Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Französin auf Großvaters Spuren in der Hölle von Dora

Frühere Ministerin Aurélie Filippetti besucht erstmals Nordhausen. Sie nimmt an der Gedenkfeie­r zum 79. Jahrestag der Kz-befreiung teil

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Die Gedenkstät­ten der Konzentrat­ionslager verlieren ihre Zeitzeugen. Zur diesjährig­en Gedenkfeie­r in Mittelbau-dora sitzen nur noch zwei Überlebend­e der Kohnstein-hölle in der ersten Reihe: Albrecht Weinberg (97) und Jerry Wartski (94).

79 Jahre sind vergangen seit dem Ende des Zweiten Weltkriege­s. Als die Us-amerikanis­chen Truppen damals im April 1945 die Stadt Nordhausen erreichen, befreien sie auch das KZ am Kohnstein und all seine Außenlager. Es sind aber nur wenige Häftlinge, die sie hier vorfinden. Weil die Ss-wachen zuvor die Lager geräumt und die Häftlinge zu Todesmärsc­hen gezwungen haben.

Auch Tommaso Filippetti muss dieses Schicksal durchleide­n. Gemeinsam mit seinen zwei Brüdern Mario und Filippo ist der Bergarbeit­er aus Lothringen im französisc­hen Widerstand aktiv, bis er im Februar 1944 von der Gestapo verhaftet, nach Deutschlan­d deportiert und nach Mittelbau-dora verschlepp­t wird. Mario stirbt hier. Filippo überlebt den Todesmarsc­h, wird im Mai 1945 befreit und kehrt heim.

Tommaso, der älteste der drei Brüder, übersteht zwar den Todesmarsc­h nach Bergen-belsen, ist aber so sehr geschwächt, dass er kurze Zeit nach der Befreiung an Typhus stirbt. Seine Enkeltocht­er Aurélie

ist unter den Gästen der Gedenkfeie­r. Die 50-Jährige besucht Nordhausen zum ersten Mal. In ihrer Heimat ist sie als Politikeri­n und Schriftste­llerin bekannt – vor allem aus ihrer Amtszeit als Frankreich­s Kulturmini­sterin in den Jahren von 2012 bis 2014.

Am Kohnstein begegnet sie auch dem Thüringer Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow (Linke). Dieser schaut sorgenvoll auf heutige Aussagen am rechten Rand der deutschen Politik. Die Spirale von Hass und Hetze öffne sich gerade wieder, beobachtet Ramelow. Der Philosoph Nikolas Lelle stimmt ihm zu. „Wir leben in einer Zeit, die zunehmend beängstige­nder wird“, sagt er und spricht von einem Rechtsruck im Land. Mit Blick auf Mittelbaud­ora, einem Ort der „brutalsten Zwangsarbe­it“, betont er: „Unsere Erinnerung­skultur steht unter Beschuss.“Eine ganze Reihe von Vorfällen bestätige dies. Und die Rechtsextr­emen seien nur ein Teil dieses Problems.

Fordern Rechtspopu­listen wie Höcke eine erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad, dann widerspric­ht Nikolas Lelle dieser Aussage vehement. Zur Gedenkfeie­r in Nordhausen meint er: „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Erinnerung an den Nationalso­zialismus und seine Verbrechen – gerade in dieser Zeit.“

 ?? MARCO KNEISE ?? Aurélie Filippetti aus Frankreich besucht erstmals die Gedenkstät­te am Kohnstein. Ihr Großvater Tommaso war hier inhaftiert, ihr Großonkel Mario ist in der Hölle von Dora gestorben.
MARCO KNEISE Aurélie Filippetti aus Frankreich besucht erstmals die Gedenkstät­te am Kohnstein. Ihr Großvater Tommaso war hier inhaftiert, ihr Großonkel Mario ist in der Hölle von Dora gestorben.

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