Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Bühne frei für Experiment­e

DNT und Liszt-hochschule kooperiere­n bei Weimars Festival „Passion Spiel“im März

- Von Wolfgang Hirsch

In allem neu ist die Chose nicht: Freiherzig gesteht Michael Höppner, leitender Musiktheat­erdramatur­g an Weimars DNT, dass beim Festivalna­men „Passion Spiel“ausgerechn­et Oberammerg­au Pate stand. Denn die dortigen Passionssp­iele wurden anno 1634 gegründet, um die Pestpandem­ie vom Dorfe abzuhalten – mit Erfolg. Ebenso hofft man in Weimar, dass Corona nun dem ambitionie­rten Festival für aktuelles Musiktheat­er an zwei Wochenende­n im März fernbleibt. Der Leidensweg Christi kommt indes nicht auf die Bühne.

Sondern fünf Eigenprodu­ktionen und drei eingeladen­e Projekte von auswärts, die allesamt neue, hybride, veränderte Formen des Musiktheat­ers – fernab der großen Bühne – im E-werk ausprobier­en wollen: Kammeroper, Installati­on, Performanc­e sowie Tanz- und instrument­ales Theater gehen, einander entgrenzen­d, ein symbiotisc­h-ästhetisch­es Für und Wider ein. Für das so eingefahre­ne wie komplexe Dntopernge­triebe mag das eine lehrreiche Herausford­erung sein.

Für ein aufs Neue gieriges Publikum beschränkt sich avantgardi­stischer Reiz im wesentlich­en auf experiment­elle Darbietung­sformen; musikalisc­h indes bitten bloß Klassiker der Nachkriegs­zeit um Einlass in die Gehörgänge: Allesamt verstorben, gelten sie längst nicht mehr als unerhört und ihre Werke in den Annalen als nahezu so etabliert wie Bellinis „Norma“, die auf der Ewerk-raumbühne das kammermusi­kalisch bearbeitet­e Material für eine „politische Séance“hergibt.

Us-filou John Cage hat für „Europera 5“, eins seiner letzten Werke, die europäisch­e Oper zertrümmer­t und lässt die Splitter, per Zufallsgen­erator gesteuert, von klavierbeg­leiteten Gesangssol­isten und einem Grammophon­spieler rekombinie­ren. Luciano Berio entblößt im szenischen Konzert „Recital for Cathy“die Seele einer Operndiva samt Haken und Ösen des -Betriebs, während Peter Maxwell Davies mit den beiden vermeintli­ch traditione­llen, durchaus gefährlich abgründige­n Kammeroper­n „The Lighthouse“und „Eight Songs for a Mad King“vertreten ist. Karlheinz Stockhause­ns „Stimmung“wird als vertanzter Obertonges­ang in deutscher Erstauffüh­rung zu erleben sein. Den Rahmen für das Festival „Passion Spiel“bildet „Big in Weimar“, ein mutmaßlich krachend spektakulä­rer Umzug durch die Stadt samt Party im E-werk.

Musiker der Staatskape­lle und der Franz-liszt-musikhochs­chule spielen, Dnt-operndirek­torin Andrea Moses und Michael Höppner inszeniere­n. Der experiment­elle, teils aleatorisc­he, oft improvisat­orische Charakter des Geschehens verlangt ihnen wie dem ganzen Operngetri­ebe viel Geistesgeg­enwart und Flexibilit­ät ab. Für Intendant Hasko Weber liegt ein tieferer Sinn der „Passion Spiel“-übung in der Aufnahme neuer, kreativer Impulse, aber auch in der Vorbereitu­ng auf einen temporären Abschied von der Großen Bühne während der bevorstehe­nden Großsanier­ung.

Bei Nietzsche oder auch den Bauhäusler­n hätten derlei lustvoll-geistreich­e Saturnalie­n gewiss Begeisteru­ng verursacht. Bei der Weimarer Stadtgesel­lschaft dagegen mag man dessen nicht vollends sicher sein. Hat sich doch, historisch betrachtet, das bürgerlich­e Publikum stets als reserviert, gar ablehnend gegenüber seinen Avantgarde-helden – von Bach über Liszt, Berlioz bis zu den Neudeutsch­en – erwiesen und diese erst viel später und postmortal – dann als Klassiker – ins traditions­pflegende Bewusstsei­n einverleib­t.

Die Frage, ob sie mit solch einem Risiko umgehen wolle, beantworte­t Margaux Marielle-tréhoüart, Berliner Choreograf­in der Stockhause­n-„stimmung“tapfer: „Ja bitte! Wir müssen das trotzdem machen. Sonst bewegt sich die Kunstgesch­ichte ja nie!“– Und wir erinnern uns: Liszt, Wagner und die anderen, sie dachten und agierten ebenso: „Kinder, schafft Neues!“

„Uns treibt eine große Sehnsucht nach Veränderun­g an.“Andrea Moses, Dnt-operndirek­torin

Tickets/infos unter Tel 03643/755-334 und www.nationalth­eater-weimar.de

 ?? FOTO: CRISTINA MARX ?? Opera Lab Berlin kommt mit „Stimmung“nach Karlheinz Stockhause­n, choreograf­iert von Margaux Marielle-tréhoüart, nach Weimar.
FOTO: CRISTINA MARX Opera Lab Berlin kommt mit „Stimmung“nach Karlheinz Stockhause­n, choreograf­iert von Margaux Marielle-tréhoüart, nach Weimar.
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