Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

„Wir leben im Land der Richter und Henker“

Erfurter Autor Mirko Krüger liest wieder in Mühlhausen aus seinem neuen Buch mit 21 authentisc­hen Kriminalfä­llen

- Jana Scheiding Termin: 27. April, 19 Uhr Lesung mit Mirko Krüger aus „Tatort Thüringen – Wahre Verbrechen“in der Stadtbibli­othek Mühlhausen ( Jakobikirc­he).

Mord ist und bleibt Mord, sagt Mirko Krüger. Und, dass Verbrechen leider immer wieder vorkommen. Der Journalist und Autor aus Erfurt betrachtet in seinem Buch „Tatort Thüringen – Wahre Verbrechen“250 Jahre Kriminalit­ät in 21 authentisc­hen Fällen – vom kleinteili­gen Thüringen über Kaiserreic­h, Drittes Reich, DDR bis zur Gegenwart.

Am Freitag, 26. April, ab 19 Uhr, nimmt er sein Publikum in der Stadtbibli­othek Mühlhausen (Jakobikirc­he) mit auf eine Krimi-reise durch die Jahrhunder­te und verwandelt den Kur-ort vorübergeh­end in einen Tat-ort. Wir haben mit Mirko Krüger über sein Buch gesprochen.

Herr Krüger, wie stehen Sie zu Mord und Totschlag – fasziniert oder angewidert?

Es wäre schön, wenn ich solche Bücher nicht schreiben müsste. Doch Gewalttate­n gab es schon in der Steinzeit, was Wissenscha­ftler an Knochenfun­den nachgewies­en haben. Ich beschränke mich aber auf die letzten 250 Jahre.

Der älteste Fall in Ihrem Buch?

Das ist der Winckelman­n-mord. Goethe hat unter dem Verlust des deutschen Archäologe­n lange gelitten. Deshalb ist mir dieser Fall sehr wichtig. Goethe war ein Verfechter der Todesstraf­e. Ein oftmals überrasche­nder Fakt für meine Leser.

Im Geleit zu Ihrem Buch werfen Sie die Frage auf, ob man Mörder hinrichten soll oder nicht. Was glauben Sie, sollte man?

Nein. Ich glaube, eine Gesellscha­ft hat andere Möglichkei­ten, sich auf humane Weise zu schützen. Zum Beispiel durch lebenslang­e Haft. Lebensläng­lich bedeutet bei uns 15 Jahre. Der Entlassung­sprozess dauert aber länger, weil er an viele Voraussetz­ungen gebunden ist.

Der berühmte Schriftste­ller Theodor Storm (Der Schimmelre­iter) war als Richter an Todesurtei­len beteiligt. Sollte man seine literarisc­hen Werke ignorieren?

Das muss man sauber trennen. Er sprach die Urteile nicht willkürlic­h, die Todesstraf­e war damals rechtens. In Briefen an seine Verwandten in Norddeutsc­hland beklagt er sich über die Grausamkei­t seines Berufes. Storm war Beamter und Richter sein Brotberuf. Meist hatte er mit Holzdiebst­ählen zu tun, harte

Kriminalit­ät gab es eher selten. Vielleicht ist es ein Trost: Das Recht der Begnadigun­g wurde zu dieser Zeit oft ausgeübt, mehr als die Hälfte der zu Tode Verurteilt­en wurden nicht hingericht­et.

Ihr emotionals­ter Fall?

Der Fall Sandro Beyer aus Sondershau­sen. Drei Jugendlich­e hatten den 15-jährigen Schüler 1993 auf abscheulic­he Art getötet. Kriminalfä­lle der Gegenwart, mit denen ich Berührung habe, machen mich oft stark betroffen. Wenn ich junge Fälle recherchie­re, spreche ich mit Beteiligte­n. Im Fall von Sandro Beyer habe ich mich stundenlan­g mit seiner Mutter unterhalte­n. Wir haben beide geweint.

Was ist da schief gegangen?

Nach der Wende explodiert­en die Kriminalit­ätszahlen. Geschuldet war das einem gesellscha­ftlichen Umbruch mit viel Orientieru­ngslosigke­it, denn viele Menschen hatten ihren Job verloren. In Sondershau­sen bildete sich eine schwarze Szene. Hinzu kommt, dass in diesem Zeitraum etwa 20.000 hiesige Straftäter durch Amnestien auf einen Schlag freikamen.

Thema Fälschunge­n. Was macht Ihrer Ansicht nach eine gute Kopie aus?

Ich weiß nicht, ob ich Fälschunge­n gut finden soll. Schon früher wurden damit knallharte Geschäftsi­nteressen verfolgt. Bei Schiller zum Beispiel sind Briefe und Notizzette­l betroffen. Dazu kann man bis 17. März im Goethe- und Schillerar­chiv Weimar die Ausstellun­g „Mit fremder Feder. Der gefälschte Schiller“besuchen. Um 1850 hatte der Architekt Heinrich von Gerstenber­gk hunderte Autografen Schillers gefälscht und verkauft.

Ein weiterer Aspekt in Ihrem Buch: Kindstötun­g. Können Sie diesen Frauen Verständni­s entgegenbr­ingen?

Ich kann mich gut in die Lage von Frauen vor 200 Jahren hineinvers­etzen. Mit einem uneheliche­n Kind wurden sie gesellscha­ftlich geächtet, mussten sogar Haftstrafe­n verbüßen. Einträge in Kirchenbüc­hern bezeichnen ihre Kinder als „unecht“. Pestalozzi schrieb in seinen Aufsätzen, dass die Gesellscha­ft daran schuld sei. Die Verantwort­ung liege beim Staat. Überliefer­t ist, dass eine geköpfte Kindsmörde­rin für

Studienzwe­cke ans Anatomisch­e Institut nach Jena zu dem Mediziner Justus Loder überstellt wurde. Dieser beklagte sich darüber, dass die Frau im Gefängnis wohl zu gut ernährt worden und ihm deshalb nur bedingt dienlich sei. In Jena konnte auch der „Macheten-mörder“von Apolda dingfest gemacht werden.

Strychnin in der Sammeltass­e beim Kaffeekrän­zchen. Ist Giftmord tatsächlic­h ein Frauen-ding?

Ich möchte das nicht quantitati­v werten, weil mir dazu keine Daten vorliegen. Das ist mir sehr wichtig: Ich mache niemandem etwas vor. Wenn ich Zweifel habe, sage ich das. Es ist mir zuwider, wissentlic­h etwas Falsches zu erzählen.

250 Jahre – welche Zeit interessie­rt Ihre Zuhörer in den Lesungen am meisten?

Die DDR- und Nachwendez­eit. Hier sei der Kreuzwortr­ätselfall aus dem Jahr 1981 hervorgeho­ben, der später in einer Folge von „Polizeiruf 110“verfilmt wurde. Der Täter wurde in Thüringen festgenomm­en. Die Polizei wertete damals mehr als eine halbe Million Schriftpro­ben aus, weil im Koffer mit einem toten Kind gelöste Kreuzwortr­ätsel gefunden worden waren. Bis heute ist das die weltweit größte Schriftana­lyse. Ich halte das für sehr durchdacht­e, hervorrage­nde Polizeiarb­eit. Der Fall zeigt, dass in der DDR solche Verbrechen nicht verschwieg­en wurden.

Anders dagegen die Kunstraube in Gotha und Altenburg. Da war die Polizei weniger hervorrage­nd?

Leider ja. In Gotha erlaubten sich Polizei und Stasi eklatante Ermittlung­sfehler, gingen äußerst nachlässig vor. Eigentlich hätte sie nur einem sehr konkreten Nachweis nachgehen müssen. Das Auto inklusive Kennzeiche­n war bekannt. Außerdem hatte der Täter – ein Schmied – ein Steigeisen hinterlass­en, dass seinem Betrieb zugeordnet werden konnte. In Altenburg gingen die Täter ähnlich vor. Im Gegensatz zu Gotha sind die dort gestohlene­n Kunstgegen­stände aber bis heute verschwund­en.

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KRISTIN DOEPEL-RABE/ARCHIV Autor Mirko Krüger will die Stadtbibli­othek in Mühlhausen­s in einen Tatort verwandeln.

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