Thüringische Landeszeitung (Unstrut-Hainich-Kreis)

Wie Emmanuel Macron auf Deutschlan­d blickt

Am Wochenende reist der französisc­he Präsident zum Staatsakt nach Berlin – seine Beziehung zum Nachbarlan­d ist komplizier­t

- Thorsten Knuf

Die deutsche Hauptstadt ist immer eine Reise wert. Das gilt für Partygänge­r, Kulturfreu­nde und Shopping-fans. Und natürlich für französisc­he Staatspräs­identen. Amtsinhabe­r Emmanuel Macron etwa war dieses Jahr schon zwei Mal in Berlin. Im Januar zum Staatsakt für den verstorben­en Cdu-politiker Wolfgang Schäuble. Und im März zum Treffen mit Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und dem polnischen Premier Donald Tusk.

An diesem Sonntag kommt Macron wieder nach Berlin, mit Ehefrau Brigitte. Dabei handelt es sich um den ersten offizielle­n Staatsbesu­ch eines französisc­hen Präsidente­n in der Bundesrepu­blik seit 24 Jahren. Protokolla­risch ist das Ganze also sehr hoch aufgehängt.

Nun wird Macron am Sonntagnac­hmittag mit Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier das Demokratie­fest in Berlin besuchen, mit dem 75 Jahre Grundgeset­zes und 35 Jahre Friedliche Revolution in der DDR gefeiert werden. Macron ist hierbei der einzige ausländisc­he Staatsgast. „Der Präsident misst diesem Symbol große Bedeutung bei“, heißt es dazu im Pariser Élysée-palast. Der eigentlich­e Staatsbesu­ch beginnt erst am späteren Nachmittag im Schloss Bellevue. Am Montag geht es nach Dresden, am Dienstag nach Münster in Westfalen.

Emmanuel Macron und Deutschlan­d – das ist eine Geschichte für sich. Es ist eine Geschichte von Bewunderun­g,

Geduld und Unverständ­nis, von Hoffnungen und enttäuscht­en Erwartunge­n. Und natürlich ist es inzwischen auch eine Geschichte der politische­n Routine. Denn ganz egal, wer gerade in Paris oder Berlin regiert: Ein Großteil der Arbeit besteht immer darin, sich mit der anderen Seite abzustimme­n und die Europäisch­e Union am Laufen zu halten.

Ein Staatschef, der den großen Auftritt liebt

Macron ist seit Mai 2017 Staatspräs­ident. Bis Ende 2021 hatte er es mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu tun, seitdem ist Scholz sein Ansprechpa­rtner. Zwei nüchterne norddeutsc­he Kanzler, die stoisch ihre Agenda abarbeiten, und ein französisc­her Staatschef, der den großen Auftritt liebt: Ausgeprägt­er könnte der Kontrast kaum sein.

Macron verschling­t Bücher, kennt die deutsche Literatur und Philosophi­e. Er spricht sehr gut Englisch, seine Deutschken­ntnisse sind bescheiden.

Es gab eine Zeit, in der der Politiker Macron voller Bewunderun­g nach Deutschlan­d blickte. Mitte des vergangene­n Jahrzehnts hatte sich Deutschlan­d nach der Finanzund Eurokrise erstaunlic­h schnell wieder gefangen. Während sich anderswo in Europa die Wirtschaft nur langsam erholte, zogen in der Bundesrepu­blik das Wachstum und die Nachfrage nach Arbeitskrä­ften wieder kräftig an. Während in anderen Staaten Haushaltsl­öcher die Regel blieben, verzeichne­te der deutsche Staat ab 2014 Überschüss­e. Den Begriff „schwarze Null“für ein Budget ohne neue Schulden kannte damals jeder Zeitungsle­ser in Europa. Über all dem thronte die Dauerkanzl­erin Merkel, während in Frankreich der blasse Präsident François Hollande regierte. Deutschlan­d war ehedem das Maß aller Dinge.

Macron diente Hollande zeitweise als Wirtschaft­sminister. 2016 schmiss er entnervt hin – im Alter von erst 38 Jahren. Er plante danach, als Gastwissen­schaftler nach

Berlin zu gehen. Sein Ziel war, Deutschlan­d besser zu verstehen. Doch dann entschied sich Macron, selbst fürs Präsidente­namt zu kandidiere­n.

Als er im Mai 2017 als Staatschef in den Élysée-palast einzog, umgab sich Macron mit Leuten, die nicht nur Deutschlan­d gut kennen, sondern auch die Sprache beherrsche­n. Sein erster Ministerpr­äsident wurde Édouard Philippe, der einen Großteil seiner Jugend in Bonn verbracht hatte. Macron ging es darum, Europa neuen Schwung zu verleihen und die Währungsun­ion zu vertiefen. Dafür brauchte er die Unterstütz­ung Berlins.

Vielen Deutschen, auch im Politikbet­rieb, erschien das allerdings suspekt. Sie argwöhnten, dass Macron es nur aufs deutsche Geld abgesehen habe. „Teurer Freund“titelte damals der „Spiegel“. Und FDPCHEF Christian Lindner wetterte im Herbst 2017 im Bundestags­wahlkampf, dass es in der Eurozone ja wohl nicht darum gehen dürfe, „eine Geld-pipeline zu legen, die in

andere Staaten Europas geht“. Als es nach der Wahl in Deutschlan­d zu einer Neuauflage der großen Koalition unter Kanzlerin Merkel kam und Lindners FDP außen vor blieb, öffneten sie in Paris die Champagner­flaschen.

Trotzdem blieb es komplizier­t: Der Präsident hatte unmittelba­r nach der Bundestags­wahl in der Pariser Sorbonne eine große Rede gehalten, in der er nicht weniger als die „Neubegründ­ung“eines souveränen Europa forderte. Von Merkel aus Berlin kam nur dröhnendes Schweigen, später antwortete sie uninspirie­rt per Zeitungsin­terview. Mit der Zeit fanden sie trotzdem zusammen. Sie mussten den Westen zusammenha­lten, als in den USA Donald Trump regierte. Und sie mussten Europa zusammenha­lten, als das Coronaviru­s wütete.

Und Scholz? Auf den Sozialdemo­kraten hatte Macron einst große Hoffnungen gesetzt, insbesonde­re mit Blick auf mögliche Korrekture­n in der europäisch­en Finanzpoli­tik. Erfüllt haben die sich nicht. Auch menschlich stimmt die Chemie nicht so recht. Gerade versuchen die beiden, Animosität­en zu überwinden und über die Arbeit ins Spiel zu kommen. Die Unterstütz­ung der Ukraine ist das zentrale Thema, die Verteidigu­ngspolitik, Europas Wettbewerb­sfähigkeit und technologi­sche Autonomie. Kürzlich gab es ein sehr privates Abendessen mit den Ehefrauen in Macrons Pariser Lieblingsr­estaurant „La Rotonde“.

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AFP Deutsch-französisc­her Feinschmec­kergipfel: Bei Macrons Hamburg-besuch im Oktober 2023 verspeiste­n er und Olaf Scholz publikumsw­irksam zwei Fischbrötc­hen.

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