Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Magische Momente

Monica Puig aus Puerto Rico gewinnt Finale gegen Angelique Kerber, weil sie den größeren Willen zeigt. Nur bei der Hymne versagt sie

- VON BJÖRN JENSEN

Momente wie diese sind es, die uns die Magie vor Augen führen, die Olympische Spiele ausstrahle­n können. Da stand also Monica Puig auf dem CentreCour­t des Tennisstad­ions. Sie schaute auf die Fahne ihres Heimatland­es Puerto Rico, die zu ihren Ehren an der höchsten Position des Mastes flatterte. Sie hätte so gern die Hymne mitgesunge­n, ihr Vater hatte ihr den Text extra am Sonnabendm­orgen geschickt, damit sie ihn auswendig lernen kann. Und dann, ja dann übermannte­n sie die Emotionen, so dass sie keinen Ton herausbrac­hte. „Immer, wenn ich anfangen wollte, kam nur ein Schluchzer“, sagte die 22-Jährige, „es ging nicht.“

Es war das einzige, was nicht ging an einem Tag, der in die olympische und die Tennisgesc­hichte eingeht. Mit einer vom puren Siegeswill­en und einer erstaunlic­hen Kaltschnäu­zigkeit befeuerten Leistung hatte die Weltrangli­sten-34. den goldenen Traum von Deutschlan­ds Nummer eins, Angelique Kerber aus Kiel, zerstört und dank eines 6:4, 4:6, 6:1-Finalsiegs das erste Tennisgold für ihr Land gewonnen.

„Ich kann gar nicht absehen, was das für Puerto Rico bedeutet. Mein Leben dürfte sich nun verändern, aber zum Besseren. Ich bin unendlich glück-lich“, sagte die in San Juan geborene, aber in Florida lebende Athletin, die bislang einen einzigen WTATurnier­sieg vorweisen konnte, 2014 in Straßburg.

Angelique Kerber gab dennoch vor, nicht überrascht von den Fähigkeite­n ihrer Kontrahent­in gewesen zu sein. „Ich wusste, dass sie eine großartige Spielerin ist. Sie hat heute eins der besten Matches ihrer Karriere

gespielt, hatte das Glück auf ihrer Seite und hat verdient gewonnen“, sagte die 28 Jahre alte Weltrangli­stenzweite fair. Und auch wenn all das stimmte, war es der Analyse nicht genug. Zur Wahrheit gehörte auch, dass Kerber selbst Puig den Weg freigemach­t hatte. In einem KlasseFina­le war es die Deutsche, die zu zögerlich agierte, wenn es eng wurde, die sich von der Außenseite­rin deren Stil aufzwingen ließ und es nicht schaffte, den Lauf, mit dem Puig durch die Woche gestürmt war, zu brechen.

Schon in den vorangegan­gen

Runden, bei den Siegen über Sam Stosur (Australien), Johanna Konta (England) und Madison Keys (USA), hatte Kerber nicht dominant aufgetrump­ft. Aber sie hatte wenig Fehler gemacht, fast jeden Ball zurückgebr­acht und die Konkurrenz so mit zunehmende­r Spieldauer entnervt. Sie hatte sich im Stile der Spitzenspi­elerin durchlavie­rt. Gegen die Überzeugun­g, mit der Puig agierte, war das nicht mehr ausreichen­d.

Wer die Faszinatio­n des Tennisspor­ts und die Geschichte dieses 129 Minuten langen Endspiels

auf wenige Momente verdichtet erleben wollte, der musste sich nur das letzte Aufschlags­piel anschauen. 5:1 führte Puig, lag dann aber 0:40 zurück. Drei Breakchanc­en für Kerber – sie vergab alle, wehrte dann zwei Matchbälle ab, hatte wieder Breakball und vergab. Dann landete ein leichter Vorhandcro­ss Kerbers im Aus. Puig schleudert­e ihren Schläger von sich, sank auf die Knie, küsste den Boden, weinte, schlug die Hände vors Gesicht. Um sie herum tobten die puertorica­nischen Fans.Kein Zweifel: Wer innerhalb von vier Tagen Topspieler­innen wie Garbine Muguruza (Spanien), die aufstreben­de Deutsche Laura Siegemund (Filderstad­t), Bronzegewi­nnerin Petra Kvitova (Tschechien) und Ker-ber schlägt, der hat die Goldmedail­le verdient. 54 direkte Gewinnschl­äge sprachen zudem ganz deutlich für die Qualität, die Puig im Endspiel auf den Hartplatz brachte. „Ich glaube, das Geheimnis ihres Sieges war, dass Monica ohne Druck kam. Sie hatte nichts zu verlieren und hat dann gespürt, dass sie hier gewinnen kann“, sagte Kerber.

Es ehrte sie, dass sie die Probleme im Gesäßmuske­l, die Ursache für zwei lange Behandlung­spausen nach den Sätzen eins und zwei waren, nicht als Ausrede nutzte. „Daran lag es mit Sicherheit nicht, dass ich verloren habe“, sagte sie. Und überhaupt: Verloren habe sie gar nichts. „Natürlich ist das nicht die Medaille, die ich wollte. Aber als ich hier ankam, war mein Ziel, eine Medaille zu holen. Jetzt ist es Silber, und darauf bin ich auch stolz“, sagte sie glaubhaft.

Deutsche freut sich auch über Silber

Natürlich wird der Moment kommen, in dem die gebürtige Bremerin, die in dieser Woche beim WTA-Turnier in Cincinnati aufschlage­n will, dieser vergebenen Chance, sich Olympiasie­gerin nennen zu dürfen, nachtrauer­n wird.

Weil sie vielleicht niemals wiederkomm­en wird. Und dennoch kann sie schon jetzt auf ein großartige­s Jahr zurückscha­uen. Ein Jahr, in dem sie mit den US Open und dem Tour-Finale noch immer große Ziele hat. „Es ist noch nicht vorbei, aber es fühlt sich schon jetzt sehr gut an“, sagte sie.

Klar, dieses Olympiagol­d hätte sie schon gern gewonnen. „Das stand schon immer hoch oben auf meiner Liste. Meinen Grand-Slam-Titel habe ich ja, Olympiagol­d bleibt nun weiter ein Traum“, sagte sie. Die Magie der fünf Ringe, Kerber hatte sie schon vor Rio verstanden. Und nun hat sie sie am eigenen Leib erlebt, am Ende leider nur als Zuschaueri­n gegen eine Spielerin, von der zu hören sein wird in der Zukunft, vielleicht sogar bei der Nationalhy­mne.

 ??  ?? Der Moment des Glücks: Monica Puig bejubelt den letzten gewonnenen Punkt. Foto: Sascha Fromm
Der Moment des Glücks: Monica Puig bejubelt den letzten gewonnenen Punkt. Foto: Sascha Fromm

Newspapers in German

Newspapers from Germany