Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Puccinis Erbschleicher-Komödie mit Punk und jugendlichem Drive
Wie im „richtigen“Leben: Weimarer Studenten führen den Einakter „Gianni Schicchi“in einer freien Produktion auf
„Armer Buoso!“heuchelt die gruftige Trauergemeinde am Sterbebett des stinkreichen Florentiners. Gerade dieser Donati-Mischpoke, die sich da im Studiotheater von Weimars Schloss Belvedere tummelt, mag man die Pietät gar nicht glauben, tritt sie doch als vollschräger Haufen in Punk- und Gothic-Klamotten auf den Plan. In Lack und Leder, sündhaft scharfen Hotpants und kakaduschriller Irokesenfrisur. Umso größer das wahre Entsetzen, als Buosos Testament entdeckt wird: Der Alte hat alles der Kirche vermacht! Wie sich‘s gehört – so spult sich „Gianni Schicchi“, Puccinis köstliche Erbschleicher-Komödie, ab. Und doch: Diesmal ist alles anders.
Was jedem etablierten Stadttheater gut zu Gesichte stünde, entpuppt sich als freie Produktion – und dies von Studierenden der Franz-LisztHochschule. Nein, kein Projekt aus dem Lehrplan. Sie arbeiten allesamt aus völlig voluntaristischen Stücken und im Zweifelsfall auf eigenes Risiko. Alles, was eigentlich eines diffizilen Apparates bedürfte, haben sie selbst organisiert. Von A bis Z, grad so wie im „richtigen“Berufsleben, das mal ihre Profession werden soll.
„Man muss schon als Team dafür brennen“, gesteht Dirigent Valentin Egel, „ um so etwas in den Ferien zu machen.“Der schmächtige 22-Jährige hat in musikalischer Hinsicht die Hosen an und bürgt für Qualität. Dabei gesteht er freiweg, dass er den „Schicchi“als sein Operndebüt dirigiert. Im Sinfonischen ist er, inzwischen im sechsten Semester, weitaus erfahrener.
Und Puccinis Einakter mit seiner komplexen, dichten Struktur, all den Taktwechseln, Rubati und agogischen Anforderungen hat es gehörig in sich. „Schwierigkeiten, die einen weiterbringen“, bemerkt Egel bescheiden. Der junge Kerl weiß genau, wie ein gut eingespielter Profi-Klangkörper solch eine Aufgabe bewältigen würde, im Zweifelsfall auch mit Routine. Immerhin durfte Egel bei einem Meisterkurs schon mal das MDR-Sinfonieorchester dirigieren. Aber hier hat er es ausschließlich mit Kommilitonen zu tun.
Dasselbe gilt für die Solisten und das gesamte Team hinter der Bühne. Roman Lüttin und Sophie Mehnert – beide studieren Musikwissenschaft – tragen die Produktionsleitung. In knappen Worten schildern die beiden, was mehr als ein halbes Jahr Einsatz gekostet hat: Im September haben sie das Projekt ausgeschrieben, im Oktober war Vorsingen für die Solisten, kurz nach Weihnachten begann die Korrepetition, also das Einstudieren der Solo-Partien. Zehn Sänger kommen aus der eigenen Hochschule, fünf weitere sind Gäste.
Zum Beispiel hat Dirigent Egel seinen Cousin Linus Kaspar Theodor aus Freiburg „engagiert“; der hat dort erst vor kurzem im „Schicchi“gesungen, allerdings hatte er nur eine kleinere Partie abgekriegt und es war eine offizielle Hochschul-Produktion. Jetzt wohnt der Gesangsstudent aus dem Breisgau für die Zeit der Proben und Aufführungen bei seinem Verwandten in Weimar. Die beiden teilen ein Zimmer. Für Ausstattung und Overhead-Kosten mussten Mehnert und Lüttin erdenkliche Quellen anzapfen: die Hochschule, das Studierendenwerk, die Neue Liszt-Stiftung, die Gesellschaft der Freunde und Förderer. Außerdem half eine Reihe privater Sponsoren, mit Sachleistungen zumeist, wie Mehnert erzählt. Das Catering etwa. Oder die Reinigung, die die Kostüme in Schuss hält.
Für das Bühnenbild zeichnet eine Architektur-Kommilitonin und für Kostümentwurf und Maske eine Produktdesignerin von der BauhausUniversität
Der ProduktionsEtat fand viele gutwillige Unterstützer
verantwortlich. Die Titelfigur, der gerissene Nachbar der Donatis, der sich anstelle des Toten ins Krankenbett legt, um dessen „wirklichen“ letzten Willen einem herbei gerufenen Notario zu diktieren, sticht schon farblich im safrangelben Dandy-Anzug hervor. Dass die Familie bei diesem Arrangement ziemlich leer ausgeht und der falsche Buoso genüsslich seinen „lieben Nachbarn Gianni Schicchi“begünstigt, macht das Stück zur Paraderolle für die großen Baritone dieser Welt.
Warum fiel die Wahl ausgerechnet auf diese Oper? – Jede der 15 Rollen ist wichtig. „Und es gibt keine Hierarchien“, erklärt Dramaturgin Paula Schlüter. Das schweißt zusammen. Glücklich ist man an einer Hochschule, die solche Studenten hat. Ein paar Professoren haben das freie Projekt beratend begleitet. Mehr war nicht nötig und auch nicht gewünscht. Dass das Ergebnis sich hören lassen kann, verrät schon die Hauptprobe.
Für die letzten Wochen galt ein strenger Probenplan – wie im „normalen“Betrieb. Nur eins hat man doch übersehen: Dass die Premiere ausgerechnet auf den selben Abend fällt wie die des „Fidelio“am DNT. „Tut uns leid für Herrn Weber“, sagt Lüttin trocken. „Wir besuchen bei ihm gern eine spätere Vorstellung.“
• Heute sowie am . März u. . April um . Uhr, morgen um Uhr auf Schloss Belvedere Weimar