Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Ganz schön einladend
Schon seit Jahrtausenden gilt Gastfreundschaft als Tugend – und will nach wie vor gelernt sein
Im Oscar-gekrönten Film „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“von Luis Buñuel aus dem Jahr 1972 geht so ziemlich alles schief: Mal erscheinen die Gäste am falschen Tag, mal gehen sie nach 20 Minuten vergeblichen Wartens ratlos wieder nach Hause, weil sie von niemandem empfangen werden. Wie in dem Film, in dem sechs Angehörige des Großbürgertums von einem Fiasko ins andere geraten, sollte eine Einladung nicht ablaufen. Ein guter Gastgeber umsorgt seine Gäste mit Charme und Feingefühl. Mögliche Stolpersteine umgeht er mit Geschick. So weit die Theorie.
1 Salbung und Fußpflege – frühe Formen der Gastfreundschaft
Gastfreundschaft – das ist zunächst ein Ritual, das sich seit Jahrtausenden durch alle Kulturen und Weltreligionen zieht. Sie gewährte Fremden seit jeher Schutz und war die Voraussetzung für gelingenden Handel. Die im Alten Testament beschriebene Gastfreundschaft Abrahams gegenüber drei Fremden ist eines ihrer ältesten Beispiele. Im frühen Christentum wuschen Gastgeber ihren Besuchern die Füße, salbten ihnen den Kopf und gaben ihnen einen Ehrenplatz am Tisch – in Erinnerung an die wohl denkwürdigste Einladung der westlichen Geschichte, das Abendmahl. Doch auch altarabische Kulturen sahen es bereits vor Mohammeds Wirken als ihre Pflicht an, Reisende aufzunehmen. Im Koran werden Muslime ausdrücklich zur Gastfreundschaft aufgefordert. Auch im Buddhismus und Hinduismus spielt sie eine wichtige Rolle.
2 Landestypische Eigenheiten entscheiden, was höflich ist
Mögliche Missverständnisse gibt es beim Umgang mit Gästen anderer Kulturen viele. Während Deutsche bei spontanem Besuch auch mal sagen, dass es gerade nicht so gut passt, wäre dies beispielsweise in Ägypten meist undenkbar – auch einen Tag vor einer wichtigen Prüfung. Chinesen wiederum beginnen bei Einladungen bereits mit dem Essen, wenn der Gastgeber noch in der Küche werkelt, um die nächste aufwendige Köstlichkeit zuzubereiten. Hierzulande hingegen wird größter Wert darauf gelegt, gemeinsam zu speisen. Doch bei aller Verschiedenheit steht bei einer ernsthaft ausgesprochenen Einladung der Gast stets im Vordergrund.
3 Wie der Fußball eine neue „deutsche Tugend“schuf
Es war die vielleicht überraschendste Wendung des sogenannten Sommermärchens, der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006: Damals gingen Bilder von ausgelassen feiernden Deutschen um die Welt. Gemäß dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“zeigte man sich den Besuchern gegenüber herzlich und weltoffen und fieberte gemeinsam den entscheidenden Toren entgegen. Das wollte zwar so gar nicht zu den alten Klischees des pragmatischen, kleinlichen und eher unterkühlten Deutschen passen, veränderte aber die mediale Wahrnehmung von dem, was bis dato als „typisch deutsch“galt. Denn nun zählt auch „gastfreundlich“dazu. Und obwohl es für die Nationalmannschaft am Ende nicht der Titel, sondern nur ein dritter Platz wurde, hielt die Euphorie über das neu gewonnene WirGefühl an – auch abseits der Fußballstadien.
4 Die Kunst, Ruhe zu bewahren, wenn man Gäste empfängt
Auch die wohl verbreitetste Art, Gäste zu empfangen – die Einladung zum Essen –, macht Spaß und verbindet. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Tafeln in Gesellschaft von langer Hand geplant oder spontan stattfindet: Wer für Gäste kocht, sollte jedoch vorab erfragen, was ihnen besonders gut (oder gar nicht) schmeckt und ob es mögliche Einschränkungen wie Allergien gibt. Bei der Zubereitung eines mehrgängigen Menüs ist eine gute Planung mit vollständiger Einkaufsliste und genügend Zeit im Voraus das A und O. Zur Inspiration bieten neben Kochbüchern auch zahllose Internetseiten einen reichen Schatz an Rezepten. Doch vor allem, wenn die Zubereitung eines ausgewählten Gerichts besonders abenteuerlich oder aufwendig erscheint, kann es sich lohnen, das Rezept vor dem großen Tag einmal probezukochen – oder die Anleitung vorab aufmerksam zu lesen und auf Plausibilität zu prüfen.
5 Charme statt Scham bei kleinen Pannen
„Man reiche das wenige, was man der Gastfreundschaft opfern kann, in gehörigem Maße, mit guter Art, mit treuem Herzen und mit freundlichem Gesichte dar“, sagte schon Adolph Freiherr Knigge in seinem Benimmwerk „Über den Umgang mit Menschen“. Ein Gastgeber muss kein Perfektionist sein. Kleine Fehler wie einen zu trockenen Braten nimmt er am besten mit Humor. Im Mittelpunkt sollte immer der Gast mit seinen Bedürfnissen stehen und nicht die Selbstkritik, die schnell jedem den Appetit verderben würde. Trotzdem will jede Einladung wohl durchdacht sein: Wann geht es los? Ist Pünktlichkeit ein Muss? Handelt es sich um eine lockere Party oder einen festlichen Empfang? Wichtig sind auch Gästeliste und Tischordnung, denn das beste Essen verfehlt seine Wirkung, wenn zwei, die sich nicht mögen, nebeneinandersitzen (müssen). Wer Gäste über Nacht oder für einen längeren Zeitraum beherbergt, sollte für sie einen Schlafplatz mit Privatsphäre zur Verfügung stellen und Zeit für gemeinsame Unternehmungen haben. Aber auch der Gast sollte ein Gespür dafür besitzen, wann es genug ist. Wie heißt es schon in einem Sprichwort? „Ein Fisch und ein Gast halten sich beide nicht gut länger als drei Tage im Hause.“