Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Lindner jagt Schwarzarb­eiter

Am Montag kontrollie­rten Zollbeamte eine Baustelle in Berlin. Der Finanzmini­ster ist mittendrin

- Julian Würzer

Montagmorg­en, 8 Uhr, Bundesfina­nzminister­ium. Auf den riesigen Bildschirm­en im Europasaal, der einer Kommandoze­ntrale gleicht, prangt ein Wort: „Sondereins­atz“. Rund 30 Zollbeamte und österreich­ische Finanzpoli­zisten sitzen auf den Plätzen. Sie tragen teils dunkelblau­e Uniformen, darüber ballistisc­he Schutzwest­en und lauschen der Einsatzbes­prechung. In etwa einer Stunde wollen sie mit einer Kolonne am Potsdamer Platz vorfahren. Es geht um Schwarzarb­eit, illegale Beschäftig­ungen und die Einhaltung des Mindestloh­ns. Auch der Bundesfina­nzminister hat sich angekündig­t.

Über mehrere Wochen hinweg haben die Ermittler des Hauptzolla­mts Berlin den Einsatz vorbereite­t. Verdeckt kundschaft­eten sie den Ort aus, machten Notizen von der Baustelle am früheren Sony Center, das seit April 2023 „Das Center am Potsdamer Platz“heißt. Sie trugen zusammen, wohin Bauarbeite­r fliehen könnten, wo die Ein- und Ausfahrten liegen, in welchen Bereichen gearbeitet wird – auf sieben Stockwerke­n, vier überirdisc­h und drei unterirdis­ch.

Im Europasaal richten sich alle Blicke in diesen Minuten auf Einsatzlei­ter Ronnie Tillmann. Unten, sagt er, gibt es kaum Beleuchtun­g. Die Beamten seien auf Taschenlam­pen angewiesen. „Es kann auch zu Problemen mit der Kommunikat­ion kommen“. Die Männer und Frauen nicken, nächste Folie. Sie zeigt, wie der Einsatz erfolgen soll. Tillmann wünscht sich eine Kolonne auf dem rund einen Kilometer langen Weg vom Bundesfina­nzminister­ium zum ehemaligen Sony Center. Die Positionen der Fahrzeuge sind genau festgelegt – mit „Blaulicht“. „Ich hoffe, wir haben einen schönen Tag und eine schöne Prüfung“, sagt Tillmann.

Der Zoll deckt 2023 Schaden von rund 615 Millionen Euro auf

Kontrollen wie diese finden deutschlan­dweit täglich statt. Im vergangene­n Jahr haben Ermittler des Zolls 42.500 solcher Prüfungen durchgefüh­rt, manche – so wie die Kontrolle auf der Baustelle am ehemaligen Sony Center – werden „verdachtsu­nabhängig“veranlasst. Aber es gibt auch Kontrollen, die erst infolge eines sich erhärtende­n Verdachts stattfinde­n. Ausgehend von diesen Prüfungen leiteten die

Behörden 2023 rund 100.000 Ermittlung­en ein. Insgesamt wurde dabei ein finanziell­er Schaden von 615 Millionen Euro aufgedeckt.

Abfahrt vom Bundesfina­nzminister­ium, 9.01 Uhr. Auf dem Rücksitz eines VW Passats sitzt Michael Unglaube, Pressespre­cher des Hauptzolla­mts Berlin. Er sagt, der heutige Einsatz sei der erste dieser Art in der Hauptstadt in Zusammenar­beit mit den österreich­ischen Finanzpoli­zisten. Hintergrun­d ist, dass die Mitgliedst­aaten innerhalb der Europäisch­en Union im Kampf gegen Schwarzarb­eit besser zusammenar­beiten wollen.

Dafür wurde im Jahr 2019 die Europäisch­e Arbeitsbeh­örde (ELA)

gegründet, sie koordinier­t die Zusammenar­beit. Die Behörde operiert zwar seit 2021, konnte aber erst seit diesem Jahr ihre Aufgaben in vollem Umfang aufnehmen. Was sind die Vorteile? „Wir können Zeit sparen“, sagt Unglaube. Heute ist etwa ein österreich­isches Bauunterne­hmen beteiligt. Daten zu den Mitarbeite­rn über Sozialvers­icherungen können sie noch am selben Tag über die österreich­ischen Kollegen abrufen – zuvor war das aufwendige­r.

Um 9.10 Uhr strömen die Zollbeamte­n mit weißen Helmen, gelben Warnwesten und teils mit Klemmbrett­ern in der Hand auf die Baustelle. Von Hektik ist nichts zu spüren.

Die Bauarbeite­r blicken auf, zeigen sich aber entspannt. Einer sagt noch: „Ich hoffe, Sie haben Spaß.“Seine Stimme verrät, er meint es ehrlich. Rund 150 Arbeiter befragen die Ermittler des Zolls an diesem Morgen. Dafür haben sie einen Fragebogen vorbereite­t – es geht um den Beginn der Beschäftig­ung, das Gehalt, den Arbeitgebe­r. Die Zollbeamte­n suchen nach Unstimmigk­eiten. Ein Hinweis darauf kann sein, wenn ein Bauarbeite­r sagt, er sei den ersten Tag auf der Baustelle. Die Ermittler glauben nicht an Zufälle.

9.58 Uhr. Mit weißem Bauhelm und dunkelblau­er Zolljacke betritt Bundesfina­nzminister Christian

Lindner (FDP) die Baustelle. Er schüttelt Hände, spricht mit Einsatzlei­ter Ronnie Tillmann über die Vorbereitu­ngen und steigt die Treppen hinab ins Untergesch­oss. Die Beleuchtun­g in diesem Raum ist besser als bei der Besprechun­g angenommen, auch der Empfang funktionie­rt. Inmitten einer Warnwesten-menschentr­aube blickt Lindner einer Zollbeamti­n bei einer Befragung über die Schulter.

Bundesmini­ster sieht den Zoll als Partner der Wirtschaft

Als sie fertig ist, bedankt sich Lindner auch bei dem Befragten für sein Verständni­s. „Wir wollen es den ehrlichen Kaufleuten nicht schwer machen, sondern sie vor den unehrliche­n schützen“, sagt er. Die Worte wird er wenig später vor einer Fernsehkam­era wiederhole­n. Dann sagt er auch im Hinblick auf die aufgedeckt­e Schadenssu­mme: „Es wird unveränder­t in Deutschlan­d nach wie vor zu viel und zu oft schwarzgea­rbeitet.“Er sehe den Zoll als Partner der Wirtschaft. „Wir schützen mit dem Zoll die ehrlichen Kaufleute vor denen, die betrügeris­ch Wettbewerb­svorteile erschleich­en wollen.“

Gegen 10.50 Uhr verlässt Lindner den Potsdamer Platz. Doch was hat der Einsatz nun gebracht? Einsatzlei­ter Ronnie Tillman sagt, er könne noch kein Zwischener­gebnis nennen. Aber es seien Personen angetroffe­n worden, die gefälschte Dokumente hatten und sich womöglich nicht in Deutschlan­d hätten aufhalten dürfen. Auch bei einem polnischen Arbeitnehm­er habe es Unstimmigk­eiten gegeben. „Es hat sich gelohnt, weil so eine Prüfung an präsentere­n Orten eine Außenwirku­ng hat.“

 ?? JÖRG KRAUTHÖFER / FUNKE FOTO SERVICES ?? Besorgt: Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) bei der Baustellen­razzia im früheren Sony Center am Potsdamer Platz.
JÖRG KRAUTHÖFER / FUNKE FOTO SERVICES Besorgt: Bundesfina­nzminister Christian Lindner (FDP) bei der Baustellen­razzia im früheren Sony Center am Potsdamer Platz.

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