Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Lernen von den Briten
Mit Silber des Achters war der Bundestrainer zufrieden – trotzdem fordert er ein Umdenken in Deutschland
„Ich habe hier verkackt. Meine Weite war Scheiße”,sagte Schwanitz drastisch. Erste Erklärungen für das enttäuschende Ergebnis fand sie schnell. „Ich war viel zu verkrampft. Wer will, der verliert”, sagte sie. Im Finale kam Schwanitz tatsächlich nicht über eine Statistenrolle hinaus. Michelle Carter dagegen steigerte sich im letzten Versuch auf den neuen US-Rekord von 20,63 m und verhinderte den dritten Gold-Triumph in Serie der Neuseeländerin Valerie Adams (20,42).
An ein Ende ihrer Karriere denke sie nicht. „So möchte ich es nicht stehen lassen. Mein Ehrgeiz ist schon wieder geweckt”, sagte sie: „Vom Kopf her bin ich schon so weit, dass ich bis Tokio 2020 weiter machen möchte.”
Die acht fast zwei Meter langen Hünen und ihr nur 1,69 Meter große Steuermann Martin Sauer feierten eine silberne Nacht. Der Deutschland-Achter hatte zwar in der Lagune von Rio nicht das erhoffte Gold gewonnen, doch an diesem Tag mehr als Platz zwei nicht drin.
„Die Briten haben dem Rennen klar ihren Stempel aufgedrückt. Wir hatten keine Chance“, gab der Hamburger Eric Johannesen zu, der noch 2012 in London mit dem Flaggschiff den Olympiasieg gefeiert hatte. Und so tranken sie den einen oder anderen Caipirinha, genossen die gute Küche und tanzten sogar dem Temperament der Gastgeber entsprechend.
Es war gleichzeitig auch eine Abschiedsfeier für die acht Ruderer und ihren Berliner Steuermann. „Ich will nicht über meine Kollegen spekulieren, aber in vier Jahren in Tokio wird das Boot eine andere Aufstellung haben“, sagte Sauer. „Einige werden ihren Fokus auf das Arbeitsleben legen.“Was er machen wird, weiß Sauer noch nicht. Erst einmal will er in den Urlaub fahren und sich dann entscheiden, ob er noch mal die Position als Steuermann anstreben soll.
Bundestrainer Ralf Holtmeyer analysierte das Rennen in seiner ruhigen Art. „Ich wäre auch nicht bei einem Sieg herum getanzt“, sagte der 60-Jährige. „Der Wind war für alle gleich. Bei den Briten haben einige Olympiasieger im Boot gesessen. Das waren keine Pappkameraden.”
Holtmeyer ist der unterkühlte Mann aus Norddeutschland, er ist aber auch ein Mensch, der sagt, was er denkt. Und schon wenige Minuten nach dem Achter-Finale forderte er ein Umdenken im Verband. Mit den beiden Goldmedaillen in den Doppelvierern und dem zweiten Platz des Achters hatten die deutschen Ruderer hinter den Briten Rang zwei in der Nationenwertung erreicht. Eine tiefere Analyse zeigt, dass es erhebliche Defizite gibt, denn abgesehen von den Medaillen-Besetzungen kam kein anderes Boot in ein Finale.
Holtmeyer wird wohl auch den nächsten Deutschland-Achter bauen. Aber für ihn ist klar, dass sich etwas im deutschen Rudern ändern muss. Die Briten seien strukturell viel besser aufgestellt, sagte er. Alles sei professioneller. „Wir ackern, um da mitzuhalten“, sagte Holtmeyer. „Aber auch wenn jeder tut, was er kann, gibt es Defizite im System.”
Holtmeyer fragt: „Wo sind die Talente?“
Deutschland produziere viele Junioren-Weltmeister, sagt er. „Aber wo sind sie? Hier jedenfalls nicht.“Talente hören wegen fehlender beruflicher Perspektiven auf und auch die Strukturen hält Holtmeyer reformbedürftig. „Der nächste Rudertag findet in Nordrhein-Westfalen statt. Da sitzen zum Teil Funktionäre, die haben solche Regatten noch nie gesehen. Wir haben die Dezentralisierung ausgerufen, und da steckt jetzt schon Führungsschwäche dahinter.“
Und auch Martin Sauer, der es ja auch im Boot gewohnt ist zu steuern, macht sich weiter gehende Gedanken über das deutsche Rudern. „Wir trainieren in Dortmund und haben einen guten Kontakt zu Borussia Dortmund. Da sehen wir, wie professionell der Klub im Vergleich zu uns organisiert ist“, erzählt Sauer. „Die Briten haben ihre besten Ruderer quasi ausgegliedert. Alle Athleten, die hier in den Booten saßen, arbeiten wie Profis.“
Cheftrainer der Briten ist ein Deutscher. Jürgen Gröbler, der in der früheren DDR auch mit nachweislich verbotenen Mitteln Die deutsche Besetzung des Achters mit Steuermann Sauer (r.).
schon einige Boote aufs olympische Podium geführt hatte, ging 1991 nach der Wende nach Großbritannien. Seitdem hat er auch etliche Medaillen, darunter viele in Gold mit den
Briten gewonnen. Gröbler hat freie Hand in der Vorbereitung. Er kann aus einem viel größeren Reservoir aus Spitzenruderern, alle Profis, seinen Achter auswählen. „Die Sportler zu einem Team zu formen, ist eine Herausforderung“, sagt der 70-Jährige. „Die Jungs sind eben acht Individuen, und die muss man in Harmonie bringen.“In Rio ist ihm das am besten gelungen.