-2411-6
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