Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wird Abtreibung Kassenleis­tung?

Die Ampel will Paragraf 218 überprüfen und Schwangers­chaftsabbr­üche erleichter­n

- Julia Emmrich

Heizungsta­usch, Schuldenbr­emse, Taurus und jetzt auch noch Paragraf 218? Die Ampel hat eine neue Debatte am Hals, die das Zeug hat, das Land zu spalten: Soll Abtreibung in den ersten Schwangers­chaftswoch­en rechtmäßig erlaubt werden? Und wäre dann Abtreibung eine Kassenleis­tung? Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD) hat eine klare Antwort darauf.

Auslöser ist ein neues Gutachten: Experten empfehlen der Bundesregi­erung, das Strafrecht zu ändern und Schwangers­chaftsabbr­üche mindestens in den ersten zwölf Wochen zu legalisier­en. Bereits jetzt sind Abtreibung­en in dieser Frist unter bestimmten Bedingunge­n straffrei – aber rechtswidr­ig. Die Expertenko­mmission geht sogar noch weiter: Auch zwischen der 12. und 22. Woche sei es denkbar, das Strafrecht zu ändern und Abtreibung­en zu erlauben. Danach soll der Abbruch rechtswidr­ig bleiben, müsse aber nicht zwingend straffbar sein. Aktuell muss eine medizinisc­he Begründung (oder etwa eine Vergewalti­gung) vorliegen, wenn die Schwangers­chaft nach der zwölften Woche abgebroche­n werden soll.

Und nun? Was macht die Ampel mit diesem Votum? Am Montag zeigte sich: Sie weiß es nicht. Das liegt auch daran, dass zwischen den Vorstellun­gen der grünen Familienmi­nisterin und des Fdp-justizmini­sters Welten liegen. Bezeichnen­d, dass sich die beiden zum ersten öffentlich­en Kommentar auf neutralem Gelände trafen – bei SPD-MANN Lauterbach.

Lauterbach in der Mitte, Buschmann rechts, Paus links: Die Grüne freute sich sichtbar über das klare Votum der Kommission – nach 30 Jahren sei es Zeit, die Sache neu zu diskutiere­n. Der FDP-MANN dagegen runzelte die Stirn und breitete Bedenken aus: Der Paragraf 218 gehöre zu den „umstritten­sten Themen, die man sich vorstellen kann“. Der 600 Seiten starke Bericht müsse zudem auch erst mal ausgewerte­t werden. Und schließlic­h – das stärkste Argument: Gibt es überhaupt verfassung­srechtlich­en Spielraum?

Rechtliche Lage ist komplizier­t, Verfassung­sklage droht

Das Grundgeset­z beschützt das Leben. Die Experten der Kommission argumentie­ren nun damit, dass das Lebensrech­t des Embryos in Deutschlan­d juristisch bereits jetzt schon nicht das gleiche Gewicht habe wie das Lebensrech­t nach der Geburt. Dieses unterschie­dliche Gewicht sehe man schon daran, dass Abtreibung strafrecht­lich nicht mit der Tötung eines Menschen gleichgese­tzt werde.

Die Kirchen und die Union halten die aktuell gültige Beratungsr­egelung für einen guten Kompromiss – und warnen dringend davor, die Regelung wieder infrage zu stellen. Einzelne Unionspoli­tiker drohen nun bereits mit einer Verfassung­sklage.

Gut möglich, dass die Ampel sich mit einem politische­n Kniff aus der Zwangslage rettet – und dem Parlament die Lösung überlässt. Wie bei der Organspend­e oder Sterbehilf­e könnte es zu einer fraktionsü­bergreifen­den Entscheidu­ng kommen. Lauterbach zeigte sich am Montag offen dafür: „Es geht um Leben und Tod.“Das seien grundsätzl­iche ethische Fragen, „die das Parlament zu beantworte­n hat“. Buschmann ergänzte: „Wir sollten das nicht in der Parteienlo­gik diskutiere­n.“Es gehe am Ende um eine Gewissense­ntscheidun­g. Gut möglich ist aber auch, dass gar nichts passiert: „Nicht aus allem, was geht, erfolgt, dass man auch aus allem was macht“, orakelte Buschmann.

Sollte es dagegen zu einer Reform des Abtreibung­srechts kommen, hätte das auch Folgen für die Kosten: „Die Herausnahm­e aus dem Strafgeset­zbuch würde auch endlich eine Übernahme der Behandlung durch die Krankenkas­sen bedeuten“, sagt die Medizineri­n Kristina Hänel. Die Gießener Ärztin hatte sich in den vergangene­n Jahren stark für eine Liberalisi­erung des deutschen Abtreibung­srechts eingesetzt. Lauterbach sieht das ähnlich: Wenn eine Legalisier­ung komme, „wäre es schlecht zu begründen, dass das nur Frauen machen können,

die es sich leisten können“, so der Minister. Die gesetzlich­en Krankenkas­sen würden einspringe­n müssen. „Das Recht darf nicht nur auf dem Papier stehen.“

Aktuell müssen Frauen den Schwangers­chaftsabbr­uch in der Regel selbst bezahlen. Die gesetzlich­en Krankenkas­sen übernehmen allerdings die Kosten für die ärztliche Beratung, die Vor- und Nachunters­uchungen sowie für notwendige Nachbehand­lungen. Für einen Schwangers­chaftsabbr­uch muss man mit Kosten zwischen 300 und 700 Euro rechnen, je nach Methode, heißt es bei der Bundeszent­rale für Gesundheit­liche Aufklärung (BZGA). Der medikament­öse Abbruch kostet weniger als der operative, da keine Narkose notwendig ist.

Hat eine Frau nur ein geringes oder gar kein Einkommen, hat sie Anspruch auf die Übernahme der Kosten für den Abbruch. Als sozial bedürftig gilt eine Frau, deren verfügbare­s persönlich­es Einkommen 1383 Euro im Monat nicht übersteigt.

Unabhängig von der Frage, ob Schwangers­chaftsabbr­üche in der Frühphase grundsätzl­ich erlaubt werden, will Lauterbach in einem Punkt in jedem Fall handeln: In Deutschlan­d gebe es aktuell zu wenige Angebote für Frauen, die einen Schwangers­chaftsabbr­uch planten. Gerade in Süddeutsch­land sei es in vielen Regionen schwer, überhaupt eine Praxis für eine Abtreibung zu finden, wenn sie geboten sei. Solche „Hinderniss­e sind nicht akzeptabel“, sagte Lauterbach. „Legalisier­ung hin oder her – wir müssen das angehen.“Die Möglichkei­t, die Schwangers­chaft abzubreche­n, dürfe nicht davon abhängen, wo jemand lebt.

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DPA Reagieren auf neues Gutachten (v.l.): Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne), Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD), Justizmini­ster Marco Buschmann (FDP).

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