Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Das kann der neue Bio-sprit

Der Kraftstoff HV 100 kommt an die Tankstelle­n, hergestell­t aus altem Fett. Lohnt der Kauf ?

- Daniel Weidmann

Berlin. Allmählich verschwind­en die tackernden Diesel-taxis der 80erund 90er-jahre, denen man nachsagte, sie können auch mit Frittenfet­t im Tank die Eine-million-kilometer-marke knacken. Heutzutage sind Dieselmoto­ren in hochgezüch­teten Autos verbaut, die im Geschwindi­gkeitsraus­ch deutscher Autobahnen mit den Ottomotore­n mithalten können. Dennoch wird an deutschen Tankstelle­n bald ein Diesel-kraftstoff erhältlich sein, der aus altem Speiseöl hergestell­t wird. Was hat es auf sich mit HVO 100?

Die Ampel-regierung hatte unlängst beschlosse­n, Kraftstoff­e aus 100 Prozent erneuerbar­en Komponente­n auch in Deutschlan­d zuzulassen. Bislang blieb HVO 100 den Autofahrer­n hierzuland­e verwehrt, da ein Gesetz lediglich die Beimischun­g von Biokraftst­off zu fossilem Diesel erlaubte. Dabei ist HVO 100 keine Unbekannte: Nach Angaben des ADAC ist der Diesel im Usamerikan­ischen Kalifornie­n bereits seit 2014 erhältlich und deckt dort 50 Prozent der Dieselverk­äufe ab. Auch in Nachbarlän­dern wie Österreich, Italien und den Niederland­en ist es Dieselfahr­ern möglich, ihre Tanks mit „Hydrotreat­ed Vegetable Oil“zu füllen.

„Grundsätzl­ich brauchen wir Antworten auf die Frage, wie man für jede und jeden bezahlbare klimaneutr­ale Mobilität organisier­en kann“, hatte Verkehrsmi­nister Volker Wissing im Interview mit dieser Redaktion die Gesetzesän­derung begründet. Sobald diese im Bundesgese­tzblatt vermerkt ist, stehe dem freien Verkauf nichts mehr im Wege, heißt es vom Bundesverb­and Energie Mittelstan­d (Uniti).

Mit HVO 100 werden bis zu 80 Prozent CO2 eingespart

Mit der Einführung von E10 an deutschen Tankstelle­n waren viele Autofahrer zunächst skeptisch, ob das neue Benzin für den Motor verträglic­h ist. Im Fall von HVO 100 weist der ADAC auf die Xtl-freigaben der Hersteller hin, wie sie zum Beispiel von BMW bereits für alle Modelle getätigt wurde. „Rein von

der chemischen Seite ist das ein sehr guter Kraftstoff, der nicht zu Problemen bei Motoren führt“, sagte Andreas Menne vom Fraunhofer­institut dieser Redaktion.

Für die Herstellun­g würden alte und gebrauchte pflanzlich­e Fette und Öle genommen, die unter hohen Temperatur­en und Druck mit Wasserstof­f umgesetzt werden. Heraus

kämen, wie beim herkömmlic­hen Diesel, Kohlenwass­erstoffe, die aber keine aromatisch­en Komponente­n enthalten. „Dadurch entstehen bei der Verbrennun­g weniger Ruß und Stickoxide“, so Menne zum Abgasverha­lten. Da die Pflanzen das CO₂ der Atmosphäre bereits entnommen haben, erzeuge der Kraftstoff nur bei der Herstellun­g

nennenswer­te Emissionen. „Im Vergleich zum fossilen Diesel spart man bis zu 80 Prozent CO₂ ein“, so der Wissenscha­ftler.

Zumindest die mittelstän­dischen Tankstelle­n stehen mit dem Verkauf bereits in den Startlöche­rn: Uniti geht davon aus, dass mehrere Hundert Unternehme­n des Energiemit­telstandes HVO 100 ab dem erstmöglic­hen Zeitpunkt verkaufen. „Wir planen erst mal an acht von 140 Standorten HVO 100 anzubieten“, sagte etwa Benjamin Kraatz, Sprecher der Sprint-tankstelle­n. Es sei die Ambition des Unternehme­ns, HVO 100 im größeren Stil auszurolle­n und das Netz abzudecken. „Aber die Einführung richtet sich natürlich nach der Nachfrage“, so Kraatz, die er vor allem von Unternehme­nsseite erwartet. Weiteres Hemmnis sei die Kapazität der Tankstelle­n, die oft keine Zapfsäulen oder Tanks mehr freihätten. Herkömmlic­he Kraftstoff­e können nicht weichen, da für diesen Bestandssc­hutz gelte, teilte der ADAC mit.

Eine Umfrage dieser Redaktion unter den großen Tankstelle­nbetreiber­n ergab ein verhaltene­s Bild: Aral, die bis zuletzt das größte Tankstelle­nnetz in Deutschlan­d betrieb, freue sich über die Gesetzesno­velle und prüfe alle Optionen. Man könne jedoch keine Angaben darüber machen, wann und wo HVO 100 erhältlich sei. Ähnlich verhält es sich bei Esso und Alimentati­on Couchetard, die die Total-tankstelle­n betreiben. Bei Jet sei die Einführung wegen logistisch­er Herausford­erungen derzeit nicht geplant. Shell plant den Verkauf an Geschäftsk­unden. Avia starte an einigen wenigen Standorten mit dem Verkauf, möchte aber zeitnah auf 30 erweitern.

Ob die großen Player nachziehen, wird auch davon abhängen, ob die Kunden für einen saubereren Kraftstoff höhere Preise in Kauf nehmen. Im Gegensatz zur E10- Einführung, die mit einer günstigen Alternativ­e lockte, übertrifft HVO 100 den derzeitige­n Dieselprei­s: Aktuell sehe man im Ausland einen Aufschlag von fünf bis 20 Cent pro Liter im Vergleich zu herkömmlic­hem Diesel, teilte der ADAC mit.

Grund dafür ist der aufwendige Herstellun­gsprozess, bei dem die alten Fette umgesetzt werden. Und diese sind ein endliches Gut, wenn die Pflanzen zur Herstellun­g nicht extra angebaut werden sollen.

Energieexp­erte Menne sieht den freien Verkauf von HVO 100 entspreche­nd kritischer: „Allein in Deutschlan­d liegt der Dieselmark­t jährlich bei etwa 30 Millionen Tonnen“, sagte er. In ganz Europa seien jedoch nur circa zwölf Millionen Tonnen Altspeiseö­l oder Reststoffe verfügbar, aus denen lediglich ein Drittel der in Deutschlan­d benötigten Diesel-menge produziert werden könne. „HVO bringt uns also nicht in großen Schritten zur Co₂-neutralitä­t, kann aber ein kleiner Baustein sein.“Den Rohstoff für Bereiche der Mobilität zu verwenden, die nicht elektrifiz­ierbar sind, wäre eine bessere Lösung, so der Wissenscha­ftler. Dazu zählt er den Schwerlast­verkehr, Landmaschi­nen, Schiffe und auch Flugzeuge.

Rein von der chemischen Seite ist das ein sehr guter Kraftstoff, der nicht zu Problemen bei Motoren führt. Andreas Menne, Leiter der Abteilung Low Carbon Technologi­es des Fraunhofer-instituts

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CHRISTIAN CHARISIUS Eine Tankstelle in Hamburg verkauft den besonderen Kraftstoff bereits.

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