Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)
Einzelhandel ist weiter als die Politik
Barrierefreiheit ist in einer Stadt, deren Bevölkerung immer älter wird, ein Thema, dringlich bleibt. Unsere Reporter haben sich in Mühlhausen auf die Suche gemacht: Wo kann man in der Innenstadt stolpern?
Mühlhausen. Wir spazieren durch Mühlhausen. Anlass dafür ist die Diskussion um das Förderprogramm der Stadt Mühlhausen. Der Stadtrat hatte im Sommer 2022 beschlossen, den Einzelhändlern unter die Arme zu greifen, wenn diese ihre Räume barrierefrei gestalten. Nach zwei Jahren Leerlauf soll es nun bald losgehen.
Die Strategie ist ganz einfach: Wir gehen den Steinweg hinunter und schauen uns die Eingänge an. Schon bei der Buchhandlung Strecker treffen wir auf die erste Hürde. 17 Zentimeter ist hier der Absatz hoch. Das entspricht zwar der genormten Höhe einer Stufe, ist aber für Rollstuhlfahrer und Rollatorschieber fast unüberwindlich.
„Wir haben eine Rampe, die wir im Bedarfsfall an die Stufe anlegen“, zerstreut der Mitarbeiter des Geschäfts unsere Bedenken. „Man muss sich nur bemerkbar machen. Wir schieben auch. Manpower haben wir genug, und so kommt man ins Gespräch“, erklärt uns der Mitarbeiter die Vorteile der selbst gefundenen Notlösung.
Problem: Historische Gebäude und Barrierefreiheit
Seine Chefin Heike Strecker sieht den Kern des Problems: „Historische Gebäude und Barrierefreiheit lassen sich nicht immer vereinbaren. Deswegen habe ich mich bei der Abstimmung im Stadtrat enthalten.“Heike Strecker ist Mitglied der Fraktion Linke/grüne. Zudem seien die Ladeninhaber nicht immer die Eigentümer der Immobilie.
Auch im Reisebüro nebenan löst man das Problem mit einer Rampe. Die Aussagen von Heike Strecker werden gleich nebenan bestätigt. Vier Stufen führen hinauf in den „Heval Grill“. Der Höhenunterschied zwischen Straße und Imbiss beträgt mehr als 60 Zentimeter. Eine Rampe würde hier weit in den Gehweg hineinragen und Passanten in schwierige Situationen bringen.
Inhaber Kadri Aydemir erklärt seine Lösung: „Wir haben einen Rollstuhlfahrer unter unseren Stammkunden. Er bestellt telefonisch; und wenn er uns besucht,
dann bringen wir ihm die Speisen nach draußen.“
Nebenan im Restaurant Sytarki hat man eine einfache und leichte Lösung: Eine faltbare Rampe aus Aluminium, die griffbereit hinter der Tür steht. Gebrauchsspuren zeigen, dass die Hilfe in Anspruch genommen wird. „Jeder, der rein will, kommt auch rein. Zur Not schiebe
ich“, sagt Inhaber Georgios Deligiorgis. Für ihn ist Freundlichkeit zu Behinderten ein wichtiges Gebot.
Das „Style Corner“wartet nicht so lange. Gleich mit der Öffnung kommt die Rampe an den Eingang, abends wird sie wieder hereingetragen. Inhaber Singh Sahib hat einen Vorteil: „Wir dürfen die Fläche vor dem Geschäft nutzen“. Ob der Abstand
der Kleiderständer groß genug ist für Rollstuhlfahrer, das bleibt offen.
Eine überraschende Lösung hat man im „Takko“gefunden. Zwar gibt es dort eine Stufe in Normhöhe, aber links davon findet sich eine kurze Rampe. Hier machen die Gebrauchsspuren deutlich, dass das Angebot angenommen wird.
Unterwegs treffen wir auf Marion Haase. Die Frau aus dem Elbe-elster Kreis ist zu Besuch in Mühlhausen und auf ihren Rollator angewiesen. „Es würde mir helfen, wenn es in den öffentlichen Gebäuden hier und dort einen Handlauf gäbe, aber ansonsten ist die Situation in Mühlhausen in Ordnung“, fasst sie zusammen. In vergleichbaren anderen Städten in Deutschland habe sie mehr Schwierigkeiten.
„Aber es gibt noch viel zu tun“, erzählt sie weiter. Sie schwärmt von Spanien. Dort ist der öffentliche Raum weitestgehend barrierefrei und die Rücksichtnahme größer. „Wenn ich dort mit dem Rollator an der Straße stehe, halten die Autos und ich kann über die Straße gehen. In Deutschland muss ich warten“, berichtet sie. Behinderung beginnt im Kopf, ist unser Fazit.
Rechtliche Hürden, Geschäfte barrierefrei zu machen
Denkmalschutz und Barrierefreiheit laufen nicht in dieselbe Richtung. Das erfahren wir bei Optiker Ullrich auf der Ecke Jüdenstraße/ Brückenstraße. „Der Eingang war schon immer auf der Ecke und der Denkmalschutz besteht darauf, dass er dort bleibt“, erklärt Geschäftsführer André Muder. Deshalb gibt es rechtliche Hürden dabei, das Fachgeschäft barrierefrei zu machen. „Aber wir fassen mit an und sorgen dafür, dass unsere Kunden hineinkommen“, hat der Augenoptikermeister eine praktische Lösung.
Auf eine ähnliche Problematik treffen wir an unserer letzten Station, der Brückenapotheke. Auch dieses Gebäude steht unter der Obhut des Denkmalschutzes. „Deswegen haben wir die Stufen in das Gebäude verlegt und dort eine Rampe installiert“, erklärt Oliver Felgner. Diese Rampe ist sportlich und nur für Kinderwagen gedacht. Rollstuhlfahrer können den Fahrstuhl im Eingang links nutzen, um die 80 Zentimeter zwischen Bürgersteig und Apotheke zu überwinden. Der Lift führt weiter in die Praxen im Obergeschoss. „Das Förderprogramm kommt für uns zu spät, aber es ist in unserem eigenen Interesse, barrierefrei zu sein“, fasst Felgner zusammen.