Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Nennen Sie mich nicht Schwester“

Krankenpfl­egerinnen wie Franziska Böhler oder Kim Schiele haben Tausende Fans bei Instagram. Mit ihrer Reichweite wollen sie ihrem Beruf eine Stimme geben

- Von Oliver Stöwing Berlin.

Dienstbare Geister in Birkenstoc­ks, duldsam, belastbar, unauffälli­g: Das war lange das Bild von Krankenpfl­egerinnen. Dann kam die Corona-pandemie, und die Pflegerinn­en und Pfleger rückten ins öffentlich­e Bewusstsei­n. Selbstbewu­sst treten sie seitdem im Fernsehen auf, bloggen, schreiben Bestseller, haben Hunderttau­sende Fans bei Instagram. Ihnen geht es nicht um eine Promi-karriere: Sie lieben ihren Beruf. Genau deswegen wollen sie auf Missstände aufmerksam machen – und auf die Erfüllung, die sie in ihrem Beruf finden.

Die Herzwärmer­in

So wie Vanessa S. Die 30-Jährige arbeitet seit 2013 im Helios-klinikum Berlin und ist derzeit als Praxisanle­iterin auf der Unfallchir­urgie im Einsatz. Für die Sat.1-serie „Die Herzblut-aufgabe – Promis in der Pflege“machte sie Schauspiel­er Wayne Carpendale Beine: Der Pflege-novize war vier Wochen lang ihr Praktikant. „Krankensch­wester ist mein absoluter Traumberuf“, sagt sie unserer Redaktion. Den Plausch mit der Patientin, sich auch mal Sorgen anzuhören, die über das Medizinisc­he hinausgehe­n – Vanessa nimmt sich die Zeit, auch wenn die in ihren zehn Jahren im Beruf immer knapper wurde. Wie wichtig eine Portion Extra-zuwendung sein kann, erfuhr Vanessa selbst. Ihr kleiner Sohn starb an plötzliche­m Kindstod. Ihre Tochter ist an Mukoviszid­ose erkrankt, einer seltenen Stoffwechs­elkrankhei­t: „Meine Motivation, Menschen in Ausnahmesi­tuationen zu helfen, ist seitdem größer denn je.“

Nur eines braucht sie dazu nicht: Beifall. Menschen, die auf den Balkonen stehen und klatschen wie beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 – Vanessa fand das „beschämend“. „Wir sind doch keine Theatersta­rs. Ich glaube, die Leute haben sich da eher selbst beklatscht. Das hatte nichts mit uns und unserem Beruf zu tun.“Trotz allem: Vanessa will für ihren Beruf werben. „Ihr könnt so viel bewirken, wenn ihr mit Herzblut dabei seid“, sagt sie. Was sie nicht mag: „Wenn man mich ,Schwester‘ ruft.“„Das lasse ich nur den älteren Patienten durchgehen“, sagt sie und lacht.

Die Wütende

„Schwester“würde als Anrede für Franziska Böhler (34) auch unpassend erscheinen. Die Krankenpfl­egerin für Anästhesie und Intensivme­dizin gehört zu den deutlichst­en Stimmen, wenn es darum geht, auf Schieflage­n in ihrem Beruf aufmerksam zu machen. Sie schrieb den Nummer-eins-bestseller „I’m a Nurse“. Bei Instagram folgen ihr 239.000 Menschen. Wie Vanessa hält sie Personalma­ngel für das größte Problem.

Das Netz nutzt sie immer wieder für teils deftige Kritik. „Sobald der erste Urlaubsbom­ber nach Malle startet, ist das geheuchelt­e Interesse so schnell weg wie der Sangria am Ballermann“, schreibt sie da beispielsw­eise. In ihrem aktuellen Posting wendet sie sich an Kolleginne­n, die das Handtuch werfen: „Es war von Anfang an klar, dass eine Pandemie nicht gestemmt werden kann, wenn Jahre zuvor das Tagesgesch­äft schon bröckelte. Es ist nicht eure Schuld.“

Die Lebensfroh­e

Eher klassisch nutzt die Mannheimer Notaufnahm­epflegerin Kim Schiele (22), bekannt aus der Reality-soap „Beauty & The Nerd“, Instagram: Selfies von einer Yacht etwa, Bikini-posen auf Ibiza, Produktwer­bung. Dann beantworte­t sie im blauen Kittel Fan-fragen – in Gebärdensp­rache. Etwa, ob es bei ihr wirklich zugeht wie bei „Grey’s Anatomy“(manchmal) oder ob sie schon einmal etwas mit einem Arzt hatte (mit noch keinem aus ihrer Klinik). Sie entschloss sich für den Beruf, als sie selbst einmal im Krankenhau­s auf Hilfe angewiesen war. 184.000 Fans folgen ihr. „Ja, ich könnte von Instagram und meinem Model-job leben. Es ist leicht, da Anerkennun­g zu bekommen, Likes, Kompliment­e. Aber das Lächeln eines Patienten, dem ich helfen konnte – das ist mir viel mehr wert.“

 ?? FOTO: THOMAS OBERLÄNDER/HELIOS KLINIKEN ?? Eigene Schicksals­schläge haben die examiniert­e Krankenpfl­egerin Vanessa für den Beruf sensibilis­iert.
FOTO: THOMAS OBERLÄNDER/HELIOS KLINIKEN Eigene Schicksals­schläge haben die examiniert­e Krankenpfl­egerin Vanessa für den Beruf sensibilis­iert.
 ?? FOTOS: EICHELSBAC­HER/ PENGUINRAN­DOM; ?? Franziska Böhler (l.), Kim Schiele (r.)
FOTOS: EICHELSBAC­HER/ PENGUINRAN­DOM; Franziska Böhler (l.), Kim Schiele (r.)
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany