Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Die Erschöpfun­g ist bis heute zu spüren“

Gesundheit­sexperten erklären, wie sie Pandemieen­tscheidung­en heute bewerten. Auftakt mit Annette Rommel

- Hanno Müller leserbrief­e@tlz.de

Lockdown, Maskenpfli­cht, Schließung­en von Altenheime­n, Schulen oder Spielplätz­en, die Diskussion­en um eine Impfpflich­t – im Verlauf der Corona-pandemie wurden immer wieder schwierige Entscheidu­ngen getroffen oder verworfen. Vertreter des Gesundheit­swesen waren unmittelba­r mit den Krankheits­folgen konfrontie­rt und haben versucht, Schlimmere­s zu verhindern. Waren sie immer gut beraten? Wo lagen sie richtig, wo falsch? Wir haben Thüringer Experten zu ihrem Pandemiefa­zit befragt.

Den Auftakt in der kleinen Serie macht die Ärztin Annette Rommel:

„Am Freitag jährte sich die Gründung des Pandemiest­abes der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g (KVT) zum dritten Mal. Eine Vorstellun­g darüber, wie lange der Stab arbeiten und vor welchen Herausford­erungen wir stehen würden, hatten wir nicht.

Sehr schnell wurde klar, dass es keinerlei Schutzausr­üstung aus Beständen des Katastroph­enschutzes gab und normale Bezugsquel­len nicht bestanden. Es brauchte Kreativitä­t, um Schutzklei­dung zu besorgen – zunächst aus Baumärkten, später aus China, relativ unbürokrat­isch finanziert durch die Krankenkas­sen.

Zunächst eine Aufbruchst­immung analog der Nachwendez­eit

Ein Pflegeheim­vertrag mit klaren Leitlinien erleichter­te die Versorgung der hochaltrig­en, multimorbi­den Bewohner. Trotzdem gab es gerade da viele Tote zu beklagen. Der sehr schnelle, flächendec­kende Aufbau von Testzentre­n entlastete die Praxen und half dem Öffentlich­en

Gesundheit­sdienst (ÖGD). Die Zusammenar­beit mit dem ÖGD entwickelt­e sich in einem bisher nicht vorstellba­ren Maße, schloss aber auch Missverstä­ndnisse ein.

Mit dem Vorhandens­ein von Impfstoffe­n wurde der KVT vom Land die Organisati­on der Impfung übertragen. Viele halfen. Das war ein großes gesamtgese­llschaftli­ches Engagement, das uns viel über Menschen gelehrt hat. Genauso erging es uns mit denjenigen, die gegen die Impfungen polemisier­ten oder betrügeris­ch unterwegs waren. So eine Differenzi­erung der Bevölkerun­g war erschrecke­nd und hält leider bis heute an.

Rückblicke­nd sehe ich zu Beginn eine Art Aufbruchst­immung analog der Nachwendez­eit mit schnellen, weitreiche­nden Entscheidu­ngen, der Bereitscha­ft, Verantwort­ung zu übernehmen, sehr viel Arbeit und Ungewisshe­it. Ich würde alles wieder so machen, der Erfolg gab uns recht. Das ambulante System hat seine Leistungsf­ähigkeit bewiesen. Gewürdigt wurde das nicht adäquat. Die Erschöpfun­g bei allen Beteiligte­n ist bis heute zu spüren.“

Wie fällt Ihr Fazit aus? Wie haben Sie am Arbeitspla­tz oder im privaten Umfeld auf die Herausford­erungen reagiert? Schreiben Sie bitte mit Namen und Adresse an:

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HANNO MÜLLER Annette Rommel, Allgemeinm­edizinerin und Chefin der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g in Thüringen

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