Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Dem gewohnten Zusammenhang entrissen
Der Jenaer Kunstverein präsentiert die neue Gruppenausstellung „Dekontext“– Beteiligt sind sechs zeitgenössische Künstler
Ein Stuhl ist ein Möbelstück, auf dem wir sitzen. Ein Abwaschbecken ist dafür da, Geschirr darin zu reinigen. Ein Glas dient uns als Trinkgefäß, maximal noch als Vase. Gebrauchsgegenstände existieren. Das genügt. Wir hinterfragen sie nicht und nehmen erst recht nicht ihren Blickwinkel ein.
Doch genau das hat die Berliner Künstlerin Nastasja Keller getan. Mit ihrem 15-minütigen Video „Objekte“verändert sich der Blickwickel, Objekte werden zum Filter der Wahrnehmung. Der Blick fällt nicht mehr auf die eigentlichen Dinge, sondern auf den umgebenden Raum. So zeigt Nastasja Keller ihre Aufnahmen von der Welt aus Sicht eines Kinderstuhls, einer Vase, einer Fliege, einer Haarbürste auf der Waschmaschine. Untermalt wird die Videoinstallation vom teils undefinierbaren und teils verstörenden Sound des amerikanischen Künstlers Julio Zúñiga.
Die beiden sind mit ihrer Arbeit Teil der neuen Gruppenausstellung „Dekontext“ von zeitgenössischen Künstler aus dem mitteldeutschen Raum, die ab morgen und bis 6. Mai im Jenaer Kunstverein zu sehen ist.
Die Ausstellung zeigt Werke in verschiedensten medialen Formaten: von klassischen Gattungen der bildenden Kunst über skulpturale Installationen bis hin zur Textil- und Videokunst. Doch so verschieden die Techniken auch sein mögen, so sind die Werke doch eng miteinander verbunden durch das ästhetische Prinzip der Dekontextualisierung. Soll heißen: Bestimmte Dinge werden aus ihrem gewohnten Kontext herausgerissen, künstlerisch bearbeitet und in einen neuen Zusammenhang gestellt. „Dadurch entsteht beim Betrachter ein neuer Blick auf die Dinge“, erklärt Robert Sorg, Vorsitzender des Jenaer Kunstvereins, der mit Michaela Mai vom Kunsthof Jena die Ausstellung kuratiert hat.
Ein Meer aus Geld, sein „Münzmeer“, hat Benedikt Braun aus Weimar im oberen Ausstellungsraum geschaffen. An die 9000 Münzrahmen mit jeweils einem Centstück hat er zu einer spiegelnden Fläche aneinandergereiht. Er hinterfragt damit den Wert des Geldes, den Wert von Kunst. Unzählige Centmünzen, verpackt wie wertvolle Sammlermünzen und als kleines Mosaik auf dem Boden liegend – welchen Wert hat nun dieses künstlerische Schaffen? Ebenso grundsätzliche Fragen wirft Brauns Installation aus Kühlvitrine und gewöhnlichem Herings- und Fleischsalat auf. Auch hier wird ein Gebrauchsgegenstand aus dem üblichen Kontext, also der Privatsphäre gelöst und in die Kunst erhoben. Indem Braun das Konsumverhalten der Menschen hinterfragt, spricht er ebenso die Konsumhaltung des Kunstmarktes und die Haltbarkeit von Kunst an.
Mit zwei Holz- und einem Linolschnitt ist der Hallenser Grafiker Tobias Gellscheid vertreten. Er zeigt minimalistische Collagen von historischen Holzschnitten. Daneben ist der Wandteppich von Stephan Murer aus Leipzig zu bewundern, hergestellt in einer alten peruanischen Knüpftechnik aus einem 12 Kilometer langen Faden. Zu sehen ist eine menschliche Silhouette – der Künstler hat sich selbst ins Werk gewebt. Mit seinem „Ende vom Lied“beteiligt sich Marcel Walldorf aus Frankfurt/Main an der Ausstellung – den Bremer Stadtmusikanten hat er das Fell abgezogen und übereinander gestapelt.
Bremer Stadtmusikanten das Fell abgezogen
• Mi, Fr, Sa – Uhr, Do – Uhr; der Eintritt ist frei.