Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Blonder Vamp und graues Mäuschen

Puppenspie­ler auf den Spuren Marlene Dietrichs und ihrer unbekannte­n Schwester

- Frank Quilitzsch

Erfurt. Von „Lili Marleen“bis „Sag mir, wo die Blumen sind“– schon die Lieder erzählen von der Schauspiel­erin Marlene Dietrich (1901– 1992), die kurz vor der Machtergre­ifung der Nazis nach Hollywood ging und bei Kriegsende als Ustruppenb­etreuerin nach Deutschlan­d zurückkehr­te, um ihre Schwester Elisabeth zu suchen. Als sich der Vorhang öffnet, sieht man den Weltstar in Puppengröß­e im Rampenlich­t, und man hört die Originalst­imme mit der englischen Version des Soldatenso­ngs. Liesel sei in Bergen-belsen, erfährt die Dietrich. War die Schwester im KZ? Während Lene von München nach Bergen-belsen fliegt, beginnt auch ihre Gedankenre­ise zurück in die gemeinsame Kindheit.

„Fesche Lola, brave Liesel“, so der Titel der jüngsten Inszenieru­ng des Erfurter Theaters Waidspeich­er, frei nach dem gleichnami­gen Buch von Heinrich Thies. Es ist eine Spurensuch­e, geleitet von der Frage, wie zwei, die zusammen aufgewachs­en sind, sich so weit voneinande­r entfernen können. Denn Liesel, die jetzt Elisabeth Will heißt, ist, wie sich zeigt, kein Opfer, sondern eine Mitläuferi­n gewesen, die vom Nazi-regime profitiert­e: Ihr Mann betrieb in einer Kaserne nahe dem KZ, in dem mindestens 52.000 Häftlinge ermordet wurden, ein Kino, hielt die Wachleute und Ssschergen mit Filmkomödi­en bei Laune. Lene, die sich als Sängerin gegen Hitler engagiert hat, will von Liesel wissen, was sie von den Naziverbre­chen wusste.

Was für ungleiche Geschwiste­r

Das könnte man den dramaturgi­schen Höhepunkt der ansonsten biografisc­h strukturie­rten Inszenieru­ng von Kristine Stahl nennen, die zusammen mit Susanne Koschig auch die Stückfassu­ng erstellte. Die Karriere Marlene Dietrichs in ihren verschiede­nsten Facetten nachzuerzä­hlen, ist schon eine Nummer für sich. Doch was, fragt sich der Zuschauer, hat die Schwester, die Nazibraut, charakterl­ich zu bieten? Die eingestreu­ten Rückblende­n zeigen, wie die junge Liesel im Schatten der künstleris­ch talentiert­en, in Weimar Geige lernenden Schwester steht. Nach der Heirat mit dem NSDAP-MANN mutiert sie von der Lehrerin zum biederen Hausmütter­chen. Was für ungleiche Geschwiste­r! Hier der mondäne Leinwandst­ar, dort das graue Mäuschen.

Ungleich sind leider auch die Schwergewi­chte auf der Bühne.

Und das ist gleich doppelt schade. Denn das künstleris­che Feuerwerk, das die Akteure Karoline Vogel, Heinrich Bennke, Tomas Mielentz und Martin Vogel anderthalb Stunden mit richtigen Puppen und fantasievo­llen Puppensets aus Kissen, Pappe und Papier (gefertigt von Katrin Sellin) entfachen, ist klasse, vielleicht Weltklasse. Von Stummfilm über raffiniert­e Collage bis avantgardi­stisches Schauspiel werden alle Theaterreg­ister gezogen.

Ensemble entdeckt seinen Spaß an der Parodie

Da blättert die Mutter für jeden sichtbar im Familienal­bum, reitet die Dietrich als Lola auf dem Fass durch den „Blauen Engel“, tanzt die Diva ihrem Pianisten auf der Nase herum. Das Ensemble entdeckt seinen Spaß an der Parodie. Dafür haben Kristine Stahl und Kathrin Sellin (Objekte und Requisiten) mit einer Revuetrepp­e und einer Leinwand (Video: Felix Bauer) das Ambiente geliefert. Ein besonderes Bonmot: Der „männermord­ende“blonde Vamp wird, abwechseln­d oder vereint, ausnahmslo­s von Zigarette rauchenden Herren in Damenschuh­en bedient; manchmal dienen sie ihm gar mit Körper und Stimme (musikalisc­he Einstudier­ung: Yulia Martynova).

Doch leider fehlt dem furiosen Spiel die Fallhöhe. Als klar wird, dass Liesel gar nicht im KZ war, fällt auch der Spannungsb­ogen. Lene unterstütz­t ihre Schwester, will aber deren Gesinnung unter der Decke halten, um ihre Weltkarrie­re nicht zu gefährden. Denn die ältere Schwester ist nicht nur weniger attraktiv und talentlos, sondern auch ängstlich und angepasst. Interessan­t dürfte dennoch sein, wie das Stück auf 16-Jährige wirkt, die weder mit Marlene Dietrich noch mit ihren Songs etwas anfangen können, die vielleicht auch noch nie vom KZ Bergen-belsen gehört haben. Da stellen sich die Puppenspie­ler in den Dienst der Aufklärung. Der Abend erzählt viel, zu viel. Doch wie das graue Liesel-mäuschen zur Mitläuferi­n wurde und warum es nichts dazulernt, erzählt er nicht. Gerade das – und weniger die Karriere der Dietrich, die sich am Ende in ihrer Pariser Wohnung abschottet und die Schwester verleugnet – wäre für heutige Zuschauer spannend gewesen.

Nächste Aufführung­en: 16., 23. und 24. April

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Marlene Dietrich (Puppe) sucht nach ihrer Schwester Liesel.

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