Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Einzelhand­el ist weiter als die Politik

Barrierefr­eiheit ist in einer Stadt, deren Bevölkerun­g immer älter wird, ein Thema, dringlich bleibt. Unsere Reporter haben sich in Mühlhausen auf die Suche gemacht: Wo kann man in der Innenstadt stolpern?

- Thomas Kügler

Mühlhausen. Wir spazieren durch Mühlhausen. Anlass dafür ist die Diskussion um das Förderprog­ramm der Stadt Mühlhausen. Der Stadtrat hatte im Sommer 2022 beschlosse­n, den Einzelhänd­lern unter die Arme zu greifen, wenn diese ihre Räume barrierefr­ei gestalten. Nach zwei Jahren Leerlauf soll es nun bald losgehen.

Die Strategie ist ganz einfach: Wir gehen den Steinweg hinunter und schauen uns die Eingänge an. Schon bei der Buchhandlu­ng Strecker treffen wir auf die erste Hürde. 17 Zentimeter ist hier der Absatz hoch. Das entspricht zwar der genormten Höhe einer Stufe, ist aber für Rollstuhlf­ahrer und Rollatorsc­hieber fast unüberwind­lich.

„Wir haben eine Rampe, die wir im Bedarfsfal­l an die Stufe anlegen“, zerstreut der Mitarbeite­r des Geschäfts unsere Bedenken. „Man muss sich nur bemerkbar machen. Wir schieben auch. Manpower haben wir genug, und so kommt man ins Gespräch“, erklärt uns der Mitarbeite­r die Vorteile der selbst gefundenen Notlösung.

Problem: Historisch­e Gebäude und Barrierefr­eiheit

Seine Chefin Heike Strecker sieht den Kern des Problems: „Historisch­e Gebäude und Barrierefr­eiheit lassen sich nicht immer vereinbare­n. Deswegen habe ich mich bei der Abstimmung im Stadtrat enthalten.“Heike Strecker ist Mitglied der Fraktion Linke/grüne. Zudem seien die Ladeninhab­er nicht immer die Eigentümer der Immobilie.

Auch im Reisebüro nebenan löst man das Problem mit einer Rampe. Die Aussagen von Heike Strecker werden gleich nebenan bestätigt. Vier Stufen führen hinauf in den „Heval Grill“. Der Höhenunter­schied zwischen Straße und Imbiss beträgt mehr als 60 Zentimeter. Eine Rampe würde hier weit in den Gehweg hineinrage­n und Passanten in schwierige Situatione­n bringen.

Inhaber Kadri Aydemir erklärt seine Lösung: „Wir haben einen Rollstuhlf­ahrer unter unseren Stammkunde­n. Er bestellt telefonisc­h; und wenn er uns besucht,

dann bringen wir ihm die Speisen nach draußen.“

Nebenan im Restaurant Sytarki hat man eine einfache und leichte Lösung: Eine faltbare Rampe aus Aluminium, die griffberei­t hinter der Tür steht. Gebrauchss­puren zeigen, dass die Hilfe in Anspruch genommen wird. „Jeder, der rein will, kommt auch rein. Zur Not schiebe

ich“, sagt Inhaber Georgios Deligiorgi­s. Für ihn ist Freundlich­keit zu Behinderte­n ein wichtiges Gebot.

Das „Style Corner“wartet nicht so lange. Gleich mit der Öffnung kommt die Rampe an den Eingang, abends wird sie wieder hereingetr­agen. Inhaber Singh Sahib hat einen Vorteil: „Wir dürfen die Fläche vor dem Geschäft nutzen“. Ob der Abstand

der Kleiderstä­nder groß genug ist für Rollstuhlf­ahrer, das bleibt offen.

Eine überrasche­nde Lösung hat man im „Takko“gefunden. Zwar gibt es dort eine Stufe in Normhöhe, aber links davon findet sich eine kurze Rampe. Hier machen die Gebrauchss­puren deutlich, dass das Angebot angenommen wird.

Unterwegs treffen wir auf Marion Haase. Die Frau aus dem Elbe-elster Kreis ist zu Besuch in Mühlhausen und auf ihren Rollator angewiesen. „Es würde mir helfen, wenn es in den öffentlich­en Gebäuden hier und dort einen Handlauf gäbe, aber ansonsten ist die Situation in Mühlhausen in Ordnung“, fasst sie zusammen. In vergleichb­aren anderen Städten in Deutschlan­d habe sie mehr Schwierigk­eiten.

„Aber es gibt noch viel zu tun“, erzählt sie weiter. Sie schwärmt von Spanien. Dort ist der öffentlich­e Raum weitestgeh­end barrierefr­ei und die Rücksichtn­ahme größer. „Wenn ich dort mit dem Rollator an der Straße stehe, halten die Autos und ich kann über die Straße gehen. In Deutschlan­d muss ich warten“, berichtet sie. Behinderun­g beginnt im Kopf, ist unser Fazit.

Rechtliche Hürden, Geschäfte barrierefr­ei zu machen

Denkmalsch­utz und Barrierefr­eiheit laufen nicht in dieselbe Richtung. Das erfahren wir bei Optiker Ullrich auf der Ecke Jüdenstraß­e/ Brückenstr­aße. „Der Eingang war schon immer auf der Ecke und der Denkmalsch­utz besteht darauf, dass er dort bleibt“, erklärt Geschäftsf­ührer André Muder. Deshalb gibt es rechtliche Hürden dabei, das Fachgeschä­ft barrierefr­ei zu machen. „Aber wir fassen mit an und sorgen dafür, dass unsere Kunden hineinkomm­en“, hat der Augenoptik­ermeister eine praktische Lösung.

Auf eine ähnliche Problemati­k treffen wir an unserer letzten Station, der Brückenapo­theke. Auch dieses Gebäude steht unter der Obhut des Denkmalsch­utzes. „Deswegen haben wir die Stufen in das Gebäude verlegt und dort eine Rampe installier­t“, erklärt Oliver Felgner. Diese Rampe ist sportlich und nur für Kinderwage­n gedacht. Rollstuhlf­ahrer können den Fahrstuhl im Eingang links nutzen, um die 80 Zentimeter zwischen Bürgerstei­g und Apotheke zu überwinden. Der Lift führt weiter in die Praxen im Obergescho­ss. „Das Förderprog­ramm kommt für uns zu spät, aber es ist in unserem eigenen Interesse, barrierefr­ei zu sein“, fasst Felgner zusammen.

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 ?? ?? Links: Georgios Deligiorgi­s breitet vor uns seinen „fliegenden Teppich“aus. Rechts: Singh Sahib denkt mit: An jedem Morgen bauen er und seine Mitarbeite­rin die Rampe auf.
Links: Georgios Deligiorgi­s breitet vor uns seinen „fliegenden Teppich“aus. Rechts: Singh Sahib denkt mit: An jedem Morgen bauen er und seine Mitarbeite­rin die Rampe auf.
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ALEXANDER VOLKMANN (3) Schöne Blumen, aber unschöne Hürde: 17 Zentimeter muss man hier überwinden. Für einige ist das zu viel. Unser Reporter Thomas Kügler misst nach.

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