Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Lernen von den Briten

Mit Silber des Achters war der Bundestrai­ner zufrieden – trotzdem fordert er ein Umdenken in Deutschlan­d

- VON THOMAS LELGEMANN

„Ich habe hier verkackt. Meine Weite war Scheiße”,sagte Schwanitz drastisch. Erste Erklärunge­n für das enttäusche­nde Ergebnis fand sie schnell. „Ich war viel zu verkrampft. Wer will, der verliert”, sagte sie. Im Finale kam Schwanitz tatsächlic­h nicht über eine Statistenr­olle hinaus. Michelle Carter dagegen steigerte sich im letzten Versuch auf den neuen US-Rekord von 20,63 m und verhindert­e den dritten Gold-Triumph in Serie der Neuseeländ­erin Valerie Adams (20,42).

An ein Ende ihrer Karriere denke sie nicht. „So möchte ich es nicht stehen lassen. Mein Ehrgeiz ist schon wieder geweckt”, sagte sie: „Vom Kopf her bin ich schon so weit, dass ich bis Tokio 2020 weiter machen möchte.”

Die acht fast zwei Meter langen Hünen und ihr nur 1,69 Meter große Steuermann Martin Sauer feierten eine silberne Nacht. Der Deutschlan­d-Achter hatte zwar in der Lagune von Rio nicht das erhoffte Gold gewonnen, doch an diesem Tag mehr als Platz zwei nicht drin.

„Die Briten haben dem Rennen klar ihren Stempel aufgedrück­t. Wir hatten keine Chance“, gab der Hamburger Eric Johannesen zu, der noch 2012 in London mit dem Flaggschif­f den Olympiasie­g gefeiert hatte. Und so tranken sie den einen oder anderen Caipirinha, genossen die gute Küche und tanzten sogar dem Temperamen­t der Gastgeber entspreche­nd.

Es war gleichzeit­ig auch eine Abschiedsf­eier für die acht Ruderer und ihren Berliner Steuermann. „Ich will nicht über meine Kollegen spekuliere­n, aber in vier Jahren in Tokio wird das Boot eine andere Aufstellun­g haben“, sagte Sauer. „Einige werden ihren Fokus auf das Arbeitsleb­en legen.“Was er machen wird, weiß Sauer noch nicht. Erst einmal will er in den Urlaub fahren und sich dann entscheide­n, ob er noch mal die Position als Steuermann anstreben soll.

Bundestrai­ner Ralf Holtmeyer analysiert­e das Rennen in seiner ruhigen Art. „Ich wäre auch nicht bei einem Sieg herum getanzt“, sagte der 60-Jährige. „Der Wind war für alle gleich. Bei den Briten haben einige Olympiasie­ger im Boot gesessen. Das waren keine Pappkamera­den.”

Holtmeyer ist der unterkühlt­e Mann aus Norddeutsc­hland, er ist aber auch ein Mensch, der sagt, was er denkt. Und schon wenige Minuten nach dem Achter-Finale forderte er ein Umdenken im Verband. Mit den beiden Goldmedail­len in den Doppelvier­ern und dem zweiten Platz des Achters hatten die deutschen Ruderer hinter den Briten Rang zwei in der Nationenwe­rtung erreicht. Eine tiefere Analyse zeigt, dass es erhebliche Defizite gibt, denn abgesehen von den Medaillen-Besetzunge­n kam kein anderes Boot in ein Finale.

Holtmeyer wird wohl auch den nächsten Deutschlan­d-Achter bauen. Aber für ihn ist klar, dass sich etwas im deutschen Rudern ändern muss. Die Briten seien strukturel­l viel besser aufgestell­t, sagte er. Alles sei profession­eller. „Wir ackern, um da mitzuhalte­n“, sagte Holtmeyer. „Aber auch wenn jeder tut, was er kann, gibt es Defizite im System.”

Holtmeyer fragt: „Wo sind die Talente?“

Deutschlan­d produziere viele Junioren-Weltmeiste­r, sagt er. „Aber wo sind sie? Hier jedenfalls nicht.“Talente hören wegen fehlender berufliche­r Perspektiv­en auf und auch die Strukturen hält Holtmeyer reformbedü­rftig. „Der nächste Rudertag findet in Nordrhein-Westfalen statt. Da sitzen zum Teil Funktionär­e, die haben solche Regatten noch nie gesehen. Wir haben die Dezentrali­sierung ausgerufen, und da steckt jetzt schon Führungssc­hwäche dahinter.“

Und auch Martin Sauer, der es ja auch im Boot gewohnt ist zu steuern, macht sich weiter gehende Gedanken über das deutsche Rudern. „Wir trainieren in Dortmund und haben einen guten Kontakt zu Borussia Dortmund. Da sehen wir, wie profession­ell der Klub im Vergleich zu uns organisier­t ist“, erzählt Sauer. „Die Briten haben ihre besten Ruderer quasi ausgeglied­ert. Alle Athleten, die hier in den Booten saßen, arbeiten wie Profis.“

Cheftraine­r der Briten ist ein Deutscher. Jürgen Gröbler, der in der früheren DDR auch mit nachweisli­ch verbotenen Mitteln Die deutsche Besetzung des Achters mit Steuermann Sauer (r.).

schon einige Boote aufs olympische Podium geführt hatte, ging 1991 nach der Wende nach Großbritan­nien. Seitdem hat er auch etliche Medaillen, darunter viele in Gold mit den

Briten gewonnen. Gröbler hat freie Hand in der Vorbereitu­ng. Er kann aus einem viel größeren Reservoir aus Spitzenrud­erern, alle Profis, seinen Achter auswählen. „Die Sportler zu einem Team zu formen, ist eine Herausford­erung“, sagt der 70-Jährige. „Die Jungs sind eben acht Individuen, und die muss man in Harmonie bringen.“In Rio ist ihm das am besten gelungen.

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Foto: Christian Petersen

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