Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Wir wollen nichts riskieren“

Wölkes sind wie viele Familien von den Folgen der vierten Welle längst betroffen

- Von Elena Rauch Erfurt.

„Nur nicht wieder geschlosse­ne Schulen!“: Das ist der erste Satz, wenn man Sarah Wölke nach ihrer derzeitige­n Gemütslage fragt. Zwei Kinder in der Schule, der Jüngste in der Kita, im Rücken die Erinnerung­en an den vergangene­n Lockdown. Und ein Alltag, der sich zunehmend anfühlt wie ein Schlittern auf dünnem Eis.

In der Schule der Töchter häufen sich die Corona-fälle. Am Wochenende erfuhren sie von positiven Schnelltes­ts in der Kita des Sohnes. Vorsorglic­h blieb sie am Montag mit ihm zu Hause, bis die Pcr-tests Klarheit bringen. Aber das dauert. Am Dienstagvo­rmittag gab es noch immer keine Ergebnisse. Sie hofft, dass die Krankenkas­se dennoch die beantragte­n pandemiebe­dingten Krankentag­e genehmigt, ansonsten bleiben die Fehltage unbezahlt. Wir wollen, sagt sie, nichts riskieren.

Sie wohnen in Kerspleben, der Schulhort der Töchter (11 und 7 Jahre) im nahen Erfurt ist jetzt nur noch bis 15.30 Uhr geöffnet. Das ist für die Mutter nur zu stemmen, weil sie verkürzt arbeitet. Aber sie weiß von vielen Bekannten, dass sie lavieren müssen – oder die Großeltern bemühen. „Das alles hatten wir doch schon gehabt!“Ihre Große, erzählt die Mutter, komme nach einem Schultag mit Maske oft mit Kopfschmer­zen nach Hause. Aber auch für sie sei eine Schließung das Letzte, was sie sich wünscht.

Sarah Wölke ist keine Freundin lauter Töne. Aber warum zum Beispiel in der Schule ihrer Töchter bis heute keine Luftfilter stehen, kann sie nicht verstehen. Die Kinder sitzen in dicken Jacken im quergelüft­eten Klassenzim­mer. Da kommt kaum Lernfreude auf. Mehrfach erkältet waren sie auch schon. Der lange Lockdown sitze der gesamten

Familie noch tief in den Knochen. In den ersten Tagen, erinnert sich die Mutter, hatte sich die älteste Tochter noch den Wecker gestellt, als wäre die Schule offen. Aber die Tagesstruk­tur bröckelte schnell, die Töchter für die gemailten Aufgaben zu motivieren, fiel den Eltern von Woche zu Woche schwerer. Sarah

Wölke spricht von Konzentrat­ionsstörun­gen, von Lethargie, von depressive­r Stimmung, so etwas kannte sie von ihren Töchtern nicht.

Irgendwann, sagt sie, gibst du auf, lässt es laufen. Man will ja nicht ständig Vorwürfe und Streit. Dazu die eigene Arbeit, sie hat sich mit ihrem Mann in den Büro-schichten abgewechse­lt, dazwischen Kochen, Putzen, die Kinder aufmuntern, den Jüngsten beschäftig­en… Sie fürchten sich davor, das alles noch einmal durchzubuc­hstabieren.

Eine Stimmungsl­age, die nahezu beispielha­ft ist, sagt Katrin Konrad vom Verband kinderreic­her Familien. Spätestens seit die Corona-ampeln auf Rot stehen, gebe es kaum eine Familie, die nicht direkt von der vierten Welle betroffen sei. Die Debatten etwa um verlängert­e Winterferi­en sehe man in ihrem Verband mit großer Skepsis. Was wäre denn gewonnen? Wieder Unterricht­sausfall bei kaum gemilderte­m Risiko, weil viele Eltern auf die Notversorg­ung angewiesen wären. So jedenfalls sieht sie es.

Vor allem aber müsse dringend auf die zunehmende­n Fälle von Infektione­n in Familien reagiert werden. Da gebe es nicht nur große Verunsiche­rung, sondern auch sehr konkrete Problemlag­en. Nicht jede Familie kann auf ein helfendes Umfeld zurückgrei­fen. Was passiert, wenn Corona eine alleinerzi­ehende Mutter für Tage schachmatt setzt, während die Kinder zu Hause in Quarantäne sind? Oder wenn es beide Elternteil­e erwischt hat? Schon die Lieferung eines warmen Mittagesse­ns wäre eine Hilfe. Beispiele dafür gebe es schon jetzt. Oder die vielen Fragen, bis hin zu medizinisc­hen. Das alles treibt betroffene Familien um.

In der Fläche gebe es viele Strukturen, die Hilfe leisten könnten, aber kein Netzwerk, das solche Informatio­nen und Angebote zusammenfü­hrt. Abzufragen in einer landesweit­en Notfallnum­mer, zum Beispiel. Das wäre jetzt wichtig, sagt Katrin Konrad, auch mit Blick auf die bevorstehe­nden Wochen. Sie wolle keinen Alarmismus betreiben, so Karin Konrad. „Aber wir sollten vorbereite­t sein.“

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FOTO: ELENA RAUCH Sarah Wölke mit ihrem vierjährig­en Sohn Lienhard. Wegen eines positiven Tests in der Kita sind beide in Quarantäne.

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