Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Reicht der Corona-impfstoff?

Bis Weihnachte­n will die neue Regierung 30 Millionen Impfungen mehr. Fachleute zweifeln, ob das geht

- Von Flora Luise Hallmann, Theresa Martus und Christian Unger Berlin.

Die Absage kommt per Email, am Tag vor dem Impftermin. Betreff: „Impftermin storniert“. Die mobile Impfstatio­n in Hamburg müsse die geplante Impfung gegen Corona „leider absagen“. Aufgrund der neuen Impfverord­nung komme es „derzeit zu Lieferengp­ässen bei Impfstoffe­n“, schreibt das Unternehme­n Ende der Woche. Neue Termine seien in der kommenden Woche möglich. Die Firma rate jedoch, nicht gleich am Montag zu kommen, da es „sehr voll“sein werde.

So geht es vielen Menschen derzeit: Lange Schlangen vor den Impfstatio­nen, Warteliste­n bei Hausärzten. Oftmals sind in den kommenden Wochen keine Impftermin­e zu haben. Alles ausgebucht. Alles leergeimpf­t.

Der angehende Kanzler Olaf Scholz (SPD) will nun eine Impfpflich­t für alle. Zudem: Die Impfzertif­ikate sollen schneller ablaufen. Und Scholz peilt an: 30 Millionen Impfungen bis Weihnachte­n. Ein Ziel, an dem schon jetzt Fachleute zweifeln und Skepsis äußern. Wie es um die Impfkampag­ne steht – die wichtigste­n Antworten.

Wie schnell impfen wir im Moment? Seit Mitte November werden wieder täglich mehrere Hunderttau­send Dosen verimpft, zuletzt über 800.000 am 30. November. Ein Großteil davon, fast 660.000, waren Auffrischu­ngsimpfung­en, 67.000 waren Zweit- und rund 80.000 Erstimpfun­gen.

Wie schnell müssten wir impfen?

Um bis zum 24. Dezember 30 Millionen Impfdosen zu verteilen, müssten, den heutigen Donnerstag eingerechn­et, im Schnitt jeden Tag 1,3 Millionen Dosen verimpft werden. Diese Zahl wurde das letzte Mal am 23. Juni erreicht. Um das Ziel bis Weihnachte­n zu schaffen, müssten also die Rekordzahl­en aus dem Sommer erreicht werden – und das jeden Tag. Bislang wurde aber besonders an Wochenende­n und

Feiertagen deutlich weniger geimpft, oft nur wenige Tausend Dosen. Die Impfungen an Wochentage­n müssten das also ausgleiche­n und die bisherigen Tagesrekor­de deutlich brechen, oder die Kapazitäte­n müssten an Wochenende­n aufrechter­halten werden.

Der Hausärztev­erband hält 800.000 bis 1,2 Millionen Impfungen am Tag für realistisc­h – wenn genug Impfstoff in den Praxen ankommt. Die 30-Millionen-marke würde man damit nicht knacken.

Gibt es genug Impfstoff?

Laut Bundesgesu­ndheitsmin­isterium ist genug Impfstoff verfügbar. Mehr als 13 Millionen Impfdosen stünden in dieser Woche bereits zur Verfügung. Ausgeliefe­rt werden können demnach bis Jahresende noch 25 Millionen weitere Impfdosen fürs Boostern, heißt es auf Nachfrage unserer Redaktion. Der Bund bemühe sich darum, „zusätzlich­e

Mengen für Dezember verfügbar zu machen“. Hinzu kämen „noch 2,4 Millionen Dosen für Kinderimpf­ungen, die noch an den Bund ausgeliefe­rt werden“.

Warum kommt der Impfstoff nicht an?

Laut Kassenärzt­licher Bundesvere­inigung sind das Problem die Lieferunge­n: Die seien gerade für Hausarztpr­axen momentan „überhaupt nicht“verlässlic­h, sagt der stellvertr­etende Vorsitzend­e Stephan Hofmeister. Der Impfstoff komme nicht dort an, wo er verimpft werden solle, Bestellung­en würden nicht vollständi­g bedient.

Markus Beier, stellvertr­etender Vorsitzend­er des Hausärztev­erbands, sieht das Problem in der Verteilung des Impfstoffs „mit der Gießkanne“. „Jeder, der eine Arztnummer hat, kann gleich viel Impfstoff bestellen“, sagt er unserer Redaktion, „die Hausärztin auf dem

Land, die Tausend Menschen versorgt, genauso wie der Radiologe in der Stadt.“Wo viele Ärztinnen und Ärzte angestellt seien, gebe es viel Impfstoff, wo die Anzahl geringer sei, wenig. „Der ländliche Raum wird so strukturel­l benachteil­igt.“

Geht es schneller, wenn jetzt Zahnärzte und Apotheker mit einsteigen? Um die Kampagne zu beschleuni­gen, sollen bald auch Zahnmedizi­ner und Apothekeri­nnen impfen können. Die entspreche­nden gesetzlich­en Voraussetz­ungen will der Bund schnell schaffen. Grundsätzl­ich stehen die Zahnärzte nach Aussage der Bundeszahn­ärztekamme­r bereit, einzusteig­en. Allerdings nicht unbedingt in den eigenen Praxen: „Die organisato­rischen und räumlichen Voraussetz­ungen wären kaum zu stemmen“, sagt Joachim Hüttmann, Sprecher des Freien Verbandes Deutscher Zahnärzte.

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FOTO: MORRIS MAC MATZEN / AFP Schlange stehen für den Booster, hier in Hamburg. Wer geimpft werden will, braucht derzeit in vielen Teilen Deutschlan­ds eine Menge Geduld.

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